Lange sah es so aus, als würde der BGH selbst entscheiden, dass verzocktes Geld von bis 2020 illegalen Online-Sportwettenanbietern zurückgefordert werden kann. Nun legt er diese Frage doch dem EuGH vor – macht seine verbraucherfreundliche Meinung aber weiterhin sehr deutlich.
Sportwetten haben angesichts der Europameisterschaft einen riesigen Hype erlebt, z.B. bei Anbietern wie Betano, Tipico oder Bwin. All diese Anbieter hatten jedoch bis Herbst 2020, teilweise sogar bis 2021 keine offizielle deutsche Lizenz. Deshalb fordern nun viele, die damals bei Sportwetten Geld verloren haben, ihren Verlust zurück. Lange sah es so aus, als würde der Bundesgerichtshof (BGH) in ihrem Sinne entscheiden, ohne zuvor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu fragen, ob das auch im Sinne der EU-Dienstleistungsfreiheit wäre. Nun aber hat der BGH diese Frage doch dem EuGH vorgelegt – seine eigene verbraucherfreundliche Meinung dabei aber deutlich kommuniziert (Urt. v. 25. Juli 2024, Az. I ZR 90/23).
In dem konkreten Fall geht es um einen Mann, der zwischen 2013 und 2018 mehr als 3700 Euro bei Sportwetten des Anbieters Tipico verloren hat und diese Summe nun zurückverlangt. Der Kläger argumentierte, dass die Sportwetten unzulässig und die Wettverträge nichtig gewesen seien, da Tipico damals nicht die erforderliche deutsche Lizenz besaß. Ein Vertrag, der trotz eines gesetzlichen Verbots (hier: Verstoß gegen § 4 Glücksspielstaatsvertrag von 2012) geschlossen wird, ist gemäß § 134 BGB eigentlich von Anfang an nichtig. Daher müssten die Sportwettenanbieter verzocktes Geld gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zurückgeben.
Tipico hatte eine solche Konzession zwar nach dem damals geltenden Glücksspielstaatsvertrag 2012 beantragt, aber nicht erhalten. Sportwettenanbieter konnten zwar seit 2012 theoretisch Lizenzen beantragen. Hier war aber das Problem, dass der Gesetzgeber die Lizenzen anfänglich auf 20 begrenzen wollte. Dagegen gab es viele Klagen und schließlich hat erst einmal niemand eine Lizenz bekommen. Tipico und Bwin erhielten erst im Oktober 2020 eine Lizenz und Betkick (Betano) sogar erst im Februar 2021.
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BGH legt den Fall dem EuGH vor
Anders als die beiden Vorinstanzen, die die Klage abgewiesen hatten, tendiert der BGH schon länger zu der Ansicht, dass die Anbieter mangels deutscher Lizenz einen Verstoß gegen § 4 Glücksspielstaatsvertrag begangen haben und der Rückforderungsanspruch daher bestehe. Nun führte der BGH seine Ansicht in dem Vorlagebeschluss weiter aus, dass aus dem Verstoß gegen den Glücksspielstaatsvertrag 2012 auch die Nichtigkeit des Vertrags folgen müsse: „Der Zweck des gesetzlichen Verbots, die Bevölkerung vor von öffentlichen Glücksspielen ausgehenden Gefahren zu schützen, erfordert grundsätzlich die Nichtigkeit der auf Grundlage eines Internetangebots unter einseitigem Verstoß gegen die Erlaubnispflicht geschlossenen Glücksspielverträge.“
Allerdings sahen einige unterinstanzliche Gerichte (z.B. das LG Erfurt) und die Sportwettenanbieter selbst in diesem Fall die Notwendigkeit, den Fall dem EuGH vorzulegen. Nach langer Überlegung hat sich nun auch der BGH für diesen Schritt entschieden und dem EuGH (zusammengefasst) folgende Frage vorgelegt:
„Schließt die EU-Dienstleistungsfreiheit eines Glücksspielanbieters mit Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat es aus, einen solchen Sportwettenvertrag als nichtig zu betrachten, wenn der Anbieter in Deutschland eine Erlaubnis für die Veranstaltung von Sportwetten beantragt hatte und das für diesen Antrag geltende Verfahren zur Konzessionserteilung unionsrechtswidrig durchgeführt wurde?“
Im konkreten Fall hatte Tipico zumindest bereits eine Konzession für die Veranstaltung von Sportwetten in Deutschland beantragt hatte. Zudem ist inzwischen klar, dass das für diesen Antrag geltende Konzessionserteilungsverfahren unionsrechtswidrig durchgeführt wurde.
BGH tendiert weiterhin dazu, die Verträge als nichtig anzusehen
Der EuGH hatte in einem – gleichfalls unerlaubte Sportwetten betreffenden – strafrechtlichen Verfahren hierzu bereits entschieden: Mitgliedstaaten dürften keine strafrechtliche Sanktion verhängen, weil jemand einer verwaltungsrechtlichen Anforderung nicht genügt hat, die ihrerseits gegen EU-Recht verstoßen hat (vgl. EuGH, Urteil vom 4. Februar 2016 – C336/14 – Ince). Es stellt sich daher die Frage, ob deshalb in diesem Fall die Sportwettenverträge zivilrechtlich als nichtig angesehen werden dürfen.
Der BGH hat dabei deutlich gemacht, dass er – auch unter Berücksichtigung der bisherigen EuGH-Rechtsprechung – dazu neigt, die Verträge als nichtig anzusehen. Die zivilrechtliche Rechtsfolge der Nichtigkeit stelle keine Strafe dar, sondern eine Einschränkung der Privatautonomie zum Schutz des allgemeinen Rechtsverkehrs. Die im Verhältnis des Staats zum Sportwettenanbieter eintretenden Rechtsfolgen ließen sich nicht ohne Weiteres auf das Verhältnis des Sportwettenanbieters zum Spieler als privatem Dritten übertragen.
Außerdem: Noch immer sei es darum gegangen, die Bevölkerung vor übermäßigen wirtschaftlichen Schäden durch öffentliches Glücksspiel zu schützen. Hierbei handele es sich um einen Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit rechtfertigende zwingenden Gründe des Allgemeininteresses. Diese bestünden auch dann, wenn das Verfahren der Konzessionserteilung unionsrechtswidrig ausgestaltet war.
Auswirkungen auf andere laufende Verfahren
Der BGH hat außerdem zwei Parallelverfahren über die Erstattung von Verlusten aus Sportwetten bis zu einer Entscheidung des EuGH im vorliegenden Verfahren ausgesetzt.
In einem dieser nun ausgesetzten Fälle hatte der Glücksspielanbieter allerdings nicht nur gegen die formelle Erlaubnispflicht aus dem Glücksspielrecht verstoßen. Daneben dürfte sich eine Nichtigkeit des Vertrags auch aus einem Verstoß gegen das materielle Glücksspielrecht ergeben – selbst wenn der EuGH den formellen Verstoß nicht ausreichen lässt, um eine Nichtigkeit anzunehmen. Der BGH erläutert, dass es bei diesem Fall „insbesondere“ um einen Verstoß gegen „die grundsätzliche Verpflichtung zur Begrenzung des Höchsteinsatzes“ geht.
Worum es bei dieser Rechtsfrage geht, lässt sich in einem Hinweisbeschluss des BGH nachlesen (Beschl. v. 22.03.2024, Az. I ZR 88/23). In diesem Fall widersprachen die angebotenen Sportwetten schon wegen Nichteinhaltung des grundsätzlich auf 1.000 Euro begrenzten monatlichen Höchsteinsatzes je Spieler dem materiellen Glücksspielrecht. Dazu hatte der BGH vorläufig die Ansicht vertreten, dass es jedenfalls für solche unerlaubten Online-Sportwettenangebote, die auch in einem unionsrechtskonformen Konzessionserteilungsverfahren nicht ohne Weiteres erlaubnisfähig gewesen wären, bei der Nichtigkeitsfolge des § 134 BGB verbleibt – selbst wenn der EuGH im Sinne der Sportwettenanbieter entscheiden sollte.
In dem nun vorgelegten Fall geht der BGH aber mangels entgegenstehender Feststellungen der letzten Tatsacheninstanz davon aus, dass die spielerschützenden Regelungen des Glücksspielrechts eingehalten wurden. Insofern hängt bei diesem und dem anderen ausgesetzten Fall das Ergebnis des ganzen Falls davon ab, wie der EuGH entscheiden wird.
Und nicht nur beim BGH wartet man nun gespannt auf den EuGH: Auch viele andere unterinstanzliche Gerichte, bei denen entsprechende Klagen anhängig sind, werden ihre Verfahren nun mit Blick auf die zu erwartende Entscheidung aussetzen.
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