Der BGH hat die Voraussetzungen präzisiert, unter denen man im Jahr 2020 wegen Corona von Pauschalreisen zurücktreten konnte, ohne dafür Stornogebühren an den Reiseveranstalter zahlen zu müssen. Dies hänge von den Umständen des Einzelfalls ab, weswegen der BGH zu unterschiedlichen Entscheidungen kam. Grundsätzlich sieht der BGH die Pandemie aber durchaus als außergewöhnliches Ereignis an.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat zu der Frage, ob man bereits geleistete Anzahlungen bei einer Stornierung wegen Corona zurückerhält, drei unterschiedliche Entscheidungen getroffen und damit die Voraussetzungen der Rückerstattung präzisiert. In den drei Verfahren nahmen die Reisewilligen die jeweilige Reiseveranstalterin auf Erstattung der Anzahlung für eine Pauschalreise in Anspruch, nachdem sie vor Antritt der Reise wegen der Covid-19-Pandemie von dem Vertrag zurückgetreten waren.
Pandemie ist außergewöhnliches Ereignis
Grundsätzlich kann man vor Beginn einer Pauschalreise jederzeit vom Vertrag zurücktreten und der Anspruch auf den Reisepreis entfällt. In allen drei Klagen ging es jedoch um die Frage, ob die jeweilige Reiseveranstalterin dem Anspruch der zurücktretenden Partei auf Rückzahlung des Reisepreises einen Anspruch auf „angemessene Entschädigung“ (= Stornogebühren) nach § 651h Abs. 1 Satz 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) entgegenhalten kann. Dieser Anspruch ist nämlich nach § 651h Abs. 3 BGB ausgeschlossen, wenn am Urlaubsort unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, welche die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen am Reiseziel erheblich beeinträchtigen.
Diese lägen nicht nur dann vor, wenn feststeht, dass die Durchführung der Reise nicht möglich ist oder zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Gesundheit des Reisenden führen würde, so der BGH. Sie könnten vielmehr schon dann zu bejahen sein, wenn die Durchführung der Reise aufgrund von außergewöhnlichen Umständen mit erheblichen und nicht zumutbaren Risiken verbunden wäre.
Zwar entschied der BGH in allen drei Fällen unterschiedlich und betonte, dass die Antwort auf die Grundfrage regelmäßig von der Prognose aus der Sicht eines verständigen Durchschnittsreisenden abhänge. Im ersten der drei entschiedenen Verfahren betonte er, die Covid-19-Pandemie im Reisezeitraum Sommer 2020 sei aber jedenfalls als Umstand im Sinn von § 651h Abs. 3 BGB zu bewerten, der grundsätzlich geeignet gewesen sei, die Durchführung der Pauschalreise erheblich zu beeinträchtigen. Auch die damals fehlende Impfgelegenheit spielte eine Rolle. Dagegen spreche es auch nicht, dass die Covid-19-Pandemie weltweit wirkte und dieselben oder vergleichbare Beeinträchtigungen im vorgesehenen Reisezeitraum auch am Heimatort der Reisenden vorgelegen haben.
Soforthilfe vom Anwalt
Sie brauchen rechtliche Beratung? Rufen Sie uns an für eine kostenlose Ersteinschätzung oder nutzen Sie unser Kontaktformular.
Fall 1: Rückerstattung trotz angepasstem Hygienekonzept
Im ersten Verfahren hatte die 84-jährige Reisewillige im Januar 2020 eine Donaukreuzfahrt im Zeitraum vom 22. bis 29. Juni 2020 zu einem Gesamtpreis von 1.599,84 Euro gebucht. Sie trat jedoch am 7. Juni 2020 von der Reise zurück und verlangte die Rückzahlung der bereits geleisteten Anzahlung von 319,97 Euro. Die Reiseveranstalter berechnete danach weitere Stornokosten in Höhe von insgesamt 999,89 Euro (85 % des Reisepreises, unter Abzug einer Gutschrift). Die Flusskreuzfahrt wurde schließlich mit einem angepassten Hygienekonzept und einer von 176 auf 100 verringerten Passagierzahl durchgeführt.
Wie bereits die Vorinstanzen gelangte auch der BGH zu dem Ergebnis, dass die Covid-19-Pandemie im Reisezeitraum (Sommer 2020) aufgrund der erhöhten Ansteckungsgefahr als Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB zu bewerten sei, der die Durchführung der Pauschalreise erheblich beeinträchtige. Somit bestehe der Anspruch auf Erstattung der Anzahlung (Urt. v. 30.08.2022, Az. X ZR 66/21).
Eine unzumutbare Gesundheitsgefährdung liege vor allem wegen der nicht bestehenden Impfgelegenheit und der nicht vorhandenen Therapien gegen Covid19 an Bord vor. Außerdem sei hier auch auf das (in diesem Fall hohe) Alter der Reiseantretenden abzustellen. Dies sei jedenfalls dann möglich, wenn erst solche Umstände, die bei Vertragsschluss noch nicht absehbar waren, und die daraus resultierenden Risiken dazu führen, dass die Reisende zu einer Personengruppe gehört, für die die Reise mit besonderen Gefahren verbunden ist. Nach den Umständen bei Vertragsschluss hätte das Alter der Klägerin einer Teilnahme an der Reise nicht entgegengestanden – erst die Pandemie und die aus ihr folgenden Risiken hätten den Charakter der Reise verändert.
Fall 2: Kein Rückerstattungsanspruch trotz Hotelschließung?
In einem weiteren Verfahren ging es um die Buchung einer Pauschalreise im Februar 2020 nach Mallorca im Zeitraum vom 5. bis 17. Juli 2020 für 3.541 Euro. Die Buchende trat am 3. Juni 2020 von der Reise zurück und verlangte die Rückzahlung der bereits geleisteten Anzahlung von 709 Euro. Die Reiseveranstalterin berechnete Stornokosten in Höhe von insgesamt 886 Euro (25 % des Reisepreises) und belastete die Kreditkarte des Klägers um weitere 177 Euro. Das gebuchte Hotel war zum Zeitpunkt des Rücktritts und im Reisezeitraum geschlossen.
Das LG hat auch in diesem Fall zunächst einen Rückzahlungsanspruch bejaht, weil das gebuchte Hotel im fraglichen Zeitraum geschlossen war und schon dieser Umstand dazu führe, ohne Entschädigungspflicht vom Vertrag habe zurücktreten können.
Der BGH hob die Entscheidung allerdings auf und verwies die Sache an das Berufungsgericht zurück (Urt. v. 30.08.2022, Az. X ZR 84/21). Die durch Unsicherheit und Unabwägbarkeiten geprägte pandemische Lage in Europa ab Frühjahr 2020 und die getroffenen Maßnahmen zur Herabsetzung der Infektionswahrscheinlichkeit ließen noch keinen Schluss auf eine erhebliche Beeinträchtigung zu. Demnach sei es auch nicht möglich, festzustellen, welche konkreten Infektionsrisiken im maßgeblichen Zeitraum am Reiseziel bestanden hätten.
Eine erhebliche Beeinträchtigung im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB ergebe sich nicht schon daraus, dass das gebuchte Hotel im Reisezeitraum geschlossen gewesen sei. Zwar könne die Unterbringung in einem anderen als dem gebuchten Hotel trotz Zuweisung einer gleichwertigen Ersatzunterkunft am gleichen Ort einen zur Minderung berechtigenden Reisemangel darstellen. Dieser begründe aber nicht ohne weiteres eine erhebliche Beeinträchtigung im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB. Die danach erforderliche Gesamtwürdigung habe das Landgericht im Streitfall unterlassen. Der Senat könne diese im Wesentlichen dem Tatrichter überlassene Würdigung nicht selbst vornehmen.
Fall 3: Rückerstattung bei später abgesagter Kreuzfahrt?
Im letzten Verfahren hatte der Reisewillige eine Ostseekreuzfahrt im Zeitraum vom 22. bis 29. August 2020 für 8.305,10 Euro gebucht. Er trat am 31. März 2020 von der Reise zurück und verlangte die Rückzahlung der von ihm geleisteten Anzahlung in Höhe von 3.194 Euro. Die Kreuzfahrt wurde von schließlich am 10. Juli 2020 abgesagt.
Entgegen den vorherigen Entscheidungen hatten die Vorinstanzen zunächst offen gelassen, ob die Voraussetzungen von § 651h Abs. 3 BGB im Zeitpunkt des Rücktritts vorlagen, und einen Rückzahlungsanspruch schon aufgrund der später erfolgten Absage der Reise bejaht.
Dieses Verfahren hat der Bundesgerichtshof entsprechend § 148 ZPO bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in einem dort anhängigen Verfahren ausgesetzt (Rs. beim EuGH C-477/22, Beschl. d. BGH, Az. X ZR 53/21). Die Entscheidung des Rechtsstreits hänge von der Beantwortung der dem EuGH bereits vorliegenden Frage ab (Beschl. v. 30.08.22, Az. X ZR 3/22).
Damit hat der BGH zwar einige Fragen geklärt, die sich seit Pandemiebeginn einige Urlauber stellten – einige bleiben aber noch offen. Spannend bleibt die Entscheidung des EuGH, über die wir selbstverständlich berichten werden.
mbl/ahe