Seit Jahren kämpft die intersexuelle Mittelstreckenläuferin Caster Semenya gegen den Leichtathletik-Weltverband und dessen Regelungen zu Testosteron-Grenzwerten in der Frauenklasse. Die Debatten zum Ausschluss von intersexuellen und trans Personen aus dem internationalen Frauen-Wettbewerb häufen sich derweil nicht nur in der Leichtathletik. Im Fall Semenya entschied der EGMR nun zugunsten der Spitzensportlerin. Ihre Teilnahme bei Olympia 2024 bleibt jedoch weiterhin unsicher.
Im Jahr 2009 wurde Caster Semenya Weltmeisterin über 800 Meter und damit zum Symbol für viele intersexuelle Sportlerinnen. 2018 klagte sie gegen eine neue Regel des Leichtathletik-Weltverbandes World Athletics. Die neue Regel erlaubte es ihr aufgrund ihrer erhöhten Testosteronwerte nicht mehr an den Wettkämpfen in der Frauenklasse teilzunehmen. Den jahrelangen Rechtsstreit hat Semenya nun vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gewonnen.
Hintergrund
Caster Semenya ist zweifache Olympiasiegerin über 800 m. Wegen in der Pubertät virilisierter innenliegender Hoden hat diese von Natur aus ein erhöhtes Testosteronlevel. Nachdem World Athletics im November 2018 in einigen Disziplinen einen Testosteron-Grenzwert für die Startberechtigung in der Frauenklasse eingeführt hatte, wurde ihr Testosteronwert zum Problem: Um weiterhin an internationalen Wettkämpfen teilnehmen zu können, hätte Semenya Hormone einnehmen müssen, um so ihren Testosteronwert auf den erlaubten Grenzwert zu senken. Begründet wurden die Grenzwerte vom Weltverband damit, dass ein zu hoher Testosteronspiegel den Frauen einen unfairen sportlichen Vorteil verschaffe. Semenya machte daraufhin ihren natürlich erhöhten Testosteronspiegel öffentlich und lehnte es ab, sich mit Medikamenten behandeln zu lassen, nur um weiterhin die 800 m laufen zu können.
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Im Mai 2019 scheiterte eine Klage der Spitzensportlerin vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS. Auch vor dem Schweizer Bundesgericht in Lausanne hatte sie 2020 keinen Erfolg. Nun hat der EGMR entschieden, dass Semenya im Schweizer Verfahren ein wirksamer Rechtsbehelf verwehrt wurde.
Entscheidung des EGMR
Der EGMR überprüft die Einhaltung der Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) durch die Vertragsstaaten, hat jedoch keine Kompetenz, die Entscheidungen nationaler Gerichte aufzuheben. Da die Entscheidung im Fall Semenya vor einem schweizerischen Gericht ergangen ist, konnte der EGMR auch die Entscheidung des schweizerischen Bundesgerichts überprüfen.
Die Richter stellten insbesondere eine Verletzung der Artikel 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens), 13 (Recht auf wirksame Beschwerde) und 14 (Diskriminierungsverbot) der EMRK fest. Insbesondere sei Semenya in den Gerichtsverfahren in der Schweiz ein wirksamer Rechtsbehelf verwehrt worden. Die Richter führten aus, dass Semenya glaubhaft dargelegt habe, warum sie aufgrund ihres erhöhten Testosteronspiegels diskriminiert worden sei. Da es sich um eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts handele, bedürfe es besonders gewichtiger Gründe, um diese Diskriminierung zu rechtfertigen. Insbesondere vor dem Hintergrund der großen Bedeutung des Urteils für Semenya persönlich, hätte das Gericht ihr Anliegen gründlicher prüfen müssen.
Wirkungen des Urteils
Das Urteil des EGMR hat aber eher symbolische Bedeutung. Denn bereits kurz nach der Urteilsverkündung bestätigte der Weltverband, dass die Testosteron-Regeln vorerst nicht geändert würden. World Athletics will die Schweizer Regierung nun dazu bewegen, den Fall an die Große Kammer des EGMR zu verweisen, um dort eine ,,endgültige Entscheidung‘‘ herbeizuführen, hieß es. Denn auch unter den Richtern war die Entscheidung umstritten: Das Abstimmungsergebnis fiel mit 4:3 knapp zugunsten Semenyas aus. Nun bleibt abzuwarten, ob Semenya das Olympia- Startrecht für die Olympischen Spiele 2024 in Paris noch erreichen kann.
lyt