Ist es strafbar, wenn man in einer Apotheke einen gefälschten Impfpass vorzeigt? Seit der Änderung des StGB im November 2021 kann diese Frage mit einem eindeutigen „Ja“ beantwortet werden. Die strafrechtliche Beurteilung nach alter Rechtslage war jedoch lange stark umstritten – bis jetzt. Nun hat der BGH endlich Rechtsklarheit geschaffen – und das zumindest inhaltlich sicherlich wünschenswerteste Ergebnis gefunden.
Es ist eine Entscheidung, die nicht nur von Juristen mit Spannung erwartet wurde: Nun hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden: Das Fälschen von Impfpässen war auch nach alter Rechtslage als Urkundenfälschung nach § 267 Strafgesetzbuch (StGB) strafbar. Der alte § 277 StGB, das Fälschen von Gesundheitszeugnissen, entfalte keine Sperrwirkung gegenüber der Urkundenfälschung. Damit setzt das oberste Strafgericht einer langen juristischen Diskussion ein Ende (Urt. v. 10.11.2022, Az. 5 StR 283/22).
Über die sich gegenüberstehenden Rechtsauffassungen sowie unsere eigene rechtliche Einschätzung haben wir bereits Anfang des letzten Jahres ausführlich berichtet.
Mehr dazu in unserem ausführlichen Beitrag: „Impfpass fälschen: War das bis 2021 strafbar oder nicht?“
In dem konkreten Fall, zu dem der BGH sein lange ersehntes Urteil fällen konnte, ging es um einen Freispruch des Landgerichts (LG) Hamburg (Urt. v. 1. März 2022, Az. 634 KLs 8/21). Das LG hatte einen Angeklagten, der insgesamt 19 unrichtige Impfbescheinigungen gegen Geld ausgestellt hatte, vom Vorwurf der mehrfachen Urkundenfälschung freigesprochen. Diesen hat der BGH nun aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
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Sperrwirkung oder nicht? Gerichte waren sich uneinig
Seit der Änderung des StGB im November 2021 ist das Vorzeigen gefälschter Impfausweise nach § 277 StGB n.F. strafbar. Die Rechtslage vor der Gesetzänderung war hingegen nicht so eindeutig: Bis dahin griff § 277 StGB a.F. nämlich nur, wenn der Impfpass gegenüber einer Behörde oder einer Versicherungsgesellschaft gebraucht wurde. Das Vorzeigen gegenüber einer Apotheke war jedoch unstreitig nicht erfasst. Damit der Gebrauch gefälschter Impfpässe in solchen Fällen aber nicht straflos ist, war entscheidend, ob das Verhalten durch andere Strafnormen sanktioniert wird. Insofern kommt allein eine Strafbarkeit wegen Urkundenfälschung gemäß § 267 StGB in Betracht.
Eine Vielzahl von Gerichten, so zuletzt auch das Bayerische Oberste Landesgericht, lehnten jedoch eine Strafbarkeit wegen Urkundenfälschung ab (Beschl. v. 03.06.2022, Az. 207 StRR 155/22). Begründet wurde dies insbesondere damit, dass § 277 StGB a.F. für Gesundheitszeugnisse – darum handelt es sich bei Impfausweisen – eine Sondervorschrift darstelle und daher eine abschließende Regelung enthalte. § 277 StGB a.F. entfalte eine Sperrwirkung, weswegen eine Strafbarkeit wegen Urkundenfälschung von vornherein ausscheide. So hatte es im konkreten Fall auch das LG Hamburg gesehen. Auch wir vertraten damals diese zweite Auffassung und waren der Ansicht, dass der Gesetzgeber bei der Konzeption von § 277 StGB a.F. im Jahr 1871 nicht daran gedacht hatte, dass ein Impfpass im Rahmen einer Pandemie einmal einen solchen Wert haben würde. Er sah falsche Gesundheitszeugnisse schlicht als weniger „gefährlich“ an als sonstige falsche Urkunden und wollte daher nur ganz spezielle Fälle unter eine geringere Strafandrohung stellen. Dass diese Auffassung nicht mehr an die aktuelle Zeit angepasst ist, wurde auch durch die Änderung des StGB im November 2021 deutlich.
Unter anderem das OLG Hamburg, das OLG Stuttgart, das OLG Schleswig und das OLG Celle hatten hingegen bei Strafbarkeit wegen Urkundenfälschung bei der Vorlage eines gefälschten Impfausweises gegenüber Apotheken bejaht und damit das Bestehen von Strafbarkeitslücken verneint. Zuletzt hatte das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe dem BGH sogar direkt die Frage zur Entscheidung vorgelegt (Beschl. v. 26.07.2022, Az. 2 Rv 21 Ss 262/22). Die Richter sahen sich daran gehindert, abschließend über die Sache zu entscheiden, weil das Bayerische Oberste Landesgericht hat in einem ähnlichen Verfahren eine Sperrwirkung angenommen hatte – das OLG Karlsruhe dies aber nicht vertreten wollte. Will ein Oberlandesgericht von der Rechtsauffassung eines anderen Oberlandesgerichts abweichen, ist es nach § 121 Abs. 2 GVG zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung verpflichtet, die streitige Rechtsfrage dem BGH vorzulegen.
BGH-Entscheidung war längst überfällig
Nun also hat der BGH in einem anderen Fall also endlich Klarheit geschaffen – und sich der zweiten Ansicht angeschlossen: Bei § 277 StGB a.F. handele es sich nicht um eine spezielle Vorschrift, die den Täter der Fälschung von Gesundheitszeugnissen im Verhältnis zu dem einer Urkundenfälschung privilegieren solle.
Weder dem Zweck noch dem systematischen Zusammenhang der miteinander konkurrierenden Bestimmungen oder dem Willen des Gesetzgebers ließen sich Anhaltspunkte für eine solche Privilegierung entnehmen.
Erst recht entfalte § 277 StGB a.F. keine „Sperrwirkung“ gegenüber der Urkundenfälschung, wenn der Tatbestand der Fälschung von Gesundheitszeugnissen – so wie hier – nicht (vollständig) erfüllt ist.
ahe