Die Europäische Kommission hat sowohl die Urheberrechte als auch das Know-how der Systran-Gruppe an der Unix-Version der Software für maschinelle Übersetzungen verletzt. Dies hat der europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden.
Die außervertragliche Haftung der Union ist vom Vorliegen mehrerer Voraussetzungen abhängig, namentlich der Rechtswidrigkeit des einem Organ vorgeworfenen Verhaltens, des Vorliegens eines Schadens und des Bestehens eines kausalen Zusammenhangs zwischen dem behaupteten Verhalten und dem geltend gemachten Schaden.
Zwischen dem 22. Dezember 1997 und dem 15. März 2002 stimmte Systran Luxembourg ihre Software für maschinelle Übersetzungen Systran-Unix unter der Bezeichnung EC-Systran Unix mit den spezifischen Bedürfnissen der Kommission zwecks damit einhergehender entsprechender Anpassung ab.
Am 4. Oktober 2003 veröffentlichte die Kommission eine Ausschreibung für die Wartung/Pflege und linguistische Weiterentwicklung ihres maschinellen Übersetzungssystems. Die Leistungen, die die Kommission dem erfolgreichen Anbieter übertragen hat, betrafen nach der Ausschreibung insbesondere die Optimierung, Anpassungen und Zusätze zu Sprachroutinen, die spezifischen Verbesserungen der Analyse-, Synthese- und Transfer-Programme sowie die Aktualisierungen des Dienstes.
Auf diese Ausschreibung hin wies Systran, das Mutterunternehmen von Systran Luxembourg, die Kommission darauf hin, dass die auszuführenden Arbeiten ihre Urheberrechte verletzen könnten. Seit über vierzig Jahren bietet Systran Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen Technologielösungen für maschinelle Übersetzungen an. Systran hat insbesondere eine Systran-Version entwickelt und vertrieben, die in der Lage ist, auf den Betriebssystemen Unix und Windows zu arbeiten.
Nach zahlreichen Gesprächen zwischen Systran und der Kommission kam diese zu dem Schluss, dass Systran keine beweiskräftigen Nachweise von Rechtsansprüchen, die dieses Unternehmen auf ihren maschinellen Übersetzungsdienst EC-Systran Unix erheben könnte, vorgelegt habe. Nach Ansicht der Kommission ist die Systran- Gruppe folglich nicht berechtigt, sich den Arbeiten zu widersetzen, die von dem Unternehmen durchgeführt werden, dem der Zuschlag erteilt worden war.
Aufgrund der Auffassung, dass die Kommission mit der Auftragsvergabe rechtswidrig ihr Know-how einem Dritten weitergegeben und im Zusammenhang mit der Durchführung von unerlaubten Weiterentwicklungen der Version EC-Systran Unix durch den erfolgreichen Bieter eine Urheberrechtsverletzung begangen habe, haben Systran und Systran Luxembourg beim europäischen Gerichtshof eine Schadensersatzklage gegen die Kommission eingereicht.
Nachdem die Beteiligten im Rahmen eines von dem Gericht nach der mündlichen Verhandlung eingeleiteten Schlichtungsverfahrens nicht zu einer einvernehmlichen Lösung gelangt sind, entschied der europäische Gerichtshof nunmehr über die Schadenersatzklage.
Der europäische Gerichtshof stellte in seinem Urteil vom 16.12.2010 fest, dass es sich vorliegend um außervertragliche Ansprüche handelt (Az. T-19/07). In den in der Vergangenheit mit der Kommission geschlossenen Verträgen über die Nutzung der Software sind nämlich die Fragen der Weitergabe des Know-how von Systran an Dritte oder die Durchführung von Arbeiten, die die Rechte des geistigen Eigentums der Systran-Gruppe beeinträchtigen könnten, nicht geregelt.
Hinsichtlich Rechtswidrigkeit des der Kommission zur Last gelegten Verhaltens ist das Gericht der Ansicht, dass die Systran-Gruppe eine wesentliche Ähnlichkeit zwischen den Versionen Systran Unix und EC-Systran Unix hinsichtlich des Kerns und gewisser Sprachprogramme nachgewiesen habe und dass sie folglich die Rechte an der Version Systran Unix, geltend machen könne, um sich der Weitergabe der abgeleiteten Version EC-Systran Unix, die seit 1997 von Systran Luxembourg an die Bedürfnisse der Kommission angepasst worden war, an Dritte ohne ihre Zustimmung zu widersetzen.
Die Kommission konnte indessen nicht nachweisen, auf welche Elemente des Kerns und der Sprachprogramme von Systran Unix sie insbesondere aufgrund ihrer Rechte an den von ihren Dienststellen eingegebenen Wörterbüchern Eigentumsansprüche geltend macht.
Des Weiteren habe Systran nachgewiesen, dass – entgegen dem Vorbringen der Kommission – für die in der Ausschreibung geforderte Optimierung der Zugriff auf die in der Version EC-Systran Unix übernommenen Elemente der Version Systran Unix und deren Änderung erforderlich sei.
Folglich habe die Kommission rechtswidrig gehandelt und die allgemeinen Rechtsgrundsätze auf dem Gebiet des Urheberrechts und des Know-how verletzt, indem sie sich ohne vorherige Zustimmung der Systran-Gruppe das Recht genommen habe, Arbeiten durchzuführen, die zu einer Änderung von in der Version EC-Systran Unix enthaltenen Elementen der Version Systran Unix der Software Systran führen mussten. Die außervertragliche Haftung der Kommission wird durch dieses Fehlverhalten, welches eine schwerwiegende Verletzung der Urheberrechte und des Know-how der Systran-Gruppe an der Version Systran Unix der Software Systran darstellt, begründet.
In Bezug auf den Schaden entschied das Gericht, dass Systran Schadenersatz in Höhe von 12.001.000 Euro als Ersatz des ihr durch das rechtswidrige Verhalten der Kommission entstandenen Schadens zu gewähren ist, nämlich
– 7 Millionen Euro für die Lizenzgebühren, die für die Jahre 2004 bis 2010 geschuldet worden wären, wenn die Kommission die Erlaubnis zur Nutzung der Rechte des geistigen Eigentums von Systran eingeholt hätte, um die in der Ausschreibung aufgelisteten Arbeiten durchzuführen;
– 5 Millionen Euro als Ersatz für die Auswirkungen, die das Verhalten der Kommission auf die von Systran in den Jahren 2004 bis 2010 erzielten Umsätze und im weiteren Sinne die Entwicklung dieses Unternehmens gehabt haben kann;
– 1.000 Euro als Ersatz des immateriellen Schadens.
Außerdem wies das Gericht darauf hin, dass es der Kommission obliege, die erforderlichen Schlussfolgerungen zu ziehen, um sicherzustellen, dass bei den Arbeiten an der Version EC-Systran Unix die Rechte von Systran an der Version Systran Unix berücksichtigt werden. Sollten diese Rechte nicht berücksichtigt werden, wäre Systran aufgrund des Umstands, dass der in der vorliegenden Rechtssache zugesprochene Schadenersatz nur den Zeitraum von 2004 bis zum Tag der Verkündung des vorliegenden Urteils betrifft, berechtigt, beim Gericht eine neuerliche Schadensersatzklage hinsichtlich des ihr möglicherweise noch entstehenden Schadens zu erheben.
Abschließend stellte der europäische Gerichtshof fest, dass die Verbreitung der vorliegenden Pressemitteilung auch zu einer faktischen Kompensation des immateriellen Schadens beiträgt, den die Rufschädigung von Systran durch das rechtswidrige Verhalten der Kommission darstellt.
Quelle: Pressemitteilung des EuGH vom 16.12.2010