Der EuGH hat entschieden: Ein Flug ist als „annulliert“ anzusehen, wenn die Fluggesellschaft ihn um mehr als eine Stunde vorverlegt. Den Passagieren sei nicht zuzumuten, sich so zu beeilen, dass die den Flug noch bekommen. Sie können stattdessen die volle Entschädigung verlangen.

Flugzeug, Runway, Flughafen, Asphalt, Fahrzeug

Wenn ein Flug um eine Stunde oder mehr vorverlegt wird, gilt er als „annuliert“, so der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in mehreren zusammengefassten Urteilen (v. 21.12.21, Rs. C-146/20, C-188/20, C-196/20, C-270/20, C-263/20, C-395/20). Einzige Ausnahme: Die Airline informiert die Passagiere mindestens 2 Wochen vorher.

Darum ging es in dem Fall

Das österreichische Landesgericht Korneuburg und das Landgericht Düsseldorf sind mit mehreren Rechtsstreitigkeiten zwischen Fluggästen sowie den Unternehmen Airhelp und flightright auf der einen Seite und den Fluggesellschaften Azurair, Corendon Airlines, Eurowings, Austrian Airlines und Laudamotion auf der anderen Seite befasst. Die Fluggäste bzw. die Unternehmen, an die sie ihre Ansprüche abgetreten haben, verlangen Ausgleichszahlungen wegen der Annullierung von Flügen. 

Diese beiden Gerichte haben dem EuGH eine Reihe von Fragen zu den Voraussetzungen gestellt, unter denen Fluggäste die in der Verordnung über Fluggastrechte (261/2004) vorgesehenen Ansprüche geltend machen können.  

Soforthilfe vom Anwalt

Sie brauchen rechtliche Beratung? Rufen Sie uns an für eine kostenlose Ersteinschätzung oder nutzen Sie unser Kontaktformular.

Wir sind bekannt aus

EuGH: Auch verfrühte Flüge gelten als annuliert

Der EuGH stellte nun fest: Ein Flug sei als „annulliert“ anzusehen, wenn die Fluggesellschaft ihn um mehr als eine Stunde vorverlegt – sofern sie dies nicht rechtzeitig (mindestens 2 Wochen vorher) mitgeteilt hat.

Diese Vorverlegung könne für die Fluggäste in gleicher Weise wie eine Verspätung zu schwerwiegenden Unannehmlichkeiten führen. Eine solche Vorverlegung nehme den Fluggästen die Möglichkeit, frei über ihre Zeit zu verfügen und ihre Reise oder ihren Aufenthalt nach Maßgabe ihrer Erwartungen zu gestalten. So könne die neue Abflugzeit den Fluggast u. a. zwingen, erhebliche Anstrengungen zu unternehmen, um seinen Flug zu erreichen. Es könne sogar sein, dass er, obwohl er alle erforderlichen Vorkehrungen getroffen hat, das Flugzeug nicht nehmen kann. 

Diese erhebliche Vorverlegung des Fluges bei gleichzeitig zu später Information führe damit zu einem Ausgleichsanspruch. In diesem Fall sei stets der Gesamtbetrag zahlen – d. h., je nach Entfernung, 250 Euro, 400 Euro oder 600 Euro. Das Flugunternehmen habe nicht die Möglichkeit, die etwaige Ausgleichszahlung um 50 % zu kürzen, mit der Begründung, dass es dem Fluggast eine anderweitige Beförderung angeboten habe, mit der er sein Endziel ohne Verspätung habe erreichen können.

Die Fluggesellschaft müsse außerdem den Fluggast darüber unterrichten, unter welcher genauen Unternehmensbezeichnung und Anschrift er eine Ausgleichszahlung verlangen kann und welche Unterlagen er seinem Verlangen gegebenenfalls beifügen soll. Sie müsse den Fluggast jedoch nicht über den genauen Betrag der Ausgleichszahlung unterrichten.

Hat der Fluggast den Flug über einen Vermittler (etwa einer elektronischen Plattform) gebucht, so reicht es grundsätzlich nicht, dass das Flugunternehmen dem Vermittler diese Vorverlegung rechtzeitig mitgeteilt hat, sofern der Vermittler diese Information nicht an den Fluggast weitergegeben hat. Ist der Reiseveranstalter Schuld daran, dass die Passagiere nicht rechtzeitig informiert wurden, könne die Airline nur den Veranstalter in Regress nehmen. Auf die Passagiere abwälzen kann sie den daraus resultierenden Anspruch aber nicht. Will die Fluggesellschaft das Risiko dieses Umwegs vermeiden, muss die die Vorverletzung dem Gast selbst mitteilen. Einzige Ausnahme: Der Gast hat den Vermittler ausdrücklich ermächtigt, diese Informationen entgegenzunehmen.

Weitere Klarstellungen des EuGH

Außerdem entschied der EuGH: Der Fluggast brauche keinen Flugschein der Fluggesellschaft, um seine Ansprüche geltend zu machen. Es reiche, wenn er von seinem Reiseunternehmen einen anderen Beleg erhalten habe, aus dem Abflug- und Ankunftsort, Abflug- und Ankunftszeit und Flugnummer hervorgingen. Dieser gelte dann als bestätigte Buchung. Vom Passagier könne nicht verlangt werden, dass er sich Informationen über die Beziehungen zwischen dem Reiseunternehmen und dem Luftfahrtunternehmen beschaffe.

Auch spiele es keine Rolle, ob das Reiseunternehmen von dem betreffenden Luftfahrtunternehmen eine Bestätigung in Bezug auf die Abflug- und Ankunftszeit dieses Fluges erhalten oder überhaupt nur eine Buchung bei dem Flugunternehmen vorgenommen habe. Die Ansprüche bestünden dennoch.

Auch zu Ansprüchen bei Verspätungen äußerte sich der EuGH: Ein Flug könne nicht als „annulliert“ angesehen werden, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen dessen Abflugzeit ohne sonstige Änderung des Fluges um weniger als drei Stunden verschiebt.

ahe