Zu Zeiten der Coronapandemie mussten viele Pauschalreisen wegen staatlicher Corona-Maßnahmen abgesagt oder gar abgebrochen werden. Die Reiseveranstalter wollten die Reisepreise dennoch nicht mindern oder vollständig erstatten und beriefen sich auf die Pandemie als höhere Gewalt. Dagegen gingen einige Kunden vor; ein Fall gelangte nun bis vor den EuGH. Generalanwältin Medina hat in diesem nun ihre Schlussanträge gestellt.
Nach Ansicht von Generalanwältin Medina haben Urlauber, die ihre Reise abbrechen mussten, auch dann einen Anspruch auf eine Preisminderung der Pauschalreise, wenn die Vertragswidrigkeit auf Maßnahmen in der Corona-Pandemie zurückzuführen ist. Die Höhe der Preisminderung müsse unter Berücksichtigung der Umstände angemessen sein, über die konkrete Höhe sollten die nationalen Gerichte im Einzelfall entscheiden. Die Erstattung müsse zudem in Geld vorgenommen werden, eine Entschädigung in Form eines Gutscheines genüge nicht (Schlussanträge v. 15.09.2022, Rs. C‑396/21 und C‑407/21).
In dem konkreten Fall der Rechtssache C‑396/21 hatten Urlauber eine vierzehntägige Reise von Deutschland auf die Kanarischen Inseln gebucht. Schon am siebten Tag mussten die Urlauber die Reise wegen Coronamaßnahmen abbrechen und nach Deutschland zurückkehren. Sie erhoben Klage und verlangten eine Preisminderung in Höhe von 70% des Reisepreises. Im Zuge des Verfahrens legte das Landgericht München I dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Frage vor, ob ein Anspruch auf Minderung des Pauschalreisepreises auch dann nach Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 (Pauschalreisen-Richtlinie) bestehe, wenn die Vertragswidrigkeit auf den coronabedingten staatlichen Einschränkungen beruhe.
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Die Ansicht von EuGH-Generalanwältin Medina
Generalanwältin Medina hat zu dieser Frage nun ihre Schlussanträge gestellt. Sie ist der Auffassung, dass der Reiseveranstalter durch die Umstände der Corona-Pandemie nicht von seiner Minderungspflicht befreit ist. Der Anspruch der Urlauber auf eine Minderung des Reisepreises bleibe somit bestehen. Medina begründet dies mit dem Zweck der Richtlinie 2015/2302, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten. Die einzige Voraussetzung für eine Minderung sei nach dieser eine Vertragswidrigkeit. Die alleinige Ausnahme hiervon ist, wenn die entsprechende Vertragswidrigkeit dem Urlauber zuzurechnen ist. Zwar sei die Pandemie auch nach Medina ein unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstand höherer Gewalt, allerdings sei dieser Umstand nicht dem Urlauber zuzurechnen. Die Ausnahme greife in dieser Situation deshalb nicht.
Die konkrete Höhe der Preisminderung müsse laut Medina unter Berücksichtigung aller Umstände im Einzelfall von den nationalen Gerichten festgelegt werden. Den Reiseveranstalter dürfe keine Haftung für entgangene Leistungen treffen, die überhaupt nicht Teil des Reisvertrags waren. Berücksichtigt werden sollten bei der Höhe der Minderung insbesondere auch durch die Pandemie entstandene Liquiditätsprobleme der Reiseveranstalter. Weitere mögliche Punkte, die nach der Generalanwältin berücksichtigt werden könnten, sind:
- Die Ursache der Vertragswidrigkeit
- Das etwaige Vorliegen eines Verschuldens des Reiseveranstalters
- Die Möglichkeit, dass der Reiseveranstalter für an den Reisenden geleistete Zahlungen in der Lieferkette vorgelagerte Beteiligte oder staatliche Gelder in Anspruch nehmen kann
Die Ausstellung der Geldsumme in Form eines Gutscheines werde den Ansprüchen der Urlauber allerdings nicht gerecht. Nach Unionsrecht müsse die Erstattung der Summe in Geld erfolgen. Bei einem Berufen auf höhere Gewalt, um von dem Unionsrecht abzuweichen, müsse nachgewiesen werden, dass ein solches Abweichen überhaupt notwendig ist. Medina hält ein Abweichen, um den Schwierigkeiten der Reiseveranstalter zu begegnen, vorliegend allerdings weder für erforderlich noch für verhältnismäßig. Eine Entschädigung durch Ausstellung eines Gutscheins benachteilige den Reisenden unverhältnismäßig. Dies ging aus Medinas Schlussanträgen zu einem ähnlichen Sachverhalt in der Rechtssache C-407/21 hervor.
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Noch keine abschließende Entscheidung
Ein abschließendes Urteil des EuGH zu der vorgelegten Frage liegt allerdings noch nicht vor. Als Generalanwältin unterstützt Medina den EuGH mit den erstellten Rechtsgutachten („Schlussanträgen“) bei der Entscheidungsfindung. Die Anträge sind für diesen allerdings nicht bindend. Sie sind eher mit einem neutralen, unabhängig entwickelten Vorschlag für die Gerichtsentscheidung vergleichbar. Eine abschließende Entscheidung des EuGH gilt es daher abzuwarten.
Übrigens: Der EuGH beschäftigt sich gerade mit einer weiteren Frage zum Thema Reisen in der Pandemie. Hierbei soll entschieden werden, ob bei nach einem Reiserücktritt auftauchenden Umständen der Anspruch des Veranstalters auf Stornogebühren entfällt.