Bereits zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit ist das Amazon-Logistikzentrum in Winsen in den Schlagzeilen. Damals ging es um die zulässige Überwachung der Arbeitnehmer und ihrer Arbeitsschritte mit einer bestimmten Software. Nun entschied das ArbG Lüneburg über die außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsvorsitzenden. Möchte Amazon gezielt Mitglieder des Betriebsrates loswerden oder war die Kündigung im konkreten Fall sogar gerechtfertigt?
Betroffen ist der Betriebsrat am Standort Winsen (Luhe). Für die Teilnahme am Deutschen Betriebsrätetag vom 8. November 2022 bis zum 10. November 2022 reiste der Betriebsratsvorsitzende auf Kosten seines Arbeitgebers mit drei weiteren Betriebsratsmitgliedern nach Bonn. Am 9. November verließ er die Veranstaltung bereits am Vormittag und fuhr aus privaten Gründen nach Düsseldorf. In seinem Arbeitszeitnachweis gab er allerdings an, am 9. November einige Stunden Betriebsratsarbeit geleistet zu haben. Darin sah der Arbeitgeber (Amazon) einen Arbeitszeitbetrug und beantragte beim Betriebsrat die Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden. Nachdem dieser die erforderliche Zustimmung nicht erteilte, beantragte der Arbeitgeber beim Arbeitsgericht (ArbG) Lüneburg die Ersetzung der Zustimmung. Das ArbG gab dem Antrag statt (Beschl. v. 05.04.2023, Az. 2 BV 6/22).
Arbeitszeitbetrug führte zu tiefgreifender Erschütterung des Vertrauens
Dem Betriebsratsvorsitzenden wurde vorgeworfen, nur am ersten von drei Tagen beim Betriebsrätetag anwesend gewesen und ansonsten „ausschließlich privaten Angelegenheiten nachgegangen“ zu sein. Dass er am 9. November privat nach Düsseldorf reiste, gab der Vorsitzende im Rahmen einer Einlassung vor Gericht zwar zu. Seine Aussage, dass er in dieser Zeit auch Betriebsratstätigkeiten nachgegangen war, stand jedoch im Widerspruch zu Äußerungen, die er gegenüber seinen mitgereisten Kollegen getätigt hatte. Es bestand damit der dringende Verdacht, dass der Betriebsratsvorsitzende bewusst falsche Angaben zu seiner Arbeitszeit gemacht hatte.
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Das eigenmächtige vorzeitige Verlassen der Betriebsräteveranstaltung, um privaten Interessen nachzugehen sowie der Verdacht einer versuchten Täuschung über stattdessen geleistete Betriebsratstätigkeit sei laut ArbG in der Gesamtschau dazu geeignet, das Vertrauen des Arbeitgebers in seinen Arbeitnehmer tiefgreifend zu erschüttern. Aus diesem Grund nahm das Gericht das Vorliegen eines „wichtigen Grundes“ im Sinne des § 626 BGB für eine außerordentliche Kündigung an. Ob Amazon den Vorsitzenden gezielt und nur aufgrund seiner Betriebsratstätigkeit gekündigt hatte, ist zumindest im vorliegenden Fall fraglich.
Die schriftliche Begründung des Beschlusses steht noch aus. Rechtskräftig werden der Beschluss und damit auch die außerordentliche Kündigung erst, wenn keine Rechtsmittel mehr eingelegt werden können. Der Betriebsratsvorsitzende hat jedoch bereits angekündigt gegen den Beschluss vorzugehen.
Besonderer Kündigungsschutz des Betriebsrats
Grundsätzlich genießen Betriebsratsmitglieder einen besonderen Schutz im Vergleich zu nicht im Betriebsrat tätigen Arbeitnehmern. Neben dem „normalen“ Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) gilt für Betriebsratsmitglieder ein besonderer Kündigungsschutz. Dieser wirkt während der gesamten Amtszeit und in abgeschwächter Form sogar darüber hinaus. Dies bedeutet, dass eine ordentliche Kündigung von Betriebsratsmitgliedern ausgeschlossen ist. Eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund, z.B. wegen eines besonders schwerwiegendes Fehlverhalten, bleibt hingegen weiterhin möglich. Erforderlich ist hierbei jedoch die Zustimmung des Betriebsratsgremiums (§ 103 BetrVG).
Ein besonders schwerwiegendes Fehlverhalten des Arbeitnehmers kann beispielsweise gegeben sein bei Tätlichkeiten gegenüber einem Kollegen, schweren Beleidigungen des Vorgesetzten, Diebstahl von Sachen des Arbeitgebers sowie in Fällen des Arbeitszeitbetruges. Dennoch muss stets im Einzelfall entschieden werden, ob eine dieser Verhaltensweisen tatsächlich geeignet ist eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Dies hat das ArbG im konkreten Fall aufgrund des spezifischen Verhaltens des Betriebsratsvorsitzenden jedenfalls angenommen.
Der Betriebsrat hat grundsätzlich darüber zu wachen, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen durchgeführt werden (§ 80 BetrVG). Der Grund für den besonderen Kündigungsschutz ist, dass Betriebsratsmitglieder nicht aus Sorge vor einer Kündigung in ihrer Amtsausübung beeinträchtigt werden sollen.
Vorgehen im Falle einer außerordentlichen Kündigung
Erhält ein Betriebsratsmitglied eine außerordentliche Kündigung, ist es wichtig, dass bereits im Zustimmungsersetzungsverfahren alle Mittel zur Verteidigung gegen die Kündigung aufgebracht werden, da das Gericht bereits zu diesem Zeitpunkt über das Vorliegen eines „wichtigen Grundes“ entscheidet.
Außerdem müssen auch Betriebsratsmitglieder beachten, dass eine Kündigungsschutzklage nur innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung eingereicht werden kann.
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