Wer beim Sex entgegen der Absprache mit seinem Partner oder seiner Partnerin heimlich das Kondom entfernt, macht sich strafbar. Bei der Strafbarkeit vom sogenannten „Stealthing“ ist es nicht von Bedeutung, ob der Geschlechtsverkehr einvernehmlich stattfand, entschied das OLG Schleswig-Holstein und hob damit die Entscheidung der Vorinstanz auf, die den Mann freigesprochen hatte.
Schon im vergangenen Jahr entschied das Kammergericht (KG) Berlin als erstes Obergericht, dass das heimliche Abstreifen eines Kondoms den Tatbestand des sexuellen Übergriffs gemäß § 177 StGB erfüllen könne (Beschluss vom 13.08.2020, Az. 4 – 58/20). Der Tatbestand schütze sowohl die Entscheidung, ob überhaupt Geschlechtsverkehr stattfinden solle, als auch darüber, unter welchen Voraussetzungen dies geschehen könne. Das Gericht bejahte das Vorliegen eines sexuellen Übergriffs jedenfalls, sofern es zur Ejakulation komme.
AG Kiel: „Stealthing“ kein Widerspruch zu § 177 StGB
Das Amtsgericht Kiel (AG) hatte im November in einem ähnlichen Fall einen Mann freigesprochen, der sich beim Sex heimlich das Kondom abstreifte, ohne dass seine Partnerin dies bemerkte (Urteil vom 17.11.2020, Az. 38 Ds 559 Js 11670/18).
Der Geschlechtsverkehr fand zunächst einvernehmlich statt. In einer Pause hatte der Mann dann heimlich das Kondom abgezogen, ohne dass die Frau dies bemerkte. Es kam, entgegen dem Willen der Frau, zum ungeschützten Verkehr. Sie habe dem Mann zuvor ausdrücklich, wie auch schon in der Vergangenheit, mehrfach zu verstehen gegeben, dass sie Geschlechtsverkehr nur dann wolle, wenn ein Kondom verwendet werde. Erst nach dem Geschlechtsakt bemerkte sie das fehlende Kondom.
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Das AG Kiel bewertete das Verhalten des Mannes als straflos. Der Tatbestand des § 177 StGB, der den sexuellen Übergriff unter Strafe stellt, sei nicht erfüllt. Die Richter begründeten ihre Entscheidung mit dem Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz (GG), welches besagt, dass Straftatbestände nicht zulasten des Täters ausgedehnt werden dürfen. § 177 StGB verlange einen Widerwillen, der sich allein auf eine sexuelle Handlung beziehe.
Im aktuellen Fall jedoch war der Geschlechtsverkehr aber einvernehmlich. Nach § 177 StGB sei nur ein Willensbruch, aber keine Täuschung, strafbar. Diese Argumentation unterstütze auch das 50. Strafänderungsgesetz aus dem Jahr 2016, das unter dem Prinzip „Nein heißt Nein“ auf das Erfordernis von Gewaltanwendung zur Erfüllung von Sexualstraftatbeständen verzichtete. Dies ändere jedoch nichts an der Tatsache, dass Täuschungen gerade nicht von § 177 StGB unter Strafe gestellt sind.
Außerdem käme die Gleichstellung des „Stealthings“ (abgeleitet von dem englischen Begriff „stealth“, was mit Heimlichkeit übersetzt werden kann) mit einer Vergewaltigung der Verharmlosung von Vergewaltigungen gleich und würde den Opfern von Vergewaltigungen nicht gerecht. Solange „Stealthing“ nicht ausdrücklich unter Strafe gestellt sei, scheide eine Strafbarkeit nach § 177 StGB aus.
Einzig und allein entscheidend wäre das Einvernehmen der Frau mit dem Geschlechtsverkehr. Dieses lag hier vor.
Gegen diese Entscheidung hatten Staatsanwaltschaft und Nebenklägerin erfolgreich Berufung eingelegt.
OLG Schleswig-Holstein: Heimliches Abstreifen eines Kondoms als sexueller Übergriff
Das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig-Holstein kam zu einem anderen Ergebnis als die Vorinstanz (Urteil vom 19.03.2021, Az. 2 OLG 4 Ss 13/21). „Stealthing“ könne grundsätzlich den Tatbestand des § 177 StGB erfüllen.
Schließlich sei das Einvernehmen durch das heimliche Abziehen des Kondoms gebrochen worden. Durch diese List entscheide der Träger des Kondoms heimlich über den Willen der Geschädigten. Beim „Stealthing“ handele es sich daher um eine Straftat.
Das OLG hat die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zum AG Kiel zurückverwiesen.
lrö