Die Reaktionen auf die Pläne zu einer Internet-Entdeckerreise der Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung (Schufa) waren eindeutig. Datenschützer sprachen von einer „neuen Dimension des Datenmissbrauchs“, Politiker sahen eine Entwicklung der Auskunftei hin „zum Big Brother des Wirtschaftslebens“, das Unternehmen selbst nannte es „Grundlagenforschung“ zur Erhaltung der „Qualitätsführerschaft“. Wegen massiver Kritik wurde das Facebook-Projekt inzwischen gestoppt – aber ist das darin enthaltene Ziel auch wirklich vom Tisch?
Der mediale Aufschrei war groß, als durch einen Bericht des NDR öffentlich bekannt wurde, dass Deutschlands führende Wirtschaftsauskunftei Schufa plant, persönliche Daten in sozialen Netzwerken einzusammeln. Immerhin sind beim in Wiesbaden ansässigen Unternehmen die Daten von über 66 Millionen Deutschen erfasst. Diese sollen offensichtlich durch die zahlreichen Informationen ergänzt werden, die Internetnutzer mittlerweile im weltweiten Datennetz von sich preisgeben.
Wie arbeitet die Schufa bisher?
Geschäftszweck der Schufa ist es, deren Geschäftspartner vor Kreditausfällen zu bewahren. Geschäftspartner sind neben Kreditkartenunternehmen, Kreditinstituten und Leasinggesellschaften auch Handels- und Telekommunikationsunternehmen, welche Lieferungen und Leistungen auf Kredit anbieten. Auch viele Vermieter nutzen mittlerweile die Dienste der Auskunftei. Nach eigenen Angaben leistet das Unternehmen somit auch einen wesentlichen Betrag zum Schutze der Verbraucher vor dem eigenen Überschulden.
Die Daten, welche das Unternehmen zur Errechnung der Wahrscheinlichkeit eines Kreditausfalls benötigt, werden zum großen Teil von den Banken und den anderen Vertragspartnern geliefert. Dazu ist die Einwilligung des Kunden erforderlich. Daneben erhebt die Schufa jedoch auch einige Daten selbst, zum Beispiel aus öffentlichen Quellen wie die Schuldnerverzeichnisse der Amtsgerichte. Diese Vorgehensweise ist unter Datenschützern bereits seit langem umstritten, da die Daten zwar öffentlich zugänglich sind, diese jedoch in eine rein private Datenbank eingestellt und digitalisiert werden.
Was plante die Schufa?
Die Schufa hatte mit dem Hasso-Plattner-Institut (HPI) an der Universität Potsdam das Forschungsprojekt „SchufaLab@HPI“ initiiert. Ziel des Projekts laut Pressemitteilung war „die Analyse und Erforschung von Daten aus dem Web.“ Forschungsschwerpunkte seien zum einen die Validität von Daten und zum anderen Technologien zur Gewinnung von Daten.
Konkret auf die Schufa übertragen bedeutet das: Das Unternehmen wollte zum einen wissen, welche personenbezogene Daten für die Ermittlung des Ausfallrisikos von Nutzen sein können und zum anderen, wie man an diese Daten herankommt. Interessanteste Anlaufstelle zur Datenerhebung dürfte in so einem Falle Facebook sein, da hier die Profile von mittlerweile über 20 Millionen deutscher Nutzer komprimiert in einem einzigen sozialen Netzwerk zu finden sind. Aber auch weitere Internetdienste wie der Kurznachrichtendienst Twitter, der Geodatendienst Google Street View, Personensuchmaschinen wie Yasni und Mitarbeiterverzeichnisse von Unternehmen könnten relevante Datenquellen sein.
Das Forschungsprojekt war auf drei Jahre angelegt. Die Ergebnisse sollten dann der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Inwiefern aus Zwischenergebnissen bereits schon konkrete Handlungen hervorgegangen wären und welche Absichten nach Projektende hätten verfolgt werden sollen blieb bis zuletzt offen.
Was sagen Politik und Datenschützer zu den Plänen?
Datenschützer, Experten und Politiker jeder Couleur standen dem Vorhaben der Auskunftei skeptisch bis empört gegenüber. Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) warnte, die Schufa dürfe nicht „zum Big Brother des Wirtschaftslebens werden“. Sie forderte die vollständige Aufklärung über die Hintergründe und Ziele des Forschungsauftrags. Unterstützung erhielt sie von Kabinettskollegin Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), welche die Arbeitsweise der Schufa generell in Frage stellte: „Welche Daten dazu führen, ob jemand als zahlungsfähig eingestuft wird, ist jetzt schon umstritten. Die Einstufung der sogenannten Zahlungsfähigkeit muss endlich vollständig nachvollziehbar sein.“ Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Ulrich Kelber nannte die Planspiele der Schufa ein „Horrorszenario“. Bernd Schlömer, Vorsitzender der Piratenpartei sprach von einem „Angriff auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung“. Am weitesten ging der Innenexperte der Grünen Konstantin Notz: „Wir fordern die Schufa als auch das Plattner-Institut auf, das Projekt sofort einzustellen.“ Das Vorhaben verletze das verfassungsrechtlich garantierte Persönlichkeitsrecht und sei „Kaffeesatzleserei mit unabsehbaren Folgen“.
Die Undurchsichtigkeit des Schufa-Plans nährte solche Einschätzungen. So wurde bekannt, dass das Projekt zum Beispiel auch eine Methode zur „automatisierten Identifikation von Personen öffentlichen Interesses, Verbraucherschützern und Journalisten“ als Ergebnis hervorbringen soll. Schleswig-Holsteins Landesdatenschutzbeauftragter Thilo Weichert zeigte sich fassungslos: „Sollte die Schufa die gewonnenen Daten tatsächlich einsetzen, wäre das eine völlig neue Dimension. Deutliche Worte fand auch der Präsident des Internet-Branchenverbands Bitkom: „Nicht alles, was technisch möglich ist, sollte in die Praxis umgesetzt werden“.
Alexander Graubner-Müller, Cheftechniker des Start-ups Kredito, welches Kleinkredite über das Internet vergibt, kennt sich mit Facebook-Datensätzen aus. Sein Unternehmen nutzt bereits das soziale Netzwerk im Rahmen der Kreditvergabe – allerdings nur nach Einwilligung des Kunden und nur zur Identitätsfeststellung. Er glaubt, bereits einen Stolperstein beim einstigen Schufa-Vorhaben gefunden zu haben. Zwar sei Facebook dazu geeignet, anhand des Alters des Profils und der Anzahl der Freunde die Existenz einer Person festzustellen. Hinsichtlich der Kreditwürdigkeit bestünde jedoch ein Zuordnungsproblem. Nach wie vor würden viele Accounts unter Pseudonymen angelegt. Welches Facebook-Profil und welcher Twitter-Account gehören also zu welchem Schufa-Datensatz?
Währenddessen sorgte das Vorhaben offensichtlich auch bei der Schufa intern für Irritationen. Nach dapd-Informationen hatte die Schufa ihren eigenen Verbraucherbeirat, in welchem Verbraucherschützer, Wissenschaftler und Journalisten sitzen, nicht über die nun öffentlich gewordenen Pläne informiert. „Wir sehen es mit Befremden, dass über Inhalt und Ziel dieses Projekts mit dem Beirat vorher nicht gesprochen worden ist“, so eine vertrauliche E-Mail von fünf der 15 Mitglieder des Gremiums an den Vorstandsvorsitzenden Michael Freytag. Mit ihrer erhobenen Forderung nach einer schnellen Aufklärung über die Ziele der Schufa folgten die Beiräte der öffentlichen Meinung.
Was sagte die Schufa zu den Plänen?
Die Schufa selbst versuchte die Situation verständlicherweise wieder einzufangen und ließ auf Nachfrage ausrichten: „Es geht nur um Daten, auf die jedermann jederzeit öffentlich zugreifen kann.“ Das Hasso-Plattner-Institut sei gezielt ausgesucht worden und man werde zusammen „nur im deutschen Rechtsrahmen agieren“. Eine Zusicherung, die angesichts der Intransparenz, mit welcher die Schufa das Projekt startete, zu Recht auf Skepsis gestoßen ist.
Wie am Freitagnachmittag (08.06.2012) bekannt wurde, ist das Facebook-Projekt in Zusammenarbeit mit dem Hasso-Plattner-Institut gestoppt. Jedoch zog nicht die Schufa selbst die Konsequenzen aus der öffentlichen Kritik, sondern das HPI kündigte den Vertrag mit der Auskunftei. Wegen „mancher Missverständnisse in der Öffentlichkeit“ über das Ziel des Projekts könne es nicht unbelastet und mit der nötigen Ruhe durchgeführt werden, so HPI-Direktor Christoph Meinel. Bleibt abzuwarten, ob auch die Schufa daran interessiert ist, Missverständnisse in Zukunft zu vermeiden, oder ob sie weitere Projekte ins Leben rufen wird, um „ihre Qualitätsführerschaft zu sichern“.