Nach wie vor scheint ein großes Fragezeichen über der Frage zu schweben, unter welchen Voraussetzungen sich die Aktivisten der „Letzten Generation“ für die Straßenblockaden strafbar machen. Das KG Berlin schafft nun Klarheit und konkretisiert die Strafbarkeitsvoraussetzungen. Dabei stellt das Gericht unter anderem auf eine zeitliche Komponente ab.
Straßenblockaden der „Letzten Generation“ können zu einer Strafbarkeit der Aktivisten wegen Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte führen – zumindest wenn die Protestaktionen in Zukunft so ablaufen wie bisher. Dennoch bedarf es stets einer Einzelfallabwägung der Gerichte, wie das Kammergericht (KG) Berlin nun festlegte. Das KG hob in diesem Zuge auch ein Urteil des Amtsgerichts (AG) Tiergarten gegen eine Aktivistin auf (KG Berlin, 21.08.2023 – Az. 3 ORs 46/23).
Im vergangenen Jahr nahm eine 22-jährige Studentin an einer Straßenblockade der „Letzten Generation“ teil. Dabei klebte sie sich mit Sekundenkleber auf die Straße und verursachte dadurch eine Verkehrsbehinderung – bis die Polizei eintraf, den Kleber löste und sie von der Fahrbahn entfernte. Das AG Tiergarten verurteilte die Studentin wegen dieses Vorfalls wegen Nötigung nach § 240 StGB in Verbindung mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 StGB zu einer Geldstrafe. Jedoch wurde die Beweisführung als unzureichend betrachtet, was das KG Berlin dazu veranlasste, die Entscheidung aufzuheben und den Fall an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen.
Der Beschluss des KG ist von besonderer Bedeutung, da es in Bezug auf die Aktivisten der „Letzten Generation“ bislang nur wenige Urteile von Oberlandesgerichten (OLG) gibt. Die OLGs sind die letzte Instanz für Verfahren, die in der Regel erstinstanzlich vor den Amtsgerichten verhandelt werden. Das KG Berlin äußert sich in diesem Fall zu den beiden zentralen Anklagepunkten, nämlich Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Nötigung.
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KG Berlin stellt auf Zeitkomponente ab
Laut KG komme ein Widerstand in Betracht, weil die Aktivisten durch das Festkleben ein staatliches Handeln, nämlich die Räumung der Straße, erschwerten. Darüber hinaus stellt der Senat klar, dass grundsätzlich eine Strafbarkeit vorliegen kann, wenn sich die Täter schon vor Beginn der Vollstreckungshandlung auf der Fahrbahn mit Sekundenkleber festkleben, um damit die alsbaldige Räumung durch die Polizei zu erschweren. Das Festkleben gleiche hier einem Selbstanketten. Außerdem hätten die Polizisten rund eine Minute gebraucht, um die Aktivisten vom Kleber zu lösen, was laut den Berliner Richtern ebenfalls ein Indiz für einen gewaltsamen Widerstand sei.
In Bezug auf den Tatbestand der Nötigung legte das KG den Gerichten nahe, sich mit der Ankündigung der Blockade durch die Organisation, der Dauer der Blockade, der Art und dem Ausmaß der Behinderung, den Beweggründen der angeklagten Personen sowie dem Zweck und der Zielsetzung der Demonstration auseinanderzusetzen. Das KG betonte, dass anhand dieser Kriterien eine Einzelfallprüfung erforderlich sei, um die Verwerflichkeit des Handelns der Aktivisten zu begründen.
Schon seit der ersten Straßenblockade wird heftig über die Strafbarkeit der Aktivisten diskutiert. Verschiedene Amtsgerichte kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen in der Rechtsprechung. Das KG bringt nun Klarheit in die Richtlinien, anhand derer die Prüfung der beiden Hauptdelikte, also Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, erfolgen sollte. Bezüglich des vorliegenden Falls bleibt abzuwarten, wie das AG Tiergarten unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des KG eine Entscheidung treffen wird.
Letzte Generation lässt sich nicht beeindrucken
Und während das KG die Strafbarkeitsvoraussetzungen für das Festkleben an den Straßen konkretisiert, macht die letzte Generation mit der nächsten Aktion weiter. Heute wird sich ein Aktivist vor dem AG Tiergarten verantworten müssen, weil er mit fünf weiteren Unterstützern die Glasskulptur „Grundgesetz 49“ unweit des Bundestags mit einer schwarzen Flüssigkeit übergossen hat. Bei der Protestaktion vom vergangenen März hat der Aktivist an dem Denkmal zudem noch ein Plakat mit der Aufschrift „Erdöl oder Grundrechte“ angebracht. Der Sachschaden betrug etwa 1000 Euro. Für den Prozess ist ein Verhandlungstag geplant. In Betracht kommt eine Strafbarkeit wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung.
agr