Die Ereignisse in den USA überschlagen sich zur Zeit. Nach dem Sturm auf das Kapitol durch militante Trump-Anhänger wird der sofortige Rücktritt des Noch-Präsidenten gefordert. Die Demokraten drohen mit einem Amtsenthebungsverfahren. Seit langem erwägt Trump angeblich, sich selbst zu begnadigen, um nach Ende seiner Amtszeit zahlreichen strafrechtlichen Verfahren zu entgehen. Doch ist das rechtlich möglich? Der Kölner Rechtsanwalt Christian Solmecke beantwortet die wichtigsten Fragen.
Die höchst unsichere politische Lage in den USA hält an. Nach dem Sturm auf das Kapitol, dem Herzen der amerikanischen Demokratie, am Mittwoch, den 6. Januar 2021, treiben die US-Demokraten ein Amtsenthebungsverfahren gegen Trump voran. Politiker sind sich weltweit einig: Trump habe die Ausschreitungen angezettelt , indem er nach seiner Wahlniederlage seine Anhänger zu Gewalt angestachelt habe. Es wird dessen strafrechtliche Verfolgung für zahlreiche Vergehen während seiner Amtszeit gefordert. Doch ein Amtsenthebungsverfahren kann sich in die Länge ziehen. Dass es zum Zeitpunkt der Amtseinführung des designierten Präsidenten Joe Biden am 20. Januar 2021 abgeschlossen sein wird, ist unwahrscheinlich. Es stellt sich die Frage, ob Trump sich bis dahin selbst begnadigen wird, um einer strafrechtlichen Verfolgung zu entgehen. Medienberichten zufolge hatte er diese Option nach seiner Wahlniederlage mehrfach mit seinen Beratern diskutiert.
Ist das ganze denn nun rechtlich möglich? Mit seiner eigenen Begnadigung würde Trump es jedenfalls dem russischen Präsidenten gleichtun. Wladimir Putin hatte erst kürzlich ein Gesetz unterzeichnet, welches ehemaligen russischen Präsidenten und ihren Familien lebenslange Straffreiheit garantiert. Der Kölner Rechtsanwalt Christian Solmecke beantwortet die wichtigsten Fragen zur Thematik inklusive der Fragestellung, ob eine solche Vorgehensweise auch in Deutschland möglich wäre.
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Warum überlegt Trump sich selbst zu begnadigen? Hat er was zu verbergen?
Christian Solmecke: „Das hat mehrere Gründe. Zum einen hat die New York Times recherchiert, dass Trump auf Bundesebene nur sehr wenige Steuern gezahlt haben soll, nämlich 750€ in den Jahren 2016 und 2017. In früheren Jahren sogar gar nichts. Steuervermeidung ist aber nicht per se illegal. Wenn er jedoch Einnahmen in seiner Steuererklärung, die er im Gegensatz zu seinen Vorgängern partout nicht veröffentlichen möchte, verschwiegen hat, könnte er Steuerhinterziehung begangen haben. Ob das der Fall ist, lässt sich erst in einem Ermittlungsverfahren klären, wenn seine Immunität nach Amtsende aufgehoben ist.
Zum anderen wird Trump vorgeworfen den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj dazu gedrängt zu haben, Ermittlungen gegen Joe Bidens Sohn – Hunter Biden – einzuleiten. Dabei steht die Frage im Raum, ob Trump daran eine Untersagung von Militärhilfen an die Ukraine im Rahmen des Krim-Konflikts gekoppelt haben soll. Zu guter Letzt gibt es zahlreiche Frauen, die Trump des sexuellen Übergriffs bezichtigen.
Ob Trump Straftaten begangen hat, weiß nur er. Da er jedoch den Gedanken der Selbst-Begnadigung schon mehrfach ins Spiel gebracht hat, scheint er sich seiner weißen Weste nicht ganz sicher zu sein.“
Wen kann Trump begnadigen und kann er sich selbst begnadigen – auch vorbeugend?
Christian Solmecke: „Wen der US-Präsident begnadigen kann, regelt die US-Verfassung. Darin steht, dass der US-Präsident die Befugnis hat, Begnadigungen und Begnadigungen für Vergehen gegen die Vereinigten Staaten zu gewähren, außer Personen im Rahmen eines Amtsenthebungsverfahrens.
Damit ist es Trump ohne Weiteres möglich seine Familienangehörigen zu begnadigen. Zumindest in Bezug auf die Verfahren, die auf Bundesebene laufen.
Ob ein US-Präsident sich selbst begnadigen kann, ist in der US-Verfassung an keiner Stelle grundsätzlich ausgeschlossen. Es ist auch bisher nicht in der US-Geschichte vorgekommen, dass ein US-Präsident versucht hatte, sich selbst zu begnadigen.
Dagegen spricht jedoch, dass die US-Verfassung das Verb „to grant“, also „gewähren“ verwendet. Darum wird vertreten, dass man nur einer anderen Person etwas gewähren kann und nicht sich selbst. Außerdem kommt eine Begnadigung einem Urteil gleich. Ein Urteil kann man jedoch nicht über sich selbst sprechen – nur eine andere Person kann jemanden verurteilen.
Nimmt man an, dass der US-Präsident sich nicht selbst begnadigen kann, bliebe noch eine alternative Möglichkeit. Die könnte so aussehen, dass Trump noch während seiner verbliebenen Amtszeit zurücktritt, so dass sein Stellvertreter Mike Pence zum US-Präsidenten ernannt wird. Auf diese Weise könnte sich Trump von dem dann neuen US-Präsidenten begnadigen lassen. Dazu gleich mehr.
Eine Begnadigung eliminiert des Weiteren nicht alle Risiken einer Strafverfolgung. Die Begnadigung gilt nur auf Bundesebene – die einzelnen Bundesstaaten der USA können weiterhin strafrechtliche Ermittlungen einleiten.“
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Wie haben es Trumps Vorgänger gemacht? Wen begnadigten Obama und Co.?
Christian Solmecke: „Begnadigungen werden regelmäßig von US-Präsidenten vor allem gegen Ende ihrer Amtszeit gewährt. Berühmt ist zum Beispiel der Fall des republikanischen US-Präsidenten Richard Nixon, der im Zuge der Watergate-Affäre von seinem Amt zurückgetreten ist. Sein Vizepräsident und Nachfolger im Amt – Gerald Ford – hat Nixon begnadigt. Gerald Ford hat im Rahmen der sogenannten „Nixon-Pardon“ eine umfassende Begnadigung in Hinblick auf alle Verstöße gegen die Vereinigten Staaten gewährt, ohne auf konkrete Details zu benennen.
Diese Taktik könnte Donald Trump auch mit Mike Pence vereinbaren. Der damalige Fall von Nixon und Ford wurde vom Supreme Court nie auf seine Rechtmäßigkeit hin überprüft. Damit ist offen, ob einer Begnadigung grundsätzlich eine Anklage vorausgehen muss, auf die sich die Begnadigung richtet.
Trumps Vorgänger – Barack Obama – hat zahlreiche Strafgefangene freigelassen, die gezeigt haben sollen, dass sie eine zweite Chance verdienen. Darunter die bekannte Whistleblowerin Chelsea Manning. Ebenso hat er Haftstrafen verkürzt.
Auch Bill Clinton sorgte für Wirbel als er den Steuerflüchtling und Wirtschaftskriminellen Marc Rich begnadigte.“
Wie ist die Situation in Deutschland?
Christian Solmecke: „In Deutschland sind Begnadigungen auf Bundesebene laut Grundgesetz durch den Bundespräsidenten gestattet. In Angelegenheiten auf Länderebene ist dies – abhängig vom Bundesland – entweder der Landesregierung oder dem Ministerpräsidenten gestattet.
Der Bundespräsident als deutsches Staatsoberhaupt genießt immer Immunität während seiner Amtszeit. Die Bundeskanzlerin / der Bundeskanzler besitzt hingegen grundsätzlich keine Immunität. Wenn er jedoch – wie es normalerweise der Fall ist – über ein Bundestagsmandat verfügt, genießt er darüber Immunität.“
Wen kann der Bundespräsident begnadigen?
Christian Solmecke: „Das Grundgesetz stellt nur klar, dass der Bundespräsident das Begnadigungsrecht innehat. Da es keine Einschränkungen gibt, kommt für eine Begnadigung jeder in Betracht.
Das heißt, dass der Bundespräsident tatsächlich einen Bundeskanzler ohne Bundestagsmandat bzw. ohne politische Immunität vor einer Strafverfolgung begnadigen könnte. Ob das politisch sinnvoll ist, ist jedoch ebenso fraglich, wie ob ein potenzieller Amtsmissbrauch vorläge.
In Deutschland finden Begnadigungen kaum den Weg in die Öffentlichkeit. Dies wird vor allem mit dem Datenschutz begründet. Einzig die Gnadengesuche einiger RAF-Terroristen wurden publik. Davon wurde einigen stattgegeben, andere hingegen wurden abgelehnt.“
Wäre eine Selbstbegnadigung des Bundespräsidenten in Deutschland zulässig?
Christian Solmecke: „Auch Deutschland bleibt nicht von Politik-Posse verschont. So ist der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff im Februar 2012 aufgrund von Berichten über Vorteilsannahme im Rahmen der „Wulff-Affäre“ von seinem Amt zurückgetreten, nachdem die Staatsanwaltschaft Hannover die Aufhebung seiner Immunität beantragt hatte. Damals stand auch eine mögliche Selbstbegnadigung im Raum. Da diese nicht erfolgte, bleibt offen, ob das rechtlich wirksam gewesen wäre.
Aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit sollten Begnadigungen sowieso mit Vorsicht genossen werden. Immerhin setzt sich der Bundespräsident damit über das Urteil eines Gerichts hinweg. Insbesondere eine Selbstbegnadigung würde das Begnadigungsrecht ad absurdum führen, da das Begnadigungsrecht Menschen eine zweite Chance geben soll und nicht um sich selbst unantastbar zu machen.“
Kann es in Deutschland eine Situation wie bei Richard Nixon und Gerald Ford geben (oder potenziell Trump und Pence)?
Christian Solmecke: „Wenn der Bundespräsident zurücktritt, übernimmt der Stellvertreter die Amtsgeschäfte. Der Stellvertreter des Bundespräsidenten ist der Präsident des Bundesrates. Dieser übernimmt dann die Befugnisse des Bundespräsidenten.
Zum Zeitpunkt des Rücktritts von Christian Wulff war Horst Seehofer der Präsident des Bundesrates und übernahm so kommissarisch die Amtsgeschäfte des Staatsoberhaupts.
Hätte Horst Seehofer Christian Wulff begnadigen können?
Das Grundgesetz führt dazu aus, dass „die Befugnisse des Bundespräsidenten im Falle seiner Verhinderung oder bei vorzeitiger Erledigung des Amtes durch den Präsidenten des Bundesrates wahrgenommen werden“. Weitergehende Einschränkungen sind im Grundgesetz nicht vorhanden. Dies wäre auch unpraktikabel, da die Handlungsfähigkeit des Bundespräsidenten jederzeit gewährleistet werden muss.
Somit lässt sich die Frage mit „ja“ beantworten. Horst Seehofer hätte Christian Wulff begnadigen können, wenn die Staatsanwaltschaft während Seehofers kurzer Amtszeit bis zur Bundesversammlung im März 2012 Anklage erhoben hätte. Was sie aber letztlich erst im Frühjahr 2013 getan hat. Natürlich hätte auch Joachim Gauck als nachfolgender gewählter Bundespräsident Christian Wulff begnadigen können. Beides wäre jedoch rechtsstaatlich fraglich gewesen, da es gegenüber der Bevölkerung signalisiert hätte, dass „die Eliten“ sich der Gerichtsbarkeit entziehen würden.“