Nach den BAG-Urteilen zur Kündigung eines Piloten und einer Flugbegleiterin, die das Gericht aufgrund der fehlerhaften Massenentlassungsanzeige für unwirksam erklärt hatte, hat der Insolvenzverwalter der Air Berlin erneut Kündigungen gegenüber den betroffenen Mitarbeitern ausgesprochen. Gestützt auf den Widerspruch der Personalvertretung von Air Berlin (Restmandat) ist von einer erneuten Unwirksamkeit der Kündigung auszugehen. Deshalb raten wir dazu, auch diese Kündigungen mit der Kündigungsschutzklage anzugreifen.

Die Kün­di­gun­gen des bei der in­sol­ven­ten Flug­ge­sell­schaft Air Ber­lin an­ge­stell­ten Cock­pit-Per­so­nals sind wegen feh­ler­haf­ter Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge un­wirk­sam. Dies hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Ur­teil bereits am 27. Februar 2020 er­neut klar­ge­stellt. Das BAG wies dar­auf hin, dass die Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge bei der Agen­tur für Ar­beit zu er­stat­ten sei, in deren Be­zirk die Aus­wir­kun­gen der Mas­sen­ent­las­sung auf­tre­ten. Im ent­schie­de­nen Fall sei der ma­ß­geb­li­che Be­triebs­be­griff der Mas­sen­ent­las­sungs­richt­li­nie ver­kannt und des­we­gen die An­zei­ge nicht für den rich­ti­gen Be­trieb er­stat­tet wor­den.

Die Flug­ge­sell­schaft Air Ber­lin un­ter­hielt an meh­re­ren Flug­hä­fen so­ge­nann­te Sta­tio­nen. Die­sen war Per­so­nal für die Be­rei­che Boden (so­weit vor­han­den), Ka­bi­ne und Cock­pit zu­ge­ord­net. Der Klä­ger war bei der Air Ber­lin als Flug­ka­pi­tän be­schäf­tigt und der Sta­ti­on Köln zu­ge­ord­net. Die Ar­beits­ver­hält­nis­se des ge­sam­ten Cock­pit-Per­so­nals – ein­schlie­ß­lich das des Klä­gers – wur­den nach der am 01. November 2017 er­folg­ten Er­öff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens in Ei­gen­ver­wal­tung wegen Still­le­gung des Flug­be­triebs Ende No­vem­ber 2017 ge­kün­digt. Air Ber­lin er­stat­te­te die Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge für den an­ge­nom­me­nen „Be­trieb Cock­pit“ be­zo­gen auf das ge­sam­te bun­des­weit be­schäf­tig­te Cock­pit-Per­so­nal bei der für ihren Sitz zu­stän­di­gen Agen­tur für Ar­beit Ber­lin-Nord. Die­ses Be­triebs­ver­ständ­nis ent­sprach den bei der Air Ber­lin ta­rif­ver­trag­lich ge­trennt or­ga­ni­sier­ten Ver­tre­tun­gen für das Boden-, Ka­bi­nen- und Cock­pit-Per­so­nal (vgl. § 117 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz) und trug der zen­tra­len Steue­rung des Flug­be­triebs Rech­nung.

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Flugkapitän bestritt Still­le­gungs­ent­schei­dung

Der Klä­ger, ein Flugkapitän der Air Berlin, hatte die Still­le­gungs­ent­schei­dung be­strit­ten und die feh­len­de so­zia­le Recht­fer­ti­gung der Kün­di­gung gel­tend ge­macht. Der Flug­be­trieb werde durch an­de­re Flug­ge­sell­schaf­ten (teil­wei­se) fort­ge­führt, dar­un­ter auch das so­ge­nann­te Wet Lease, welches Air Berlin seit Anfang 2017 für Unternehmen der Lufthansa-Gruppe, insbesondere für die Eurowings GmbH durchführte.

Er hatte geltend gemacht, dieses Wet-Lease für Eurowings sei auf die LGW übertragen worden. Dabei habe es sich nicht um eine bloße Funktionsnachfolge gehandelt, da nicht allein die bloße Tätigkeit übernommen wurde, sondern sämtliche Betriebsmittel (Nutzung von Flugzeugen und Slots). Auch sei in erkennbarer Qualität Personal eingestellt worden, das zuvor bei Air Berlin tätig war. Von der Station Köln sei ausschließlich Wet Lease für Eurowings durchgeführt worden. Deshalb sei sein Arbeitsverhältnis gemäß § 613a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) auf die LGW übergegangen und die Kündigung gemäß § 613a IV BGB unwirksam. Angesichts dessen habe auch eine Sozialauswahl nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) durchgeführt werden müssen.  

Die Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge sei feh­ler­haft. Die Vor­in­stan­zen haben die Kün­di­gungs­schutz­kla­ge ab­ge­wie­sen.

Kün­di­gung un­wirk­sam

Die Re­vi­si­on des Flugkapitäns hatte vor dem Achten Senat BAG sodann aber Er­folg. Wie zuvor be­reits der Sechs­te Senat des BAG ent­schie­den hat, han­del­te es sich nach An­sicht des Ge­richts aus­ge­hend von dem durch die Richt­li­nie 98/59/EG de­ter­mi­nier­ten Be­triebs­be­griff bei den Sta­tio­nen der Air Ber­lin um Be­trie­be im Sinn des § 17 Abs. 1 KSchG. Folg­lich hätte die Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge für das der Sta­ti­on Köln zu­ge­ord­ne­te Cock­pit-Per­so­nal bei der dafür zu­stän­di­gen Agen­tur für Ar­beit in Köln er­fol­gen müs­sen. Diese erfolgte aber bei der Agentur für Arbeit Berlin-Nord. Diese hatte keine Zweifel an der Richtigkeit der Anzeige geäußert. Allein die Anzeige bei der örtlich unzuständigen Agentur für Arbeit Berlin-Nord, die zudem nicht die erforderlichen Angaben enthielt, bewirkte die Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung.

Die Frage eines etwaigen Betriebs(teil)übergangs, der im Einklang mit der Richtlinie 2001/23/EG auszulegen ist, sowie die sich gegebenenfalls anschließende Frage einer etwa erforderlichen Sozialauswahl nach dem KSchG hat das BAG aufgrund der bereits vorliegenden formellen Unwirksamkeit der Kündigungen offen gelassen.

Allerdings sei nach dem BAG nicht auszuschließen, dass die Kündigung auch mangels sozialer Rechtfertigung unwirksam sei. Es spräche zwar nichts dafür, dass die sog. Stationen „wirtschaftliche Einheiten“ im Sinne von § 613a BGB und der Richtlinie 2001/23/EG waren.

Anderes könnte jedoch für das sog. Wet Lease für eine andere Fluggesellschaft in Betracht kommen, der von einer weiteren Fluggesellschaft fortgesetzt wurde.

Denn für die Frage, ob ein Betriebs(teil)übergang im Sinne der RL 2001/23/EG und damit im Sinne von § 613a BGB stattgefunden habe, sei im Bereich des Luftverkehrs der Übergang von Material als eines der wesentlichen Kriterien der Beurteilung anzusehen. Weitere bedeutsame Kriterien seien daneben insbesondere eine Übernahme von Ausrüstungsgegenständen, ein Eintritt in bestehende Charterflugverträge, eine Ausweitung von Flügen auf vom etwaigen Veräußerer bedingte Routen sowie eine Reintegration von Beschäftigten und deren Einsatz von Tätigkeiten, die mit ihren bisherigen Aufgaben übereinstimmen.

Ob und gegebenenfalls inwieweit sich dabei im Bereich des Luftverkehrs ein Einsatz wechselnden bzw. rotierenden Personals auf die rechtliche Beurteilung auswirkt, sei eine in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der europäischen Union ungeklärte Frage der Auslegung der RL 2001/23/EG.

Dies ist ein wichtiger Hinweis des Senats! Denn diese Frage könnte dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Vorabentscheidung vorgelegt werden.

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Hinsichtlich einer klagenden Flugbegleiterin hatte der 6. Senat des BAG mit Urteil vom 14. Mai 2020 dagegen entschieden, dass zwar die Kündigung formell nach § 17 I, III i.V.m. § 134 BGB wegen Verkennung des Betriebsbegriffs unwirksam sei. Das BAG verneinte jedoch das Vorliegen eines Betriebs(teil)übergangs auf die LGW und auf andere Erwerber. Mangels hinreichender Zuordnung von Arbeitnehmern bei Air Berlin sei das Wet Lease zu keinem Zeitpunkt ein Betriebsteil gewesen, der auf den Erwerber hätte übergehen können BAG, Az. 6 AZR 235/19).

Nachdem diese Urteile erlassen wurden, hat der Insolvenzverwalter der Air Berlin erwartungsgemäß erneute Kündigungen erlassen.  Die ehemalige Personalvertretung von Air Berlin, die noch ein Restmandat innehat, beklagt in ihrem Schreiben zu der erfolgten Anhörung des Insolvenzverwalters gegenüber der Personalvertretung, die erneute formelle Unwirksamkeit der Kündigung und wird wiederum die jedenfalls nach dem 6. Senat des BAG ungeklärte Frage des Vorliegens einer Betriebsstillegung oder eines Betriebs(teil)übergangs auf.

So hilft Ihnen WBS

Wir möchten nun nach Zusage durch die Rechtsschutzversicherung für unsere Mandanten erneut Kündigungsschutzklage erheben und die neuen Kündigungen angreifen. Unser Bestreben ist, dass das zuständige Arbeitsgereicht  dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorlegt, ob es im Wet-Lease Bereich zu einem Betriebs(teil)übergang gekommen ist, und wie sich der Einsatz des wechselnden Personals auf die rechtliche Beurteilung auswirkt.

Unser erfahrenes arbeitsrechtliches Expertenteam um Rechtsanwalt und Partner Christian Solmecke steht Ihnen gerne jederzeit in Ihrem konkreten Fall beratend zur Seite. Wir liefern Ihnen zeitnah die benötigten präzisen Antworten auf Ihre Fragen. Melden Sie sich bei uns jederzeit telefonisch.

Unser Team steht Ihnen täglich, auch am Wochenende, zwischen 8-20 Uhr unter 0221 / 951 563 0 (Beratung bundesweit) zur Verfügung.
 
Wir freuen uns, Sie in dieser schwierigen Situation rechtlich begleiten zu dürfen.

tsp/stö