Meldet sich ein Arbeitnehmer nach Erhalt einer Kündigung nicht unverzüglich bei der Agentur für Arbeit, kann sein Anspruch auf Gehaltsnachzahlung gegen den Arbeitgeber unter Umständen vollständig ausgeschlossen sein – und das selbst wenn die Kündigung unwirksam war. Ob es sich bei der gekündigten Person um einen leitenden Angestellten handelt, mache laut einer aktuellen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Niedersachsen ebenfalls keinen Unterschied. Warum dieses Urteil kritisch zu betrachten ist, wird im Folgenden dargelegt.
Nachdem das Arbeitsgericht Celle der Kündigungsschutzklage eines leitenden Angestellten rechtskräftig stattgegeben hatte (Urteil vom 18.11.2020, Az. 2 Ca 103/19), stritten die Parteien in der Berufungsinstanz (LAG Niedersachsen, Urteil vom 9.11.2021, Az. 10 Sa 15/21) um eine Nachzahlung des Arbeitgebers aus Annahmeverzug. Der Arbeitgeber verweigerte die Zahlung des geforderten Betrages in Höhe von knapp 175.000 Euro mit dem Argument, dass der leitende Angestellte es bewusst unterlassen habe anderweitigen Verdienst zu erzielen, indem er sich nicht bei der Agentur für Arbeit als arbeitssuchend gemeldet hat.
Manager haben keine Sonderstellung
Als Grund für die unterbliebene Meldung führte der leitende Angestellte an, dass herausgehobene Managementpositionen – wie die seine – typischerweise nicht seitens der Agentur für Arbeit, sondern ausschließlich über Headhunter vermittelt würden. Einen solchen Erfahrungssatz gebe es jedoch nicht, so das LAG. Es sei davon auszugehen, dass die Agentur für Arbeit passende und angemessene Stellenangebote unterbreitet hätte, wenn der Angestellte beim Arbeitsamt vorstellig geworden wäre. Anhaltspunkte dafür, dass diese mit einem niedrigeren Gehalt verbunden wären, gebe es nicht. Ebenso wenig drohe dem Angestellten durch die Meldung ein Imageschaden, da hierzu keine Angaben im Lebenslauf erfolgen müssten. Was potentiell erklärungsbedürftige Lücken im Lebenslauf angehe, würden diese überhaupt erst dadurch entstehen, dass die Vermittlungsmöglichkeit durch das Arbeitsamt unmöglich gemacht werde.
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Gemäß § 38 Abs. 1 des dritten Sozialgesetzbuches (SGB III) sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis endet, verpflichtet, sich spätestens drei Monate vor dessen Beendigung bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend zu melden. Liegen zwischen der Kenntnis des Beendigungszeitpunktes und der Beendigung des Arbeitsverhältnisses weniger als drei Monate, haben sie sich bereits innerhalb von drei Tagen nach Kenntnis des Beendigungszeitpunktes zu melden. Nach § 11 Nr. 2 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) müssen Beschäftigte sich bei ihrem Anspruch auf Gehaltsnachzahlung anrechnen lassen, was sie hätten verdienen können, wenn sie es nicht böswillig unterlassen hätten, eine ihnen zumutbare Arbeit anzunehmen. Dreh- und Angelpunkt für die Beurteilung des konkreten Falles ist folglich die Frage, ab wann ein Verhalten bereits als „böswillig“ im Sinne des § 11 Nr. 2 KSchG zu qualifizieren ist.
LAG Niedersachsen: Angestellter handelte böswillig
Laut LAG Niedersachsen handele ein Arbeitnehmer schon dann „böswillig“, wenn er sich nach einer Kündigung nicht unverzüglich bei der Arbeitsagentur melde und sich nicht ernsthaft mit den ihm unterbreiteten Angeboten befasse. Die Einhaltung der sozialrechtlichen Meldeobliegenheit des § 38 Abs. 1 SGB III sei bei den Anrechnungsvorschriften des Annahmeverzugs ebenfalls zu berücksichtigen, da dem Arbeitnehmer arbeitsrechtlich zumindest das zugemutet werden könne, wozu er auf der sozialrechtlichen Seite ohnehin verpflichtet ist. Im vorliegenden Fall führe das Unterlassen sich arbeitssuchend zu melden in Kombination mit den weiteren Gesamtumständen zu einem vollständigen Verlust des Anspruchs auf das Annahmeverzugsentgelt. Die tatsächliche Unwirksamkeit der Kündigung ändere hieran nichts, denn diese setze § 11 Nr. 2 KSchG in seinem Wortlaut sogar voraus.
Anders als das LAG Niedersachsen, argumentieren viele Stimmen in der Literatur, dass der gekündigte Arbeitnehmer gerade nicht verpflichtet sei aktiv nach einer neuen Beschäftigung zu suchen oder sich bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden, nur um eine Anrechnung zu vermeiden. Insbesondere könne eine „Böswilligkeit“ nur dann angenommen werden, wenn der Arbeitnehmer vorsätzlich grundlos Arbeit ablehne oder vorsätzlich verhindere, dass ihm Arbeit angeboten wird.
Würde allein das Versäumen einer Meldung bei der Arbeitsagentur schon als böswillig gelten, könnten Arbeitnehmer letztlich nie auf eine volle Entgeltfortzahlung in Form des Annahmeverzugslohns vertrauen – sie hätten keine Rechtssicherheit. Das Annahmeverzugsrisiko des Arbeitgebers im Kündigungsschutzprozess würde nachhaltig minimiert werden, während für den Arbeitnehmerschutz nicht mehr viel übrigbliebe. Es sollte gekündigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, deren strukturelle Unterlegenheit im Arbeitsrecht grundsätzlich ausgeglichen werden muss, nicht zum Nachteil gereichen, wenn sie sich nur nicht arbeitssuchend melden, weil sie bereits eine Kündigungsschutzklage erhoben haben und der Ansicht sind das Arbeitsverhältnis bestehe noch weiter fort.
BAG weist an LAG zurück
Auf Revision des Angestellten wurde das vorinstanzliche LAG-Urteil vom Bundesarbeitsgericht (BAG) aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen. Hierbei knüpft es möglicherweise an die oben genannten Kritikpunkte an, denn auch der Senat befand die Würdigung der Gesamtumstände durch das LAG noch nicht für ausreichend. Die Weigerung allein, sich bei der Arbeitsagentur arbeitslos zu melden, solle laut BAG jedenfalls noch nicht dafür ausreichen den Anspruch auf die Gehaltsnachzahlung vollständig entfallen zu lassen.
Empfehlungen für die Praxis
Wie die endgültige Entscheidung im konkreten Sachverhalt ausfallen wird, bleibt gespannt abzuwarten. Mit Blick auf die in der Zwischenzeit bestehenden Unsicherheiten ist Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu empfehlen sich unabhängig von der konkreten Stellung und unabhängig von vermeintlichen Chancen in einem Kündigungsschutzprozess nach Erhalt einer Kündigung innerhalb des genannten Zeitraums bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden. Nur so könne ein unnötiges Risiko bezüglich der Geltendmachung von Ansprüchen gegen den Arbeitgeber geringgehalten werden.
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