Sie prägen inzwischen das abendliche Straßenbild in deutschen Städten. Sie liefern Essen oder sammeln E-Roller ein und bekommen ihre Aufträge per App. Die Rede ist von sog. Crowdworkern. Zumeist gelten sie als Selbständige. Einen Anspruch auf Mindestlohn und Urlaub hatten sie bislang nicht. In München klagte daher ein Crowdworker auf Beschäftigung. Nun hat das BAG entschieden. Bedeutet das Urteil nun das Ende von Vermittlungsplattformen?
Crowdworker sind nicht zwingend selbständig, sondern können auch – ohne Arbeitsvertrag – angestellt sein. Das hat jetzt das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden (BAG, Urteil vom 1. Dezember 2020, Az. 9 AZR 102/20).
Crowdworker arbeiten überwiegend mit ihrem Smartphone, Tablet oder Computer. Sie installieren eine App und erhalten fortan Aufträge von Unternehmen. Einen nach dem anderen. Sie dürfen Aufträge auch ablehnen bzw. wegdrücken. Passiert das aber zu oft, gibt es irgendwann gar keine mehr. Wie viel Geld sie für ihre Arbeit erhalten, wird vom Unternehmen festgelegt. Je schneller man arbeitet, desto mehr verdient man. Wer schnell ist, verdient teilweise gut, oftmals aber wird nicht einmal der 2015 eingeführte Mindestlohn von 8,50 Euro die Stunde erreicht. Doch das muss es auch nicht, denn die Crowdworker gelten als Solo-Crowdworker sind nicht zwingend selbständig, sondern können auch – ohne Arbeitsvertrag – angestellt sein. Das hat jetzt das Bundesarbeitsgericht entschieden.
Die im aktuellen Fall beklagte Internetfirma Roamler führt u.a. für Markenhersteller Kontrollen der Warenpräsentation im Einzelhandel oder in Tankstellen durch. Diese Aufträge werden dann über eine sog. „Crowd“ auf einer Internetplattform vergeben. Der Abschluss der streitgegenständlichen Basisvereinbarung berechtigt dazu, über eine App die auf der eigenen Internetplattform angebotenen Aufträge, die in einem selbst gewählten Radius von bis zu 50 km angezeigt werden, zu übernehmen. Bei erfolgter Übernahme ist ein Auftrag regelmäßig innerhalb von zwei Stunden nach bestehenden Vorgaben abzuarbeiten.
Vor dem LAG München hatte einer der Crowdworker darauf geklagt, Angestellter Roamlers zu sein, die ihm die Jobs vermittelte. Der Mann machte nach der Vermittlung durch die Plattform unter anderem Fotos von Tankstellen und Märkten, um sie zur Überprüfung der jeweiligen Warenpräsentation weiterzuleiten – und verdiente in 20 Stunden pro Woche knapp 1800 Euro im Monat. Als Roamler die Zusammenarbeit mit ihm beenden wollte, zog er vor Gericht. Seiner Auffassung nach bestand zwischen ihm und der Plattform ein unbefristetes Arbeitsverhältnis. Die beklagte Internetfirma hielt dagegen, der Mann sei selbstständig und habe auch als Selbstständiger Aufträge übernommen.
Vor dem Arbeitsgericht (AG) München verlor der klagende Crowdworker in erster Instanz (Urt. v. 20.2.2019, Az. 19 Ca 6915/18). Daraufhin zog er vor das LAG München.
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Urteile der Vorinstanzen
Doch auch das LAG konnte er mit seiner Rechtsauffassung nicht überzeugen. Es habe weder eine Verpflichtung zur Annahme eines Auftrags bestanden, noch umgekehrt eine Verpflichtung für den Auftraggeber Aufträge anzubieten, so die Richter. Ein Arbeitsvertrag liege nach der gesetzlichen Definition nur dann vor, wenn der Vertrag die Verpflichtung zur Leistung von weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit vorsehe.
Dies drücke sich im Allgemeinen darin aus, dass der Mitarbeiter Arbeitsanweisungen hinsichtlich Zeit, Ort und Inhalt der geschuldeten Dienstleistung beachten müsse und in die Arbeitsorganisation des Arbeitgebers eingebunden sei. Maßgeblich sei die tatsächliche Durchführung des Vertrages.
Wegen grundsätzlicher Bedeutung wurde jedoch die Revision zum Bundearbeitsgericht zugelassen. Schließlich arbeiten derzeit rund 4,8 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung in Deutschland als Crowdworker. Der Deutsche Gewerkschaftsbund sieht diese Zahl künftig als weiter steigend an. Seit langem werden daher bereits faire Regeln gefordert, um die prekäre Situation der Crowdworker zu reglementieren.
BAG: Crowdworker war Arbeitnehmer
Diese Ansicht vertrat jedoch das BAG nicht und stufte den Crowdworker nunmehr als Arbeitnehmer ein. Der Crowdworker habe in arbeitnehmertypischer Weise weisungsgebundene und fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit geleistet.
Zeige die tatsächliche Durchführung eines Vertragsverhältnisses, dass es sich hierbei um ein Arbeitsverhältnis handelt, komme es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an. Die dazu vom Gesetz verlangte Gesamtwürdigung aller Umstände könne ergeben, dass Crowdworker als Arbeitnehmer anzusehen seien. Für ein Arbeitsverhältnis spreche, wenn der Auftraggeber die Zusammenarbeit über die von ihm betriebene Online-Plattform so steuere, dass der Auftragnehmer infolge dessen seine Tätigkeit nach Ort, Zeit und Inhalt nicht frei gestalten könne.
Der klagende Mann habe in arbeitnehmertypischer Weise weisungsgebundene und fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit geleistet. Zwar sei er vertraglich nicht zur Annahme von Angeboten Roamlers verpflichtet gewesen. Die Organisationsstruktur der von Roamler betriebenen Online-Plattform sei aber nach Auffassung der Richter darauf ausgerichtet gewesen, dass über einen Account angemeldete und eingearbeitete Nutzer kontinuierlich Bündel einfacher, Schritt für Schritt vertraglich vorgegebener Kleinstaufträge annehmen, um diese persönlich zu erledigen. Erst ein mit der Anzahl durchgeführter Aufträge erhöhtes Level im Bewertungssystem ermögliche es den Nutzern der Online-Plattform, gleichzeitig mehrere Aufträge anzunehmen, um diese auf einer Route zu erledigen und damit faktisch einen höheren Stundenlohn zu erzielen. Durch dieses Anreizsystem sei der Mann dazu veranlasst worden, in dem Bezirk seines gewöhnlichen Aufenthaltsorts kontinuierlich Kontrolltätigkeiten zu erledigen.
Das BAG hat die Revision des Mannes gleichwohl überwiegend zurückgewiesen, da die vorsorglich erklärte Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien wirksam beendet hat. Hinsichtlich der vom Kläger geltend gemachten Vergütungsansprüche wurde der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Der Kläger könne nicht ohne weiteres Vergütungszahlung nach Maßgabe seiner bisher als vermeintlich freier Mitarbeiter bezogenen Honorare verlangen. Stelle sich ein vermeintlich freies Dienstverhältnis im Nachhinein als Arbeitsverhältnis dar, könne in der Regel nicht davon ausgegangen werden, die für den freien Mitarbeiter vereinbarte Vergütung sei der Höhe nach auch für eine Beschäftigung als Arbeitnehmer verabredet. Geschuldet ist die übliche Vergütung iSv. § 612 Abs. 2 BGB, deren Höhe das LAG München nun aufzuklären hat.
Vermittlungsplattformen damit am Ende?
Für Vermittlungsplattformen bedeutet das Urteil zwar nicht das Ende, doch müssen Unternehmen nun dringend ihr gesamtes Geschäftsmodell prüfen und unter Umständen entsprechend anpassen. Die bislang zumeist vorliegenden engen Bindungen und Vorgaben zur Gestaltung der Abläufe werden künftig in dieser Form nicht mehr möglich sein. Ansonsten birgt es für die Unternehmen die Gefahr, dass die Crowdworker als Arbeitnehmer zu qualifizieren sind. Die Folge wären entsprechende Rechte der Crowdworker auf Urlaub, Kündigungsschutz, Entgeltfortzahlung und betriebliche Mitbestimmung. Außerdem müssten die Unternehmen dann als Arbeitgeber auch Sozialversicherungsabgaben leisten.
tsp