Nicht genommener Urlaub verjährt nicht automatisch nach drei Jahren. Das hat das BAG per Grundsatzurteil entschieden und sich den vorherigen Ausführungen des EuGH angeschlossen. Das Gericht nimmt vor allem die Arbeitgeber stärker in die Pflicht. Urlaubsabgeltungsansprüche allerdings verjähren nach Ende eines Arbeitsverhältnisses auch weiterhin innerhalb von drei Jahren. Inzwischen wurde durch das BAG auch klargestellt, dass bei finanziellen Abgeltungsansprüchen für nicht genommenen Urlaub nach Ende eines Arbeitsverhältnisses auch weiterhin eine Verjährungsfrist von drei Jahren gilt.
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Arbeitgeber müssen gegenüber Arbeitnehmern ihrer Hinweispflicht nachkommen und über den konkreten Urlaubsanspruch sowie die Verfallfristen belehren, damit die Regelverjährungszeit von drei Jahren zu laufen beginnt. Anderenfalls verjähren die Urlaubsansprüche der Arbeitnehmer nicht. Auch Ansprüche aus früheren Jahren können somit geltend gemacht werden. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun entschieden und damit die Arbeitnehmerrechte weitreichend gestärkt (BAG, Urteil vom 20.12.2022, Az. 9 AZR 266/20).
Bisheriger Verfahrensgang
Nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses forderte eine Steuerfachangestellte eine finanzielle Vergütung für ihren nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub zwischen 2013 und 2017. Grund für dieses „Versäumnis“ war, laut Arbeitnehmerin, der sehr hohe Arbeitsaufwand gewesen. Nachdem der Arbeitgeber eine Abgeltung verweigert hatte, erhob die Arbeitnehmerin Klage, der im ersten Rechtszug – wegen vermeintlicher Verjährung des Anspruchs – nur für drei Tage im Jahr 2017 stattgegeben wurde (Arbeitsgericht Solingen, Urt. v. 19.02.2019, Az. 3 Ca 155/18). Im Rahmen der Berufung der Arbeitnehmerin, gab ihr das Landesarbeitsgericht Düsseldorf Recht und nahm einen Abgeltungsanspruch weiterer 76 Tage an (LAG Düsseldorf, Urt. v. 02.02.2020, Az. 10 Sa 180/19). Die Revision des Arbeitgebers wurde vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) eingelegt, welches das Verfahren aussetzte und die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegte (Vorlagebeschluss v. 29.09.2020, Az. 9 AZR 266/20 [A]).
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Mit seiner Entscheidung vom 22.09.2022 (Rechtssache C-120/21) machte der EuGH deutlich, dass nicht genommene Urlaubstage nicht automatisch verfallen, wenn der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer zuvor nicht seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen ist. Die Verjährungsfrist von drei Jahren (vgl. §§ 194 Abs. 1, 195 BGB) solle erst dann zu laufen beginnen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf seine (Rest-) Urlaubsansprüche und ihren drohenden Verfall hingewiesen hat. Es sei zwar richtig, dass der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse daran habe, nicht mit Anträgen auf Urlaub oder finanzielle Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub konfrontiert werden zu müssen, wenn diese auf Ansprüche gestützt werden, die im Zeitpunkt der Antragstellung schon vor mehr als drei Jahren entstanden sind. Dieses Interesse sei jedoch dann nicht mehr berechtigt, wenn der Arbeitgeber sich selbst in diese Situation gebracht habe, indem er den Arbeitnehmer im Voraus gar nicht erst in die Lage versetzt habe, den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub wahrnehmen zu können.
BAG setzt zwingende Vorgaben des EuGH um
Es blieb zunächst abzuwarten, wie das BAG diese Vorgaben im konkreten Fall umsetzen würde. Da das BAG allerdings in der Vergangenheit wiederholt die Vorabentscheidungen des EuGH zum Urlaubsrecht übernommen hatte, war bereits davon auszugehen, dass es die Entscheidungen des EuGH auch in dem nunmehr wiederaufzunehmenden Verfahren umsetzen wird. Diese Vermutung bestätigte sich nun. Mit seinem Urteil vom 20.12.2022 setzte das höchste deutsche Arbeitsgericht die Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union aufgrund der Vorabentscheidung vom 22. September 2022 (- C-120/21 -) um und entschied, dass Urlaubsansprüche nur dann verjähren können, wenn der Arbeitnehmer vorher auf seinen Urlaubsanspruch hingewiesen worden ist.
Verjährungsfrist beginnt erst mit Hinweis des Arbeitgebers
So führte der neunte Senat aus, dass der gesetzliche Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub zwar grundsätzlich der gesetzlichen Verjährung unterliege. Die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren beginne bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 199 Abs. 1 BGB jedoch nicht zwangsläufig mit Ende des Urlaubsjahres, sondern erst mit dem Schluss des Jahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt habe und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.
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Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs trete der Zweck der Verjährungsvorschriften, die Gewährleistung von Rechtssicherheit, in der vorliegenden Fallkonstellation hinter dem Ziel von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zurück, der die Gesundheit des Arbeitnehmers durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme von bezahlter Urlaubszeit schützt.
Welche Auswirkungen hat die Entscheidung?
Die jetzige Entscheidung des BAG macht deutlich, dass Mitwirkungsobliegenheiten nicht nur für den Verfall sondern auch für die Verjährung von Urlaubsansprüchen relevant werden können und stärkt abermals die Rechte von Arbeitnehmern. Arbeitgeber sind angehalten, ihre unternehmensinternen Prozesse zu überprüfen, um die bestehenden Mitwirkungsobliegenheiten bei Urlaubsansprüchen ausnahmslos zu erfüllen. Dies bedeutet einerseits arbeits- bzw. tarifvertraglich Ausschlussfristen zu regeln, andererseits aber auch den Arbeitnehmer hierrüber in Kenntnis zu setzen.
Ob für Urlaubsabgeltungsansprüche das Gleiche wie für Urlaubsansprüche gilt, war der gerichtlichen Pressemitteilung allerdings nicht zu entnehmen und ließ daher Raum für Spekulation. In einem weiteren Urteil Ende Januar hat das BAG nun klargestellt, dass bei finanziellen Abgeltungsansprüchen für nicht genommenen Urlaub nach Ende eines Arbeitsverhältnisses auch weiterhin eine Verjährungsfrist von drei Jahren gilt (Urt. v. 31.01.2023, Az. 9 AZR 456/20). Arbeitnehmer, die nach dem Urteil auf einen Wegfall auch der Verjährungsfrist bei Abgeltungsansprüchen gehofft hatten, wurden insofern nun enttäuscht. Das Gericht räumte aber für Altfälle eine Übergangsfrist von 2018 bis 2021 ein. Damit reagierten die BAG-Richter auf die in den vergangenen Jahren geänderte Rechtsprechung zum Verfall von Urlaubsansprüchen.
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