Verdient eine Frau weniger als eine männliche Vergleichsperson, so spreche das nach Auffassung des BAG für eine Benachteiligung wegen des Geschlechts. Der Arbeitgeber müsse dann versuchen, diese Vermutung zu widerlegen. Diese neue Rechtsprechung wird in vielen Fällen den bisher meist zum Scheitern verurteilten Entgeltdiskriminierungsklagen nun wahrscheinlich zum Erfolg verhelfen.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich zum ersten Mal mit dem Verhältnis des Entgelttransparenzgesetzes zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) beschäftigt (Az. 8 AZR 488/19). Bisher standen höchstrichterliche Entscheidungen zu diesem Thema noch aus, da das EntgTranspG erst seit dem 06. Juli 2017 in Kraft ist und somit ein recht neues Gesetz darstellt. In dem Urteil stärkt das BAG die Rechte von Frauen, indem es klarstellt, dass es für eine Diskriminierung spricht, wenn eine Frau weniger verdient als eine männliche Vergleichsgruppe. Es macht zusätzlich deutlich, dass in diesen Fällen der Arbeitgeber dafür verantwortlich ist, die Vermutung einer Diskriminierung zu widerlegen.
Worum geht es?
Die Klägerin war bei dem beklagten Arbeitgeber, einer Anstalt des öffentlichen Rechts, als Abteilungsleiterin beschäftigt. Die Vergütung der Klägerin richtete sich nach dem Gehaltstarifvertrag für das private Versicherungsgewerbe. Gemäß §§ 10 ff. EntgTranspG können Beschäftigte Auskunft über das Vergleichsentgelt der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verlangen. Bei der Auskunft des Arbeitgebers ist gemäß § 11 Abs. 3 EntgTranspG als Vergleichsentgelt der statistische Median des durchschnittlichen Monatsentgelts der Beschäftigten des jeweiligen anderen Geschlechts anzugeben, die der gleichen Vergleichsgruppe angehören. Man spricht in diesem Kontext von „Median-Entgelten“. Die Klägerin konnte den Informationen entnehmen, dass ihr Entgelt sowohl bezüglich des Grundentgeltes als auch bezüglich der Zulagen unter dem Median lag. Die männlichen Abteilungsleiter erhielten im Median ein Bruttogehalt von 6.292 €, die Klägerin jedoch nur eines in Höhe von 5.385,40 €. Auch die übertariflichen Zulagen unterschieden sich; so waren es bei der Klägerin 500 €, bei ihren männlichen Kollegen 600 €.
Mit ihrer Klage begehrte sie die Zahlung der Differenz zwischen dem ihr gezahlten Entgelt und den Median-Entgelten für die Monate von August 2018 bis Januar 2019 sowie zukünftig die Zahlung eines Entgeltes in Höhe des Medians der männlichen Vergleichsgruppe.
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Gleiche Arbeit, gleiches Geld
Das BAG stellte zunächst klar, dass ein Anspruch auf gleiches Entgelt für gleiche bzw. gleichwertige Arbeit ohne Diskriminierung wegen des Geschlechts sowohl aus dem direkt anwendbaren Europarecht, nämlich aus Art. 157 AEUV folge als auch aus § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG, welche die Umsetzung der Bestimmungen der Richtlinie 2006/54/EG (Verbot der Diskriminierung beim Entgelt und zur entgeltbezogenen Gleichbehandlung männlicher und weiblicher Arbeitnehmer bei gleicher oder als gleichwertig anerkannter Arbeit) darstellen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dürfen nicht unmittelbar oder mittelbar bei der Entlohnung benachteiligt werden.
Die Beweislast als Streitpunkt
Die Klägerin vertrat die Ansicht, dass durch die Auskunftserteilung im Sinne des § 22 AGG vermutet werden könne, dass der beklagte Arbeitgeber ihr entgegen § 7 EntgTranspG wegen ihres Geschlechts ein geringeres Entgelt zahlen würde als den männlichen Kollegen aus der Vergleichsgruppe. Das EntgTranspG verweist in § 2 Abs. 2 ausdrücklich auf die Vorschriften des AGG. Daher war § 22 AGG vorliegend anwendbar.
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg sowie das Landesarbeitsgericht Niedersachsen (LAG) gingen bisher einhellig davon aus, dass es noch kein Indiz für eine Diskriminierung im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes sei, wenn die männlichen Beschäftigten mehr verdienen. Nach der Beweislastnorm des § 22 AGG bedürfe es eines Vortrags der mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf eine Vergütungsbenachteiligung aufgrund des Geschlechts schließen lasse. Das Gehalt der Klägerin liege zwar unter dem Median, diese Auskunft sei aber nicht ausreichend, um eine Diskriminierung festzustellen. Vielmehr hänge es vom Zufall ab, ob das Entgelt der Klägerin oberhalb oder unterhalb des statistischen Median liege.
BAG: Beweislast trifft Arbeitgeber
Anders dagegen das BAG. Die Annahme des LAG eine Auskunft des Arbeitgebers, der zufolge das Gehalt des/der klagenden Beschäftigten unter dem Median der Vergleichsgruppe liege, sei für sich genommen nicht ausreichend, um im Falle einer Entgeltgleichheitsklage eine Beweislastumkehr iSv. § 22 AGG auszulösen, werde den Vorgaben der EuGH Rechtsprechung zu Art. 157 AEUV und damit auch zu § Abs. 1 und § 7 EntgTranspG nicht gerecht. Das LAG habe die Systematik des § 22 AGG verkannt. Nach dieser Bestimmung komme es für den Eintritt der Vermutungswirkung nicht darauf an, ob eine Auskunft nach § 11 ff. EntTranspG Entgeltdiskriminierung tatsächlich zuverlässig anzeigen kann. Die Klägerin brachte hinreichende Indizien vor, indem sie die Median-Entgelte verglich und eine geringere Entlohnung erhielt als der Durchschnitt ihrer männlichen Kollegen. Aus dem Umstand, dass die Klägerin ein geringeres Entgelt erhält als die mitgeteilte männliche Vergleichsperson folgt zugleich die – vom beklagten Arbeitgeber grundsätzlich widerlegbare – Vermutung, dass die Klägerin wegen ihres Geschlechts eine geringere Vergütung erhielt. Nach § 22 AGG bliebe eine etwaige Auseinandersetzung mit der Aussagekraft einer erteilten Auskunft für eine Entgeltdiskriminierung wegen des Geschlechts dem Arbeitgeber im Rahmen seiner Darlegungs- und Beweislast nach § 22 AGG überlassen, indem er darlegt und im Bestreitensfall beweist, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden sei.
Das BAG sieht es daher als geboten an, Arbeitgebern die Beweislast zuzusprechen, wenn es bereits Indizien für eine Ungleichbehandlung gibt. Denn wer die Möglichkeit der Gestaltung von Vergütungsregeln hat, den trifft auch die Verantwortung dafür zu sorgen, dass keine Diskriminierung vorliegt und dies nachzuweisen.
Arbeitgeber müssen Vollbeweis erbringen
Arbeitgeber müssen einen Vollbeweis erbringen; das bedeutet, dass sie Tatsachen vortragen oder beweisen müssen, aus denen sich ergibt, dass kein Verstoß gegen das Entgeltgleichheitsgebot vorliegt. Aufgrund der bisherigen Feststellungen des LAG in der Vorinstanz war es dem BAG nicht möglich festzustellen, ob der beklagte Arbeitgeber bereits den Diskriminierungsvorwurf erfolgreich widerlegt hat. Die vorangegangene Entscheidung des LAG vom 01.08.2019 (5 Sa 196/19) wurde aufgehoben und zur neuen Verhandlung an das LAG zurückverwiesen. Es lässt sich jedenfalls bereits jetzt feststellen, dass das Urteil des BAG eine deutliche Verschiebung der Rechte zugunsten der Beschäftigten nach sich ziehen wird.
Entscheidung für mehr Gehaltsgerechtigkeit
Die Entscheidung stärkt Frauen in der Arbeitswelt den Rücken und erleichtert das Vorgehen im Rahmen des Entgelttransparenzgesetzes. Das Urteil ist ein starkes Signal gegen Entgeltdiskriminierung und den Gender Pay Gap. Durch das Urteil können zukünftig deutlich leichter Verfahren von Beschäftigten gegen ihre Arbeitgeber geführt werden. Die Einsichtnahme in die Median-Entgelte wird – bei einer entsprechenden Abweichung – für die Erhebung von Klagen nun ausreichen. Zuvor war umstritten gewesen, ob der Median die Beweiserleichterung des § 22 auslösen kann. In der Vergangenheit hatten es betroffene Arbeitnehmerinnen deshalb schwer, eine geringere Entlohnung – verglichen mit der Entlohnung ihrer männlichen Kollegen – als Diskriminierung zu beweisen. Aus der Entscheidung folgt auch, dass Arbeitgeber sorgfältig prüfen müssen, welche Arbeitnehmer im Unternehmen eine Vergleichstätigkeit ausüben. Zu den zu berücksichtigen Faktoren gehören u. a. die Art der Arbeit, die Ausbildungsanforderungen und die Arbeitsbedingungen. Es ist zu kurz gegriffen bei der Vergleichsgruppenbildung nur auf die Bezeichnung des Arbeitsplatzes (z. B. Abteilungsleiter/in) abzustellen. Vielmehr sollte der Arbeitgeber die für die Entgeltbemessung oftmals entscheidenden Kriterien, wie etwa Qualifikation, Leistungserfolge und auch die Arbeitsmarktsituation oder den Fachkräftemangel nutzen, um die Vergleichsgruppe richtig zu definieren und diese sachlichen Kriterien nicht erst zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung anführen.
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