Sozialauswahl bei Kündigungen
Es gibt Situationen, in denen sind Arbeitgeber wirklich nicht zu beneiden. Eine dieser Situationen tritt dann ein, wenn ein Unternehmen in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät. Nicht nur der ständige finanzielle Druck und die ungewisse Zukunft sind ein Problem, auch zwischenmenschlich kann es schwierig werden. Dann nämlich, wenn ein Arbeitgeber sich betriebsbedingt von Mitarbeitern trennen muss. Regelmäßig kommt dann die Frage auf, wen das Schicksal der Kündigung ereilt. Der Gesetzgeber hat dafür klare Regeln vorgesehen – im Rahmen der sogenannten Sozialauswahl. Hier finden Sie einen Überblick über die Rechtslage.
Auf einen Blick
- Möchte ein Arbeitgeber Mitarbeitern betriebsbedingt kündigen, reicht ein Grund für die betriebsbedingte Kündigung nicht aus.
- Darüber hinaus muss er eine sogenannte Sozialauswahl treffen.
- Bei der Sozialauswahl werden die Mitarbeiter, die für die Kündigung in Frage kommen miteinander verglichen.
- Die Vergleichskriterien fragen danach, ob ein Mitarbeiter Unterhaltspflichten gegenüber andern hat, wie lange er bereits im Betrieb tätig ist, welches Lebensalter er bereits erreicht hat und ob eine Schwerbehinderung vorliegt.
- Betriebsbedingt gekündigt wird dann der Mitarbeiter, den die wenigstens Faktoren schützen.
- Eine fehlerhafte Sozialauswahl durch den Arbeitgeber führt zu einer Unwirksamkeit der Kündigung und kann rechtlich im Rahmen des Kündigungsschutzes angegriffen werden.
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Wann greift die Sozialauswahl?
Im deutschen Rechtssystem gilt das sogenannte Sozialstaatsprinzip. Dieses Prinzip findet über diverse Rechtsgebiete hinweg Anwendung, so auch im Arbeitsrecht. Der Gesetzgeber geht zum Beispiel davon aus, dass bestimmte Arbeitnehmer einer besonderen sozialen Schutzbedürftigkeit unterliegen. Konkretisiert wird diese Auffassung in der Ausgestaltung des Kündigungsschutzgesetzes (kurz: KSchG).
Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.
§1 Abs. 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG)
Sozial gerechtfertigt ist eine Kündigung prinzipiell nur dann, wenn entweder individuelle Gründe (die sogenannten personenbedingte Kündigung oder die verhaltensbedingte Kündigung) oder betriebsbedingte Gründe für die Kündigung vorliegen.
Handelt es sich um betriebsbedingte Kündigung, muss der Arbeitgeber:
- Einen konkreten Grund für die betriebsbedingte Kündigung angeben (mehr zu den hohen Auflagen an betriebsbedingte Kündigungen finden Sie hier)
- Eine Auswahl unter den Mitarbeitern treffen, sie sozialen Gesichtspunkten entspricht
Vorgehensweise
Wie muss der Arbeitgeber nun vorgehen, muss er im Rahmen der betriebsbedingten Kündigung eine Auswahl treffen?
Vergleichsgruppe bilden
Zunächst ist festzustellen, welche Mitarbeiter überhaupt miteinander verglichen werden sollen. Dies ist die sogenannte „Vergleichsgruppe“. Es können auch verschiedene Vergleichsgruppen gebildet werden.
Austauschbaren Tätigkeitsbereich identifizieren
Fraglich ist, welcher Mitarbeiter prinzipiell ersetzbar bzw. austauschbar wäre. Austauschbar ist ein Mitarbeiter dann, wenn es in einem Unternehmen mehrere Mitarbeiter mit dem gleichen, im Arbeitsvertrag festgehaltenen Tätigkeitsbereich gibt. Stehen zwei Mitarbeiter zur Auswahl, muss der sozial Stärkere, der im Betrieb bleibt, in der Lage sein, die Tätigkeit des Gekündigten auszuüben.
Begrenzung der Vergleichsgruppe
Fehlende Versetzungsklausel
Außerdem dürfen dem keine Hindernisse im Weg stehen, zum Beispiel, dass im Arbeitsvertrag explizit vereinbart wurde, dass der Arbeitgeber eben nicht dazu berechtigt ist, den Mitarbeiter auch in anderen Bereichen einzusetzen. Oftmals handelt es sich hierbei jedoch um eine Standardklausel (sogenannte Versetzungsklausel) in Arbeitsverträgen und Weisungsrecht des Arbeitgebers ist gegeben.
Vergütungsgruppe
Hinderungsgründe für die Einordnung in eine Vergleichsgruppe können im Öffentlichen Dienst beispielsweise auch die tarifliche Eingruppierung sein. Außerdem kann ein Mitarbeiter solch spezielle Kenntnisse besitzen, beziehungsweise über eine innerbetriebliche Spezialisierung verfügen, dass eine Austauschbarkeit nicht gegeben ist.
Vollzeit/Teilzeit
Eine Unterscheidung zwischen Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten wird nicht zwingend vorgenommen. Dies ist nur dann erforderlich, wenn für den bestimmten Tätigkeitsbereich zwingend nur Vollzeitkräfte vorgesehen sind. Wird die gleiche Tätigkeit sowohl von Teilzeit- als auch von Vollzeitkräften erbracht, gelten beide als austauschbar.
Unterschiedliche Hierarchie-Ebene
Wichtig: horizontale Vergleichbarkeit! Mitarbeiter, die derselben Vergleichsgruppe zugeordnet werden, müssen sich auf der gleichen Hierarchie-Ebene befinden. Ein Meister ist für die Sozialauswahl genauso wenig mit einem Zuarbeiter vergleichbar, wie ein studierter Biologie mit dem Laborassistenten.
Leistungsträger ausgenommen?
Doch heißt das, dass der Arbeitgeber einfach seine „Leistungsträger“ aus der Sozialauswahl ausklammern kann? Nein! Das Bundesarbeitsgericht hat für diese Fälle einen Leitsatz erarbeitet. Dieser sieht vor, dass der Arbeitgeber das Interesse des sozial schwächeren Arbeitnehmers gegen das betriebliche Interesse an der Herausnahme des Leistungsträgers abwägen muss.
Heißt im Umkehrschluss: der Arbeitgeber müsste im Rahmen einer Kündigungsschutzklage genauestens darlegen, inwieweit der ausgeklammerte Beschäftigte im Gegensatz zum Gekündigten zu einem Mehr an betrieblichem Nutzen führt. Es handelt sich hier also immer um eine Abwägung im Einzelfall.
Als berechtigtes betriebliches Interesse gilt mittlerweile auch die Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur. Hierbei ist insbesondere die Altersstruktur einer Belegschaft gemeint. Kündigt ein Arbeitgeber immer nur den jüngsten Mitarbeitern, würde dies langfristig zu einer Überalterung des Personals und einem Risiko der Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens führen. Der Arbeitgeber ist also berechtigt, in diesem Fall unterschiedliche Vergleichsgruppen – zum Beispiel nach Altersgruppen – zu erstellen.
Kriterien der Sozialauswahl
Hat man die Vergleichsgruppe gebildet, ist unter den entsprechend eingruppierten Mitarbeitern die tatsächliche Sozialauswahl zu treffen. Dabei sind laut Bundesarbeitsgericht zwingend und immer zu berücksichtigen:
Zusätzlich zu den genannten Auswahlkriterien können im Betrieb auch individuell gültige Gesichtspunkte festgehalten werden – beispielsweise in einer internen Betriebsvereinbarung. Existiert in einem Unternehmen keine Auswahlrichtlinie (zum Beispiel eine Betriebsvereinbarung oder ein Tarifvertrag), die die Kriterien der Sozialauswahl konkretisiert, kann auch ein Punkteschema zur Bewertung der Sozialauswahlkriterien verwendet werden. Der Arbeitgeber erstellt anhand der oben aufgeführten Faktoren eine Punktetabelle für alle Arbeitnehmer der Vergleichsgruppe und bestimmt daraus die oder den zu kündigenden Arbeitnehmer.
Folgen einer fehlerhaften Sozialauswahl
Ist ein gekündigter Arbeitnehmer der Überzeugung, im Rahmen der Sozialauswahl falsch bewertet oder eingruppiert worden zu sein, kann er sich im Rahmen einer Kündigungsschutzklage gegen die erhaltene Kündigung wehren. (Einzige Ausnahme: wird der Betrieb komplett stillgelegt und alle Arbeitnehmer entlassen, fand auch keine Auswahl statt, gegen die man vorgehen könnte.)
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Da der Arbeitnehmer die Gründe – vor allem die sozialen Umstände seiner Kollegen – nicht im Einzelnen kennen kann, kann er zunächst nur anführen, dass er die Sozialauswahl grundsätzlich beanstandet und verlangen, dass der Arbeitgeber ihm Auskunft erteilt. Liefert der Arbeitgeber die entsprechenden Bewertungsmaßstäbe, ist der Gekündigte in der Pflicht die Unrichtigkeit dieser Vorgehensweise oder die Unrichtigkeit der Bewertungsannahmen darzustellen und gegebenenfalls zu beweisen.
Wichtig: wird festgestellt, dass der Arbeitgeber eine falsche Sozialauswahl vorgenommen hat, ist die vorgenommene Kündigung unwirksam!
In der Regel kehrt der Beschäftigt dann jedoch nicht an den Arbeitsplatz zurück, da eigentlich über Jahre aufgebaute Vertrauensverhält nachhaltig zerstört ist. Vielmehr einigt man sich dann in der Regel auf eine einvernehmliche Trennung, die entsprechende Ausgleichszahlungen nach sich zieht.
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