Ein Mann versendete mehrfach Scheinbewerbungen mit dem Ziel, nach den Ablehnungen anwaltlich vertreten AGG-Ansprüche geltend zu machen. Sein Anwalt macht sich allein wegen des Versendens der Forderungsschreiben an die Arbeitgeber jedoch noch nicht unbedingt wegen Betruges strafbar, so der BGH.
Wer als Anwalt Entschädigungsansprüche wegen einer Diskriminierung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geltend macht, diese jedoch nur auf einer bewussten Scheinbewerbung des Mandanten beruhen, macht sich deswegen noch nicht zwangsläufig wegen Betruges strafbar, so der Bundesgerichtshof (BGH). Es fehle hier sowohl an einer (konkludenten) Täuschung über die Ernsthaftigkeit der vorherigen Bewerbung als auch an einem dadurch erregten Irrtum über diese Tatsache. Die Vorinstanz muss sich nun erneut mit dem Fall befassen (Beschl. v. 04.05.2022, Az. 1 StR 138/22).
Ein Mann hatte sich zwischen 2011 und 2012 im Alter von Mitte 40 in zwölf Fällen bei Unternehmen auf Stellen beworben, deren Anforderungsprofil er nicht entsprach. Nach dem Erhalt der Ablehnung beauftragte er seinen Bruder, einen Rechtsanwalt, mit der Geltendmachung einer Entschädigungszahlung. Grundlage der Entschädigung sollte das AGG wegen Altersdiskriminierung sein, denn es handelte sich zum Beispiel um Stellen für Berufseinsteiger. Während die außergerichtlichen Schreiben erfolgslos blieben, erzielte der Anwalt des Bewerbenden in zehn von zwölf Fällen einen Vergleich.
Anwaltliche Aufforderung als Täuschungshandlung?
Das Landgericht München (LG) verurteilte den Rechtsanwalt wegen (versuchten) Betruges gemäß § 263 Strafgesetzbuch (StGB) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechzehn Monaten auf Bewährung. Sein Bruder habe sich schließlich nur zum Schein beworben, um Ablehnungen zu provozieren und anschließend gemeinsam mit ihm als Rechtsanwalt AGG-Zahlungen geltend zu machen. Es habe niemals eine echte Motivation einer richtigen Bewerbung bestanden. Der BGH hob die Schuldsprüche jedoch in allen zwölf Fällen und verwies sie zurück an das LG zur neuen Entscheidung.
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Die Vorinstanz habe fehlerhaft angenommen, schon in der außergerichtlichen Geltendmachung der AGG-Ansprüche liege eine Täuschung der Adressaten über die Ernsthaftigkeit der Bewerbung seines Bruders. Diese Täuschung ist Voraussetzung für einen Betrug gem. § 263 StGB. Dementgegen ist der BGH der Auffassung, dass allein die Geltendmachung der Ansprüche noch keine Täuschungshandlung beinhalte. In den vorliegenden Fällen sei der Anwalt nämlich überhaupt nicht auf die Motivation der Bewerbungen seines Bruders eingegangen. Daher könne ihm im Umkehrschluss auch keine falsche Tatsachenbehauptung unterstellt werden.
Auch eine konkludente Täuschung sah der BGH nicht, denn nicht jeder Arbeitgeber interpretiere in das anwaltliche Schreiben die Behauptung hinein, dass die dem zugrunde liegende Bewerbung ernsthaft gewesen sei. Vielmehr sei im Einzelfall zu beurteilen, was der Adressat des Forderungsschreibens in die Erklärung interpretieren könne, anstatt davon auszugehen, dass eine allgemeine Erwartung an die Redlichkeit im Rechtsverkehr besteht.
Arbeitgeber hatten sich nicht über die Ernsthaftigkeit der Bewerbung geirrt
Auch das Hervorrufen eines täuschungsbedingten Irrtums sahen die Karlsruher Richter hier nicht. Denn die Zeugen des vorliegenden Falles, welche die Bewerbungen gelesen hatten, sagten aus, sich keine Gedanken über die Ernsthaftigkeit der Bewerbungen gemacht zu haben. Dennoch nahm das Landgericht nach der Beweiswürdigung das Vorliegen eines Irrtums an. Ein solcher lasse sich gerade nicht annehmen, wenn Zeugen die Ernsthaftigkeit bezweifelten oder außer Acht ließen, so der BGH. Die Beweiswürdigung sei daher fehlerhaft erfolgt.
Der BGH rügte außerdem die fehlerhafte Abgrenzung zwischen der straflosen Vorbereitung und dem Versuch des Betrugs. Denn hier stellte sich die Frage, ob der Anwalt überhaupt die Schwelle zum „Jetzt geht es los!“ und damit zum Versuch überschritten habe, indem er die außergerichtlichen Schreiben versendete. Immerhin sei keine einzige Entschädigungszahlung aufgrund der Forderungsschreiben ergangen. Insbesondere bei dieser vorherigen Erfahrung konnte der Anwalt bei den folgenden Schreiben und der professionellen Gegenseite habe er vielmehr nicht von einem Erfolg seines Vorgehens ausgehen können. Diesen Punkt hätte das LG näher begründen müssen.
Mangels hinreichender Begründung hat der BGH das Verfahren an das LG zurückverwiesen. Eine erneute Beweiswürdigung sowie Entscheidung bleiben demnach abzuwarten.
mbl/ahe