Das BAG hat mit Beschluss vom 04. August 2021 entschieden, dass ein Rechtsstreit ausgesetzt werden könne, wenn für das Verfahren die Auslegung und Anwendung des Unionsrechts entscheidungserheblich sei und ein Vorabentscheidungsverfahren in dieser Frage vor dem EuGH bereits eingeleitet ist.
Der Kläger ist bei dem beklagten Süßwarenunternehmen im Rahmen der Wechselschichtarbeit beschäftigt und erbringt regelmäßig seine Arbeitsleistung in der Nachtarbeit. Im Bundesmanteltarifvertrag für die Angestellten, gewerblichen Arbeitnehmer und Auszubildenden der Süßwarenindustrie (BMTV), an den die Parteien gebunden sind, wird bestimmt, dass für die Nachtarbeit in Schichtarbeit und Wechselschichtarbeit, welche in die Zeit von 22 Uhr bis 6 Uhr fällt, Arbeitnehmer Anspruch auf einen Zuschlag von 15 % pro Stunde haben. Die Schichtarbeit, die regelmäßig überwiegend in die Nachtzeit fällt – meist länger als 14 Tage – , wird mit einem Zuschlag von 20 % je Stunde vergütet; sonstige Nachtarbeit außerhalb der Schichtarbeit wird mit Zuschlägen von 60 % pro Stunde vergütet.
Kläger begehrt höhere Zuschläge
Vor dem Arbeitsgericht Hamburg (Urteil vom 03.12.2019 – Az. 9 CA 275/19) und in der Berufung vor dem Landesarbeitsgericht Hamburg (Urteil vom 22.07.2020 – Az. 7 Sa 5/20) sowie schlussendlich in der Revision vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) begehrt der Kläger Ansprüche auf höhere Zuschläge gegenüber der beklagten Arbeitgeberin.
Er vertritt die Auffassung, dass die Regelungen des BMTV gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG sowie gegen den europarechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen. Nachtarbeit im Rahmen der Schichtarbeit werde ohne sachlichen Grund unterschiedlich vergütet. Arbeitnehmer, welche Nachtarbeit im Rahmen von Schichtarbeit leisteten würden unterschiedlich behandelt gegenüber Arbeitnehmern, die außerhalb von Schichtarbeit Nachtarbeit leisteten. Die Nachtarbeit in Schichtarbeit sei insbesondere vor dem Hintergrund der arbeitsmedizinischen Gesundheit nicht weniger belastend als Nachtarbeit außerhalb der Schichtarbeit. Der Kläger betont auch, dass das tradierte Bild der „verstellbaren biologischen Uhr“ nicht mehr dem Standpunkt der Wissenschaft entspräche. Die regelmäßig Nachtarbeitet leistenden Arbeitnehmer seien erheblich höheren Gesundheitsgefährdungen und Störungen ihres sozialen Umfeldes ausgesetzt als Arbeitnehmer, die außerhalb von Schichtsystemen und deshalb seltener nachts arbeitetet. Eine Ungleichbehandlung sei deshalb nicht zu rechtfertigen und damit rechtswidrig. Die Rechtsfolge der Rechtswidrigkeit des § 4 Abs. 2.1 b) BMTV sei eine Anpassung der Nachtzuschläge nach oben; ihm stünden daher diese Zuschläge in Höhe von 60 % zu.
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Beklagte hält BMTV für rechtmäßig
Die Beklagte führt aus, dass den Tarifvertragsparteien gemäß Art. 9 Abs. 3 GG ein weiter Gestaltungsspielraum zustehe, der auch eingehalten worden sei. Es sei gerechtfertigt, unvorhergesehene Nachtarbeit mit höheren Zuschlägen zu vergüten als Schichtarbeit. Der Zuschlag für unregelmäßige Nachtarbeit solle nicht nur die Erschwernis für Nachtarbeit ausgleichen, sondern diene auch dem Schutz der Freiheit der Arbeitnehmer.
Keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes laut LAG Hamburg
Die Vorinstanzen gaben der Beklagten Recht. Begründet wurde dies damit, dass die Nachtarbeit in Schichtarbeit und die außerplanmäßige Nachtarbeit arbeitsrechtlich nicht vergleichbar seien. Insbesondere erhielten Arbeitnehmer in Schichtarbeit fünf Urlaubstage pro Jahr mehr. Auch führe die Nachtarbeit, die außerhalb der Schichtarbeit geleistet werde, in der in der Regel zu Mehrarbeit; dies sei bei der Schichtarbeit nicht der Fall.
Das LAG führte aus, dass selbst wenn man von einer rechtfertigungsbedürftigen Ungleichbehandlung ausginge, diese vorliegend jedenfalls im Hinblick auf sachliche Gründe und den Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien gerechtfertigt sei. Nachtarbeit sei zwar grundsätzlich schädlich und mit negativen Gesundheitsaspekten verbunden, so dass Zuschläge zwingend gezahlt werden müssten. Allerdings sei die Mehrbelastung nicht der einzige Grund für die unterschiedlichen Zuschlagshöhen. Bei Nachtarbeit außerhalb der Schichtarbeit liege der Grund für die höhere Vergütung darin, dass sie einen Anreiz für Arbeitsgeber bieten solle, Nachtarbeit zu vermeiden. Dieser Zweck werde bei Nachtarbeit im Rahmen der Schichtarbeit gerade nicht verfolgt.
Anhängiges Vorabentscheidungsverfahren betrifft diese Fragen
Das BAG hat den Rechtsstreit nun in entsprechender Anwendung von § 148 Abs. 1 ZPO ausgesetzt, bis der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) über die Vorabentscheidungsersuchen zu den Aktenzeichen C-257/21 und C 258/21 entschieden hat (Beschluss vom 28.07.2021 – Az. 10 AZR 397/20). In diesen beiden Vorabentscheidungsverfahren und vor dem BAG anhängigen Revisionsverfahren geht es um die Höhe tariflicher Zuschläge für Arbeitsstunden, die in der Nacht erbracht werden und betreffen mithin auch das vorliegende Verfahren. Gerichte sind verpflichtet, Vorabentscheidungen abzuwarten, sofern der Ausgang des Prozesses von der Auslegung und Anwendung des Unionsrechts abhängt und die Auffassung des EuGH entscheidungserheblich ist. Daher bleibt vorliegend abzuwarten, wie der EuGH über die Vergütung der Nachtarbeit entscheidet. Erst danach wird das BAG das Verfahren wieder aufnehmen.
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