Arbeitgeber sind verpflichtet, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Dies hatte 2019 der EuGh klargestellt. Obwohl noch immer keine nationale Regelung zur Arbeitszeiterfassung besteht, empfiehlt es sich für Unternehmen, jetzt schon ein Zeiterfassungssystem einzuführen. Zwei aktuelle Urteile lassen aufhorchen.

Vor bald zwei Jahren hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit einer wegweisenden Entscheidung vom 14.05.2019 geurteilt, dass Arbeitgeber durch die jeweiligen Mitgliedstatten verpflichtet werden müssen, ein „objektives, verlässliches und zugängliches System“ zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter einzuführen (Urteil vom 14.05.2019, Az. C-55/18).

Die Entscheidung wurde nach überwiegender – aber nicht unbestrittener Auffassung – als Handlungsvorgabe an die Gesetzgeber der Mitgliedstatten verstanden, die entsprechenden Gesetze für die Umsetzung einer Zeiterfassung nach Maßgabe des EuGH zu erlassen. Eine unmittelbare Verpflichtung der Arbeitgeber wurde abgelehnt. Der Gesetzgeber hat bis heute keine Anstalten gemacht, zu den in diesem Urteil aufgestellten Anforderungen Position zu beziehen beziehungsweise eine gesetzliche Neuregelung des Arbeitszeitgesetzes umzusetzen. Bisher sind gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) Arbeitgeber nur dazu verpflichtet, die über die werktägliche Arbeitszeit hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen.

Urteile des AG Emden zur Arbeitszeiterfassung

Mit Urteil vom 20.02.2020 – 2 Ca 94/19 und Urteil vom 24.09.2020 – 2 Ca 144/20 hat das Amtsgericht (AG) Emden die Sache nun selbst in die Hand genommen und könnte den Gesetzgeber damit überholt haben. Denn das Gericht entnimmt dem EuGH-Urteil eine bereits bestehende gegenwärtige unmittelbare Verpflichtung zur Errichtung eines Zeiterfassungssystems durch den Arbeitgeber mit weitreichenden Konsequenzen.

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Hintergrund der ersten Entscheidung des AG Emden

Mit Urteil vom 20. Februar 2020, das in Rechtskraft erwachsen ist, entschied das AG Emden, dass aus Art. 31 Abs. 2 Grundrechtecharta eine unmittelbare arbeitgeberseitige Pflicht zur Einführung eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems zur Arbeitszeiterfassung folge. Verletzt der Arbeitgeber diese Pflicht, besteht für den Arbeitgeber die Gefahr, dass er im Falle der Geltendmachung von angeblichen Überstunden und Mehrarbeit im Vergütungsprozess in Beweisnot gerät.

In dem zugrunde liegenden Fall war der klagende Arbeitnehmer als Bauhelfer für den beklagten Arbeitgeber tätig. Nachdem das Arbeitsverhältnis beendet war, machte der Arbeitnehmer die Vergütung von Überstunden gerichtlich geltend. Er stützte sich dabei auf eine selbst erstellte Übersicht und legte sog. „Stundenrapporte“ vor. Die Beklagte verteidigte sich mit dem Vortrag, dass die Erfassung der tatsächlichen Arbeitszeit mittels Bautagebuch erfolgt sei. In dem Bautagebuch waren der Arbeitsbeginn und das Arbeitsende dokumentiert.

Das AG Emden urteilte, dass dem Arbeitgeber mit dem vorgelegte Bautagebuch keine ausreichende Beweisführung gelungen sei. Dem Bautagebuch lasse sich nicht entnehmen, welche Arbeiten der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zugewiesen habe. Zweck eines Bautagebuchs sei nicht die Erfassung der Arbeitszeiten, sondern der Entgeltabrechnung. Die Überstunden könnten nur dann widerlegt werden, wenn der Arbeitgeber ein dem EuGH-Urteil entsprechendes objektives verlässliches Zeiterfassungssystem vorhalte. Bei der Zeiterfassung handele es sich um eine vertragliche Nebenpflicht des Arbeitgebers. Verletze der Arbeitgeber diese Nebenpflicht, könne er entsprechend der ihn im Vergütungsprozess treffenden Darlegungs- und Beweislast nicht erfolgreich bestreiten, dass Überstunden angefallen seien.

Damit gelte der unter Vorlage von Eigenaufzeichnungen geleistete Vortrag des Arbeitnehmers als zugestanden.

Hintergrund der zweiten Entscheidung des AG Emden

In der aktuellen Entscheidung des AG Emden vom 24. September 2020 bildet das EuGH-Urteil ebenfalls die Grundlage zur Pflicht zur Arbeitszeiterfassung.

In diesem Fall sprach das Gericht der klagenden Arbeitnehmerin eine Vergütung für ihre geleisteten Überstunden in Höhe von rund 20.000 EUR zu, die sie über das Zeiterfassungssystem des Arbeitgebers aufgezeichnet hatte. In dem Betrieb galt ansonsten Vertrauensarbeitszeit. Der Arbeitgeber war der Ansicht, die Überstunden seien nicht von ihm veranlasst und auch nicht von ihm geduldet worden. Das AG Emden geht hier davon aus, dass die vom Bundesarbeitsgericht (BAG) bisher (vgl. BAG, Urteil vom 10.04.2013 – 5 AZR 122/12) geforderte – positive – Kenntnis als Voraussetzung für eine ‚Duldung‘ der Leistung etwaiger Überstunden und damit für eine Zurechenbarkeit bzw. arbeitgeberseitige Veranlassung infolge des ergangenen EuGH-Urteils jedenfalls dann nicht mehr erforderlich sei, wenn die Arbeitgeberin sich die Kenntnis der Arbeitszeiten der Arbeitnehmerin durch Einsichtnahme in die Arbeitszeiterfassung, zu deren Einführung, Überwachung und Kontrolle die Arbeitgeberin verpflichtet ist, hätte verschaffen können.

Auch der Einwand des Arbeitgebers, er habe die Arbeitszeiterfassung aufgrund der eingeführten Vertrauensarbeitszeit nicht kontrolliert, würde den Arbeitgeber nicht entlasten, da er nach den Vorgaben des EuGH zur Kontrolle der Arbeitszeiterfassung verpflichtet sei. Mit anderen Worten werden also Arbeitgebern die Einträge ins Zeiterfassungssystem nach der Argumentation des AG zugerechnet, wenn er dieses nicht kontrolliert.

In der Urteilsbegründung führt das AG Emden aus, dass eine europarechtskonforme Auslegung der §§ 241 Abs. 2, 242, 315, 618 Abs. 1 BGB geboten sei. Aus § 618 Abs. 1 BGB folge in europarechtskonformer Auslegung eine arbeitgeberseitige Verpflichtung zur Messung, Aufzeichnung und Kontrolle der Arbeitszeiten der Arbeitnehmer.

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Bedeutung für die Praxis

Ob sich die Ausführungen des AG Emden in der Praxis durchsetzen werden, bleibt abzuwarten. Zu beachten ist, dass das Urteil vom 24. September 2020 – im Gegensatz zum Urteil vom Februar – noch nicht rechtskräftig ist. Es bleibt offen, ob andere Arbeitsgerichte, Landesarbeitsgerichte oder das Bundesarbeitsgericht dem Arbeitsgericht Emden folgen werden oder ganz anders entscheiden und die vorgenannten Entscheidungen insofern aus dem Rahmen fallen.

Hierauf sollten sich Arbeitgeber aber nicht unbedingt verlassen. Die beiden Urteile zeigen, dass ein nicht unerhebliches Risiko besteht, wenn Unternehmen auf eine Arbeitszeiterfassung verzichten oder die Zeiterfassung nur unzureichend kontrollieren und unerwünschte Überstunden nicht unterbinden. Arbeitgeber sollten deshalb überprüfen, ob ihre Zeiterfassungssysteme den Anforderungen aus dem Urteil des EuGH genügen und bei Bedarf Anpassungen vornehmen.

Bei Betrieben mit Arbeitnehmervertretung kommt hinzu, dass der Arbeitgeber bei der Einführung und Ausgestaltung des Arbeitszeiterfassungssystems auch die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 6 BetrVG beachten muss. Insofern sollte der Betriebsrat frühzeitig in das Thema miteingebunden werden.

Empfehlenswert ist diesbezüglich auch der Abschluss einer entsprechenden Betriebsvereinbarung. Möglicherweise wird es auch Betriebsräte geben, die anlässlich der Entscheidung des Arbeitsgerichts Emden auf der Grundlage ihrer Kontrollaufgabe nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG den Verstoß des Arbeitgebers gegen die Verpflichtung zur Einführung eines entsprechenden Arbeitszeiterfassungssystems geltend machen.

Angesichts der aktuellen betrieblichen Ausnahmesituation aufgrund der Corona Pandemie sei noch darauf hingewiesen, dass Arbeitgeber besonderes Augenmerk auf eine stichhaltige Arbeitszeitdokumentation legen sollten, wenn sie Kurzarbeitergeld in Anspruch nehmen. Dies gilt jedenfalls wenn keine Konstellation von „Kurzarbeit Null“ vorliegt. Die Arbeitsagenturen sind angewiesen, für die Feststellung des Arbeitszeitausfalls entsprechende Arbeitszeitunterlagen beim Arbeitgeber einzufordern. Sollten diese nicht vorgelegt werden können, dürfte es nicht gelingen, den tatsächlichen Arbeitsausfall und damit die Voraussetzungen des Kurzarbeitergeldes zu belegen.

Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch der vom Bundesarbeitsministerium vom 14.Januar 2021 vorgelegte Referentenentwurf für ein „Mobile-Arbeit-Gesetz“, der verpflichtende Regelungen zur (elektronischen) Erfassung von Arbeitszeiten im Home-Office enthält. Ob die Passagen Grundlage für eine spätere umfassende Regelung zum Thema sein könnten, ist angesichts von Widerständen aus der Wirtschaft gegenüber einer generellen Erfassungspflicht derzeit noch offen.

Es bleibt also spannend, wie es mit der Frage der Arbeitszeiterfassung weitergeht.

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