Das Tragen von Kopftüchern kann für alle Beschäftigten verboten werden. Das gilt auch für öffentliche Arbeitgeber, wie der EuGH nun erstmalig für die öffentliche Verwaltung entschied.
Eine öffentliche Verwaltung kann das sichtbare Tragen von Zeichen, die weltanschauliche oder religiöse Überzeugungen erkennen lassen, per Anordnung verbieten. Dabei trete die Religionsfreiheit einer einzelnen muslimischen Mitarbeiterin hinter der staatlichen Neutralität zurück, wobei der Verwaltung ein Wertungsspielraum zukomme. So entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Vorabentscheidungsverfahren (Urt. v. 28.11.2023, Az. C-148/22).
Nach fünf Jahren im Job hatte sich die Büroleiterin einer belgischen Kommune gewünscht, auf der Arbeit ihre muslimische Kopfbedeckung zu tragen. Der Arbeitgeber verwehrte ihr das Anliegen, obwohl die Mitarbeiterin nicht in direktem Kundenkontakt arbeitete, und ordnete daraufhin eine allgemeine Neutralitätspflicht für alle Mitarbeitenden an. So war es nun allgemein verboten, am Arbeitsplatz weltanschauliche oder religiöse Symbole zu tragen. Die Mitarbeiterin zog vor Gericht. Ein belgisches Arbeitsgericht legte die zentrale Frage in der Folge dem EuGH vor. Erlaubt das Unionsrecht eine solche Anordnung? Und das sogar für Mitarbeitende, die keinen direkten Kundenkontakt haben?
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„Vollständig neutrales Verwaltungsumfeld“ überwiegt
Im Mai 2023 hatte Generalanwalt Anthony Collins bereits für die Zulässigkeit einer Kopftuchverbots am Arbeitsplatz plädiert, solange es alle Mitarbeiter gleichermaßen betreffe. Der EuGH schloss sich dieser Auffassung nun an.
Die öffentliche Verwaltung dürfe gegenüber ihren Arbeitnehmern eine strikte Neutralität durchsetzen, so das Gericht. Ein „vollständig neutrales Verwaltungsumfeld“ sei insofern ein sachlich gerechtfertigtes Ziel, zu dessen Erreichung das Tragen religiöser Symbole verboten werden dürfe. Dabei sei sowohl ein allgemeines Verbot für alle Mitarbeitenden als auch eine Beschränkung des Verbots auf Mitarbeitende mit Publikumskontakt zulässig. Der öffentliche Arbeitgeber habe hier allerdings einen Wertungsspielraum, der sich aus der der EU-Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie (RL 2000/78/EG) ergebe. Ob dieser wiederum eingehalten wurde, sei nun von den nationalen Gerichten zu klären.
Wenig Unterschied zur Privatwirtschaft
Mit dem Urteil entschied der EuGH die Kopftuchfrage erstmalig für den öffentlichen Sektor. Diese Frage war bislang tatsächlich unbeantwortet. In ähnlich gelagerten Fällen hatte er schon im Jahre 2021 geurteilt (Urt. v. 15.07.2021, Az. C-804/18, C-341/19). Dort klagten eine Heilerziehungspflegerin und eine Drogeriemarktmitarbeiterin gegen jeweilige Dienstanweisungen, die das Kopftuchtragen untersagten. Schon hier sah das Gericht ein allgemeines Verbot jeglicher religiöser und weltanschaulicher Symbole als mittelbare Diskriminierung. Solange dieses aber alle Mitarbeitenden gleichermaßen betreffe, könne es mit einem „wirklichen Bedürfnis“ des Arbeitgebers gerechtfertigt werden – etwa dem erkennbaren Wunsch der Kunden, dass ihre Kinder nicht von Personen beaufsichtigt werden, die religiöse Symbole tragen.
Die Vorabentscheidung zur belgischen Verwaltungsmitarbeiterin ist insofern konsequent. Anstelle des „wirklichen Bedürfnisses“ tritt nun also das berechtigte Ziel der staatlichen Neutralität.