Wer viermal lügt, dem glaubt man nicht! Nachdem sich ein Arbeitnehmer zum vierten Mal in der letzten Urlaubswoche krankschreiben ließ, hatte der Arbeitgeber genug und verweigerte die Gehaltszahlung. Das BAG hatte nun zu entscheiden, ab wann Zweifel an einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aus dem Nicht-EU-Ausland berechtigt sind.
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aus dem Nicht-EU-Ausland tragen grundsätzlich den gleichen Beweiswert wie inländische. Ihr Beweiswert könne aber durch Umstände erschüttert werden, die für sich genommen zwar unverfänglich sein mögen, in der Gesamtschau aber ernsthafte Zweifel begründen, so das Bundesarbeitsgericht (BAG) im Revisionsverfahren eines betroffenen Arbeitgebers (BAG, Urt. v. 15.01.2025, Az. 5 AZR 284/24).
Zufällig immer am Ende des Urlaubs krank
Hintergrund des Verfahrens war die Zahlungsklage eines Lagerarbeiters. Dieser hatte bereits in den Jahren 2017, 2019 sowie im Jahr 2020 im direkten Zusammenhang mit genehmigtem Urlaub Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt. So dann auch in der letzten Woche seines Urlaubs in Tunesien von August bis September 2022. Am zweiten Tag vor Urlaubsende teilte er seinem Arbeitgeber mit, er sei bis zum 30. September krankgeschrieben. Der Mitteilung fügte er ein Attest eines tunesischen Arztes an, der in französischer Sprache eine Untersuchung bescheinigte und dem Arbeitnehmer 24 Tage strenge, häusliche Ruhe attestiert hatte. Der Arbeitnehmer buchte dann für den 29. September ein Fährticket, um an dem Buchungstag sodann erst nach Genua und dann nach Deutschland weiter zu reisen.
Danach legte er seinem Arbeitgeber eine Erstbescheinigung eines deutschen Arztes vom 4. Oktober 2022 vor, in der eine Arbeitsunfähigkeit bis zum 8. Oktober 2022 bescheinigt wurde. Nachdem sein Arbeitgeber ihm daraufhin mitgeteilt hatte, dass es sich seiner Auffassung nach bei dem Attest vom 7. September 2022 nicht um eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung handele, legte der Mann eine erläuternde Bescheinigung des tunesischen Arztes vom 17. Oktober 2022 vor, in welcher der Arzt ihm bescheinigte, den Kläger am 7. September 2022 untersucht zu haben. In dem Schreiben erläuterte der Arzt weiter, dass der Arbeitnehmer eine sog. „beidseitige Lumboischialgie“ gehabt habe, die eine Ruhepause mit Arbeitsunfähigkeit und Reiseverbot für 24 Tage erforderlich gemacht habe.
Der Arbeitgeber lehnte die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall dennoch ab und kürzte die Vergütung für September 2022 um 1.583,02 Euro netto. Mit seiner Klage hatte der Arbeitnehmer zuletzt Entgeltfortzahlung für September 2022 in dieser Höhe verlangt. Das Arbeitsgericht München hatte die Klage erstinstanzlich abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) München verpflichtete im Berufungsverfahren jedoch den Arbeitgeber zur Lohnfortzahlung (LAG München, Urteil vom 16. Mai 2024, Az. 9 Sa 538/23), so dass sich nun das BAG mit dem Fall beschäftigen musste.
Gesamtschau statt Einzelbetrachtung
Die Revision des Arbeitgebers hatte vor dem BAG Erfolg. Nach Auffassung des BAG könnten zwar auch Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aus dem Nicht-EU-Ausland grundsätzlich gleich beweiskräftig sein wie solche aus dem Inland. Dafür jedoch müsse die Bescheinigung erkennen lassen, dass der Arzt zwischen einer „bloßen Erkrankung“ und einer „mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Krankheit“ unterschieden habe.
Das BAG betonte, dass man bei der Beurteilung einer Arbeitsunfähigkeitsbetrachtung alle Aspekte gemeinsam betrachten müsse, die zu Zweifeln an der Bescheinigung führen könnten. Das LAG habe aber bei der Würdigung der vom Arbeitgeber zur Begründung seiner Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit vorgetragenen tatsächlichen Umstände nur jeden einzelnen Aspekt isoliert betrachtet und die rechtlich gebotene Gesamtwürdigung unterlassen. Hierzu führte das BAG mehrere Umstände auf. So sei etwa zu berücksichtigen, dass der Arzt zwar eine 24-tägige Arbeitsunfähigkeit bescheinigte, seinen Patienten aber nicht zur Wiedervorstellung vorgesehen hatte. Auch dass der Lagerarbeiter bereits am Tag des Attests ein Fährticket für den 29. September gebucht habe, obwohl er bis zum 30. September strenge Bettruhe verordnet bekommen hatte, sei in eine Beurteilung einzubeziehen. Auch das der Arbeitnehmer bereits in den Vorjahren ähnliche Bescheinigungen im direkten Zusammenhang mit seinem Urlaub eingereicht hatte, müsse berücksichtigt werden.
All diese Umstände seien für sich genommen zwar unverfänglich, in ihrer Gesamtheit allerdings könnte sie die Beweislast der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern. Den Arbeitnehmer treffe deshalb die volle Darlegungs- und Beweislast für seine Arbeitsunfähigkeit – und damit für seinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung (§ 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz).
Da das Landesarbeitsgericht – aus seiner Sicht konsequent – hierzu keine Feststellungen getroffen hat, war die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.
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