Wer als Arbeitnehmer erkrankt, muss seine Arbeitsunfähigkeit bei der Krankenkasse lückenlos nachweisen. Dazu muss man sich bei einem Arzt krankschreiben lassen. Das BSG musste sich mit der Frage beschäftigen, was passiert, wenn man beim Arzt abgewiesen wird und dadurch ein Attest erst nachträglich einreichen kann. Das BSG entschied, dass eine verspätete Abgabe eines Attests nicht dazu führt, dass man seinen Anspruch auf Krankengeld verliert, sofern man die Verspätung nicht zu verschulden hat.
Eine Angestellte war wegen einer Schulteroperation bis zum 17.6.2018, auch über das Ende ihres Arbeitsverhältnisses zum April 2018, krankgeschrieben. Als sie die Krankschreibung am Folgetag verlängern wollte, wurde sie von ihrem Hausarzt abgewiesen. So sei sie deutlich darauf hingewiesen worden, dass das Wartezimmer voll sei und sie demnach zwei Tage später wiederkommen solle. Die Angestellte verließ daraufhin die Praxis mit der Vorstellung, dass eine spätere Ausstellung der Arbeitsunfähigkeit unschädlich sei. Die Krankenkasse akzeptierte den „gelben Schein“ vom 20.06.2018 jedoch nicht. Dagegen wehrte sich die Angestellte gerichtlich. Das Bundessozialgericht (BSG) (Urt. v. 21.09.2023, Az. B 3 KR 11/22 R) stellte nun klar, dass ein verspätetes Attest nicht in allen Fällen dazu führen darf, dass der Anspruch auf Krankengeld entfällt.
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Alles Zumutbare getan
Laut der Sozialrichter hätten Versicherte grundsätzlich dafür zu sorgen, dass der Arzt die Arbeitsunfähigkeit rechtzeitig feststelle. So sei das Fehlen einer lückenlosen Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung eigentlich ein Grund, die weitere Bewilligung von Krankengeld zu beenden. Zu diesem Grundsatz gebe es jedoch enge Ausnahmen, nach denen Arbeitnehmer so zu behandeln seien, als hätten sie die Krankmeldung rechtzeitig eingereicht. So eine Ausnahme läge hier vor. Die Frau habe alles in ihrer Macht Stehende und Zumutbare getan, um eine rechtzeitige ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit zu erhalten.
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss gewahrt bleiben
Ob alles Zumutbare getan wurde, soll sich nach einer Gesamtbetrachtung der Risiko- und Verantwortungsbereiche des Versicherten, des Arztes und der Krankenkasse ergeben, so die Richter. Dabei flössen auch verfassungsrechtliche Vorgabe ein, erläutert das BSG weiter. Aufgrund dieser Betrachtung sei ein Anspruch auf weiteres Krankengeld auch gewahrt, wenn der Versicherte „ohne zuvor vereinbarten Termin am ersten Tag nach einer zuvor festgestellten Arbeitsunfähigkeit die Praxis des behandelnden Arztes zu üblicher Öffnungszeit persönlich aufsucht, um wegen derselben Krankheit eine Arbeitsunfähigkeits-Folgefeststellung zu erlangen“. So sei im vorliegenden Fall ein verspätetes Attest, angesichts der Schwere des Nachteils, der im dauerhaften Verlust des Krankengeldanspruchs entstehe, unschädlich.
Weiterhin sei neben dem Arzt auch der Verantwortungsbereich der Krankenkasse betroffen. Laut Gericht seien diese nämlich als maßgebliche Mitakteure im Gemeinsamen Bundesausschuss an Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien beteiligt. Darin sei gefasst, dass eine begrenzte rückwirkende ärztliche Arbeitsunfähigkeits-Feststellung zulässig sei. So seien sie für die naheliegende Fehlvorstellung der Angestellten, dass rückwirkende Arbeitsunfähigkeits-Feststellungen nicht leistungsschädlich seien, verantwortlich.
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