Eine Pflegerin, die täglich nachweisbar 21 Stunden am Tag als Pflegekraft für eine ältere Frau zuhause gearbeitet hat, ist auch für diese Zeit zu vergüten. Das gilt auch dann, wenn im Arbeitsvertrag lediglich 30 Wochenstunden vereinbart sind, so das LAG Berlin-Brandenburg. Immerhin ein finanzieller Erfolg, der große Auswirkungen für viele Pflegekräfte haben dürfte. Doch es gibt ein weiteres Problem, welches das Urteil nicht behandelt.
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg im Fall einer Pflegekraft entschieden, dass diese zumindest für 21 Stunden pro Tag zu vergüten sei, weil sie de facto fast rund um die Uhr gearbeitet hat. Dies gelte auch dann, wenn im Arbeitsvertrag lediglich 30 Arbeitsstunden wöchentlich vereinbart waren (Urt. v. 05.09.2022, Az. 21 Sa 1900/19).
Vereinbarung einer Arbeitszeit von 30 Stunden wöchentlich
Die Klägerin war eine bulgarische Staatsangehörige, die auf Vermittlung einer deutschen Agentur von ihrem bulgarischen Arbeitgeber als Pflegekraft nach Deutschland entsandt worden war. Hier betreute sie im Rahmen einer „24-Stunden-Pflege zu Hause“ eine ältere, alleinlebende Frau in ihrer Wohnung in einer Seniorenwohnanlage. Neben der umfassenden Körperpflege und der Führung des Haushalts half die Pflegerin der Frau auch beim Essen und leistete ihr Gesellschaft. Hierfür war es notwendig, dass die Pflegerin in der Wohnung der zu betreuenden Frau wohnte und auch dort übernachtete. All dies wurde in einem Betreuungsvertrag festgehalten. Vereinbart war dort auch ein Betreuungsentgelt – allerdings nur für eine Arbeitszeit von 30 Wochenstunden.
Im Rahmen ihrer Tätigkeit war die Pflegerin von 6 Uhr morgens bis etwa 22 oder 23 Uhr abends im Einsatz gewesen und habe sich auch nachts stets bereithalten müssen. Aus diesem Grund forderte sie nun eine zusätzliche Vergütung – für die vollen 24 Stunden pro Tag statt für 30 Stunden pro Woche. Zusammengerechnet waren dies 168 Wochenstunden. Für den gesamten Zeitraum habe sie einen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn. Der Arbeitgeber bestritt die behaupteten Arbeitszeiten und verwies auf die arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitszeit von 30 Wochenstunden.
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Bereitschaftsdienst in erheblichem Umfang
Nachdem das Gericht der Klage bereits 2020 im Wesentlichen stattgegeben hat, hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) im Rahmen der Revision eine umfangreiche Beweisaufnahme für die Aufklärung der genauen Arbeits- und Bereitschaftszeiten gefordert. Das Verfahren wurde an das LAG zurückverwiesen (Urt. v. 24.06.2021, Az. 5 AZR 505/20). Nun hat das LAG der Klägerin daraufhin den geforderten Mindestlohn erneut im Wesentlichen zugesprochen.
Die umfangreiche erneute Beweisaufnahme des LAG ergab, dass die Betreuung der pflegebedürftigen Frau tatsächlich 24 Stunden am Tag sichergestellt werden musste, insbesondere wenn sich gerade keine andere Person bei der Frau aufhielt. Neben der bereits vergüteten Arbeitszeit habe die Pflegerin folglich einen Bereitschaftsdienst in erheblichem Umfang leisten müssen. Die Berufung des Arbeitgebers auf die vereinbarten 30 Wochenstunden sei zum einen unrealistisch. Zum anderen sei sie treuwidrig, wenn eine umfassende Betreuung vereinbart sei, aber der Arbeitgeber die Einhaltung der Arbeitszeit nicht weiter organisiert habe, obwohl dies seine Aufgabe gewesen sei. Stattdessen hatte der Arbeitgeber der Pflegerin die Verantwortung sowohl für die Einhaltung der Arbeitszeit als auch für die Betreuung übertragen.
Die Beweislast für die erbrachten Bereitschaftszeiten sei allerdings von der klagenden Pflegekraft zu tragen. Das LAG stellte fest, dass es der Klägerin möglich und zumutbar gewesen sei, sich etwa drei Stunden am Tag von der Betreuung zu befreien. Dies waren die Momente, in denen die pflegebedürftige Frau Zeit mit ihren Familienangehörigen verbrachte, sodass hier auch kein Bereitschaftsdienst angenommen werden konnte. Aus diesem Grund hatte das Gericht der Klägerin nur eine vergütungspflichtige tägliche Arbeitszeit von 21 Stunden zugesprochen. Die erneute Revision zum BAG wurde nicht zugelassen.
Kritik: Nichteinhaltung der Ruhezeiten
Der vorliegende Fall ist ein gutes Beispiel dafür, was in der Praxis leider schon fast zum Normalfall geworden ist: Pflegekräfte arbeiten um die 20 Stunden am Tag. Ist die Pflegekraft alleine eingesetzt, bedeutet dies bei der 24-Stunden-Pflege eine Betreuung rund um die Uhr, ohne Ruhezeiten. Ansonsten könnte die umfassende und lückenlose Betreuung nicht gewährleistet werden.
Das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) regelt, dass die tägliche Arbeitszeit acht Stunden nicht überschreiten darf. Nur in Ausnahmefällen kann sie auf zehn Stunden am Tag verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden. Es muss jedoch immer ein angemessener Ausgleich an Ruhezeiten erfolgen. Diese beträgt nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden. Während dieser Ruhezeit soll es dem Arbeitnehmer möglich sein seine Zeit frei und ohne dienstliche Verpflichtungen gestalten zu können und sich ausreichend zu erholen. Ist eine Pflegekraft nun alleine in der 24-Stunden-Pflege eingesetzt, ist die Einhaltung der Ruhezeiten faktisch nicht umsetzbar.
Werden die gesetzlichen Regelungen nicht eingehalten, stellt dies eine Ordnungswidrigkeit dar und dem Arbeitgeber droht ein Bußgeld (§ 22 ArbZG). Bei Vorsatz und Gefährdung von Gesundheit und Arbeitskraft des Arbeitnehmers oder bei „beharrlicher Wiederholung“ drohen sogar eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe (§ 23 ArbZG).
Wichtig ist daher, dass entweder die Angehörigen der pflegebedürftigen Person zeitweise die Betreuung übernehmen oder sich mehrere Pflegekräfte gegenseitig ablösen.
Abgesehen von den allgemeinen gesetzlichen Regelungen ist die Einhaltung der Ruhezeiten in der häuslichen Betreuung und Pflege auch so wichtig, weil sie mit einer hohen Belastung für die Pflegekräfte einhergeht, körperlich und psychisch. Durch die Einhaltung der Ruhezeiten können potentiell falsche Behandlungen, Unfälle oder andere Fehler vermieden und eine hochwertige und menschenwürdige Pflege gewährleistet werden.
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