Einreiseverbote und Grenzschließungen zur Pandemieeindämmung hatten zu einem massiven Nachfrageeinbruch im Luftverkehr geführt. Infolgedessen reduzierten viele Fluggesellschaften ihre Flugzeugkontingente und bauten Arbeitsplätze ab. So auch die britische Fluggesellschaft EasyJet, die mitten in der Pandemie mehrere hunderte Beschäftigte entlassen hatte. In einem aktuellen Urteil vom 12.05.2022 (5 Sa 1584/21) erklärte das LAG Berlin-Brandenburg nun jedoch viele dieser Kündigungen für unwirksam.

Von Bene Riobó – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0

Ab Dezember 2020 reagierte die britische Fluggesellschaft EasyJet auf den durch die Pandemiebekämpfung verursachten Nachfragerückgang, indem sie am Flughafen Berlin Brandenburg (BER) die Anzahl ihrer dort stationierten Flugzeuge von ursprünglich 34 auf 16 reduzierte. Mit der Personalvertretung hatte das Unternehmen vereinbart, dass infolge dieser Verringerung zunächst 418 Arbeitsplätze abgebaut werden sollten. Im Mai bzw. Juni 2021 sollte dann abhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung der Fluggesellschaft über den Abbau weiterer 320 Arbeitsplätze entschieden werden. Um den massiven Nachfrageeinbruch abzufedern, wurde zudem in der Zeit von April 2020 bis Juni 2021 Kurzarbeit angeordnet. Dennoch sprach EasyJet im November 2020 im Zuge einer ersten Kündigungswelle und im Juni 2021 im Zuge einer zweiten Kündigungswelle insgesamt rund 450 betriebsbedingte Kündigungen aus.

Dagegen klagten mehrere Arbeitnehmer erstinstanzlich beim Arbeitsgericht (ArbG) Cottbus. Das LAG Berlin-Brandenburg hatte sich nun im Rahmen des Berufungsverfahrens mit der Wirksamkeit eines Teils der Kündigungen zu befassen. Daneben sind noch weitere Verfahren anhängig.

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Kündigungen der ersten Kündigungswelle wirksam

Das LAG Berlin-Brandenburg erklärte die im Rahmen der ersten Kündigungswelle ausgesprochenen Kündigungen für wirksam. Demnach hätte die Fluggesellschaft schlüssig dargelegt, dass sie aufgrund des mit der Pandemie verbundenen Nachfragerückgangs von einem teilweise dauerhaften Wegfall des Beschäftigungsbedarfs hätte ausgehen dürfen und infolgedessen ihr Flugzeugkontingent reduzieren sowie Arbeitsplätze abbauen dürfen. Die Kündigungen seien daher aus betriebsbedingten Gründen gerechtfertigt, so das Gericht.

Weiterhin führte das Gericht aus, dass die Kündigungen auch nicht wegen eines Verstoß gegen § 17 Abs. 3 S. 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) unwirksam seien. Bei sogenannten Massenentlassungen ist der Arbeitgeber nach dem KSchG dazu verpflichtet, der Bundesagentur für Arbeit (BA) vor Ausspruch der Kündigungen über diese Anzeige zu erstatten. Ist in dem Unternehmen ein Betriebsrat vorhanden, muss der Arbeitgeber zudem noch vor dieser Massenentlassungsanzeige ein Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat durchführen, in dem er insbesondere die Gründe für die geplanten Kündigungen mitteilen muss und mit ihm über die vorgesehenen Entlassungen zu beraten hat. Gleichzeitig ist die BA über die Durchführung des Konsultationsverfahrens zu informieren. Hier hatte die Fluggesellschaft der BA zwar das Schreiben über die Einleitung des Konsultationsverfahrens zugeleitet, allerdings erst gemeinsam mit der Massenentlassungsanzeige und damit verspätet.

Unwirksam sei die Kündigung nach Ansicht des Gerichts dennoch nicht. Denn nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift sowie unter Berücksichtigung europarechtlicher Wertungen käme § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG allein eine verfahrensordnende Bedeutung zu, die auf die Wirksamkeit der Kündigung keinen Einfluss habe. Hinsichtlich der Frage, welche Folgen ein Verstoß  gegen die Vorschrift nach sich ziehe, lies das Gericht aber die Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) zu.

Kündigungen der zweiten Welle unwirksam

Die Kündigungen der zweiten Kündigungswelle seien nach Ansicht des LAG Berlin-Brandenburg dagegen unwirksam. Denn anders als noch bei den Kündigungen im November 2020 seien betriebsbedingte Gründe für die einzelnen Kündigungen in der zweiten Welle des Stellenabbaus nicht feststellbar.

So habe sich das Unternehmen Ende 2020 für den Abbau von 418 Arbeitsplätzen entschieden und für die zunächst nicht gekündigten Arbeitnehmer lediglich Kurzarbeit angeordnet. Die Anordnung von Kurzarbeit setze aber stets einen bloß vorrübergehenden Arbeitsmangel voraus, wohingegen eine betriebsbedingte Kündigung nur mit einem dauerhaften Wegfall des Arbeitskräftebedarfs gerechtfertigt werden könne. Gründe, die für einen dauerhaften Wegfall von Arbeitsplätzen sprechen würden, sah das Gericht jedoch nicht. Insbesondere könnten die Kündigungen der zweiten Welle nicht auf die Reduzierung der Flugzeugkontingente gestützt werden, da insgesamt mehr Arbeitnehmer gekündigt wurden, als dies rechnerisch der Verringerung entspreche. Nach Ansicht des LAG hätte die Fluggesellschaft daher ihre Entscheidung, künftig weniger Personal beschäftigen zu wollen, näher erläutern müssen. Dies sei hier nicht hinreichend geschehen.

Da sich die Unwirksamkeit der Kündigungen der zweiten Kündigungswelle nach Ansicht des LAG bereits aus dem Fehlen eines Kündigungsgrundes ergebe, kam es insofern auf die Folgen eines Verstoßes gegen § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG nicht mehr an. Dementsprechend hat das LAG die Revision zum BAG auch nicht zugelassen.

Die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg zeigt erneut, dass die Gerichte an die Arbeitgeber strenge Begründungsanforderungen stellen, wenn diese ihren Arbeitnehmern aus betriebsbedingten Gründen kündigen. Interessant bleibt, ob das BAG im Rahmen eines möglichen Revisionsverfahrens endgültig klären wird, welche Folgen ein Verstoß gegen § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG nach sich zieht. Fest steht: Sollte es zu einem Revisionsverfahren kommen, wird sich ein genauerer Blick lohnen.

aha