Der Fachkräftemangel in deutschen Unternehmen ist längst Alltag. Daher wildern inzwischen zahlreiche Unternehmen bei Vertragspartnern, um den Personalmangel zu beheben. Das OLG Köln hat nun entschieden, dass das Abwerben von Mitarbeitern regelmäßig keine wettbewerbswidrige Behinderung und damit nicht wettbewerbswidrig sei.
Der Mangel an Arbeits- und Fachkräften auf dem Arbeitsmarkt führt nicht selten zu Abwerbungen von Mitarbeitenden bei der Konkurrenz. Das Oberlandesgericht (OLG) Köln hat sich mit der gerichtlichen Durchsetzung von Abwerbungsverboten auseinandergesetzt und bei vertraglich vereinbarten Wettbewerbsverboten nun enge Grenzen abgesteckt (Urt. v. 03.09.2021, Az. 6 U 81/21).
Im zugrundeliegenden Fall erbrachte die Antragstellerin Call-Center-Dienstleistungen für die Antragsgegnerin. Der zu diesem Zweck geschlossene Rahmenvertrag beinhaltete unter anderem ein Abwerbeverbot. Darin verpflichteten sich die beiden Parteien keinen derzeitigen Mitarbeiter oder eine sonst vertraglich verpflichtete Person des anderen Vertragspartners mittelbar oder unmittelbar abzuwerben, sofern diese mit Leistungen aus dem Vertrag oder einem der Vertragsteile betraut ist.
Im Laufe der Zeit wurden trotz des Verbotes mehrere Abwerbeversuche gegenüber Arbeitnehmern der Antragstellerin durch Mitarbeiter der Antragsgegnerin vorgenommen. Kommunikationsversuche des Geschäftsführers der Antragstellerin führten zwar zu einer Zusicherung, dass solches Handeln künftig unterbleibt. Dennoch folgten weitere Abwerbeversuche, die eine anwaltliche Abmahnung erforderlich machten. Diese blieb ebenfalls ohne Erfolg.
Das Landgericht Köln entsprach dem Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, die es der Antragsgegnerin unter anderem untersagt, für die Laufzeit des zwischen ihnen bestehenden Vertrags eigene Arbeitnehmer zum Zwecke der unmittelbaren oder mittelbaren Abwerbung anzurufen oder anrufen zu lassen. Hiergegen legte die Antragsgegnerin erfolgreich Berufung vor dem OLG Köln ein.
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Begriff und Grenzen der Abwerbung
Abwerbung ist jede ernsthafte Einwirkung auf Arbeitnehmer, die mit dem eindeutigen Ziel erfolgt, diesen oder diese zum Arbeitgeberwechsel zu veranlassen. Aufgrund der freien Marktwirtschaft ist das Abwerben von Arbeitnehmern grundsätzlich erlaubt. Jeder Person steht es frei zu entscheiden, wo sie arbeiten möchte und wann sie ein Arbeitsverhältnis beispielsweise durch Kündigung beenden möchte. Grenzen werden gesetzt durch die Vorschriften des „Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb“ (UWG). Verstößt die Abwerbung gegen solche Vorschriften, ist die Abwerbung unzulässig und dem abwerbenden Arbeitgeber drohen Schadensersatzansprüche, eine Unterlassungsklage sowie potentiell ein Beschäftigungsverbot des abgeworbenen Mitarbeitenden. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Arbeitnehmer zum Vertragsbruch aufgefordert wird, durch irreführende Mitteilungen zur Vertragslösung gebracht wird oder bei vorsätzlicher und sittenwidriger Schädigung der Leistungsfähigkeit des Konkurrenten.
Kernaussagen der Entscheidung
In der Praxis werden Wettbewerbsverbote mit Vertragspartnern häufig vertraglich vereinbart. Nachvertragliche Wettbewerbsverbote sind mit hohen Kosten, einer Karenzentschädigung für den ausgeschiedenen Arbeitnehmer, verbunden und werden aus diesem Grund gerne umgangen.
Mit der Entscheidung des OLG Köln hat das Gericht nun enge Grenzen für die gerichtliche Durchsetzung vertraglich vereinbarter Wettbewerbsverbote definiert und zugleich hohe Hürden an einen Wettbewerbsverstoß aufgestellt. Im vorliegenden Fall ergebe sich ein Unterlassungsanspruch gegen die Antragsgegnerin weder aus dem vertraglichen Wettbewerbsverbot noch aus dem UWG. Ein faktischer Verstoß gegen das vertragliche Wettbewerbsverbot liege zwar durch die Abwerbeversuche vor. Angeführt wird jedoch der § 75 f HGB, der so auszulegen sei, dass er nicht nur die Klagbarkeit von Einstellungsverboten ausschließe, sondern auch von Vereinbarungen zwischen Unternehmern, keine Arbeitskräfte des Vertragspartners abzuwerben. Dies ergebe sich unter anderem aus dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck der Norm. Zweck sei es zum Beispiel, zu verhindern, dass Arbeitgeber durch die Vereinbarung vertraglicher Abwerbungsverbote versuchen die Pflicht zur Zahlung einer Karenz bei nachvertraglichen Wettbewerbsklauseln zu umgehen.
Außerdem soll dem Interesse der beruflichen Weiterentwicklung des Arbeitnehmers, im Vergleich zum Interesse des Arbeitgebers das Know-how seiner Mitarbeiter im Unternehmen zu erhalten oder Wettbewerbsnachteile zu verhindern, grundsätzlich Vorrang gewährt werden. Dies werde durch ein vertragliches Abwerbeverbot verhindert.
Eine Ausnahme bestehe nur dann, wenn die berechtigten Interessen des Arbeitgebers im Einzelfall für eine Unterlassung der Abwerbeversuche sprechen und das Interesse des betroffenen Arbeitnehmers damit überwiegen. Gemeint sind Konstellationen in denen ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien besteht oder eine der Parteien besonders schutzwürdig ist. Dann sei es nicht mehr gerechtfertigt die gerichtliche Durchsetzbarkeit wegen § 75 f HGB zu versagen. Eine solche Ausnahmesituation lag im entschiedenen Fall jedoch nicht vor. Das vertragliche Abwerbeverbot war gerichtlich nicht durchsetzbar.
Weniger Schutz vor Abwerbungen
Die Entscheidung des OLG zeigt, dass trotz vertraglicher Vereinbarungen nur geringer Abwerbungsschutz besteht. Die vertraglichen Vereinbarungen bleiben zwar rechtlich wirksam, haben jedoch faktisch keine Wirkungskraft und stellen keinen nennenswerten Vorteil dar. Die seltenen Fälle in denen das Interesse des Arbeitgebers der Wertung des § 75 f HGB vorgeht, sind in der Regel auch solche Fälle, in denen schon eine unlautere geschäftliche Handlung nach dem UWG gegeben ist. Vertragliche Vereinbarungen können folglich nie über den ohnehin gewährleisteten Schutz, den das UWG hergibt, hinausgehen.
Risiko des Rücktritts
Vertragliche Abwerbeverbote sollten dennoch nicht ignoriert werden. Vertragliche Abwerbungsverbote können zwar nach der neuen Rechtsprechung gerichtlich nicht durchgesetzt werden, allerdings bleibt das Risiko bestehen, dass der Vertragspartner bei einem Verstoß gegen das vertragliche Verbot nach § 75 f HGB vom Vertrag zurücktritt. Es bleibt abzuwägen, ob der Abwerbeversuch es wert ist seine geschäftlichen Kontakte und Vertragspartner zu verlieren.
Was können Unternehmen tun?
Unternehmen ist zu empfehlen Regelungen zu vereinbaren, die auf eine besondere Schutzbedürftigkeit oder ein Vertrauensverhältnis der Vertragsparteien schließen lassen. In Betracht kommen Klauseln, die dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen dienen oder Abwerbungsverbote, die inhaltlich auf besondere Know-how-Träger, insbesondere Mitarbeiter in Schlüsselpositionen, beschränkt sind. So hat die gerichtliche Durchsetzung eines Abwerbeverbots zumindest höhere Chancen.
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