Was bedeutet eigentlich „Digital Native“? Und darf ein Unternehmen gezielt nach solchen Leuten suchen? Das LAG Baden-Württemberg sagt: lieber nicht! Denn wer so formuliert, der läuft Gefahr, ältere Bewerber unzulässig ausschließen.

Wer in einer Stellenanzeige gezielt nach einem „Digital Native“ sucht, läuft Gefahr, gegen das Diskriminierungsverbot des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) zu verstoßen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg hat entschieden, dass der Begriff nicht nur technische Fähigkeiten beschreibe, sondern eine bestimmte Generation meine und damit mittelbar auch das Alter. Eine solche Formulierung in einer Stellenausschreibung könne daher eine unmittelbare Benachteiligung älterer Bewerber darstellen. Im aktuellen Fall erhielt ein abgelehnter Bewerber, Jahrgang 1972, eine Entschädigung in Höhe von 7.500 Euro zugesprochen, da das Unternehmen nicht belegen konnte, dass das Alter keine Rolle spielte (LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 07.11.2024, Az. 17 Sa 2/24).
Wie ein Schlagwort in der Stellenanzeige zum Verhängnis wurde
Es war eine vielversprechende Ausschreibung auf einem bekannten Karriereportal. Gesucht wurde ein „Manager Corporate Communications (m/w/d)“ für die Unternehmensstrategie eines international agierenden Sportartikelhändlers mit Sitz in Heilbronn. Die Anzeige klang modern und dynamisch und wohl sogar etwas zu dynamisch. Schon die Tonalität war locker gehalten: Man suche einen „Teambuddy“ und biete ein „dynamisches Team“. Und dann war da noch dieser eine Satz, der später zum zentralen Streitpunkt vor Gericht wurde: „Als Digital Native fühlst Du Dich in der Welt der Social Media, der datengetriebenen PR, des Bewegtbilds und allen gängigen Programmen zu Hause.“
Beworben hatte sich auf diese Anzeige ein erfahrener Diplom-Wirtschaftsjurist, geboren 1972, wohnhaft in Berlin. Sein Lebenslauf war lang und beeindruckend. Er hatte in leitender Funktion gearbeitet, kannte sich mit Kommunikation, Marketing und Strategie bestens aus. Seine Gehaltsvorstellung lag bei 90.000 Euro im Jahr, was für eine Führungsposition in einem Großunternehmen nicht ungewöhnlich ist. Die Antwort auf seine Bewerbung kam jedoch schnell: eine Absage. Kein Vorstellungsgespräch, kein weiterer Kontakt. Nur ein nüchternes „Vielen Dank für Ihr Interesse“.
Doch der Bewerber war nicht bereit, diese Absage einfach so hinzunehmen. Ihm war der Begriff „Digital Native“ in der Anzeige aufgefallen. Er verstand ihn, wie viele andere auch, als Hinweis auf ein bestimmtes Alter. Nach allgemeinem Sprachgebrauch meint „Digital Native“ Menschen, die mit digitalen Medien aufgewachsen sind, also typischerweise ab den 1980er-Jahren geboren wurden. Als jemand, der 1972 geboren ist, fühlte er sich ausgeschlossen. Und genau das machte er in der Folge geltend. Er klagte zunächst vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Heilbronn auf Entschädigung wegen Altersdiskriminierung und forderte 37.500 Euro, also fünf Bruttomonatsgehälter.
Das ArbG gab ihm teilweise recht und sprach ihm 7.500 Euro zu. Das Unternehmen legte Berufung ein, aber auch das LAG bestätigte das Urteil weitgehend. Das Gericht fand dabei klare Worte: Der Begriff „Digital Native“ sei generationenbezogen und könne älteren Bewerbern das Gefühl geben, nicht angesprochen zu sein, was dem AGG widerspreche.
Der Begriff „Digital Native“ als Diskriminierungsmerkmal
Das LAG Baden-Württemberg musste sich im Wesentlichen mit der Frage auseinandersetzen, ob die Formulierung „Digital Native“ in einer Stellenanzeige eine verbotene Diskriminierung wegen des Alters darstelle. Die Antwort fiel eindeutig aus. Das LAG sah in dem Begriff ein klares Indiz für eine altersbezogene Ungleichbehandlung. Dabei stützte sich das LAG auf gängige Definitionen, etwa im Duden oder bei Wikipedia. Auch der US-amerikanische Pädagoge Marc Prensky, der den Begriff im Jahr 2001 prägte, bezeichnet damit eine Generation von Menschen, die von Kindesbeinen an mit digitalen Technologien aufgewachsen sind. Diese stehen damit im Gegensatz zu den sogenannten „Digital Immigrants“, die erst später im Leben damit in Kontakt kamen.
Für das LAG war deshalb klar: „Digital Native“ bedeute mehr als nur digital kompetent zu sein. Es beschreibe eine bestimmte Altersgruppe. Wer also gezielt nach einem „Digital Native“ suche, signalisiere potenziellen Bewerbern, dass sie nur dann infrage kämen, wenn sie jung genug seien, um mit digitalen Medien aufgewachsen zu sein. Das stelle eine mittelbare Altersdiskriminierung dar – und im konkreten Fall sogar eine unmittelbare, weil ältere Bewerber dadurch gezielt ausgeschlossen würden.
Hinzu kämen weitere Formulierungen in der Anzeige, die diese Einschätzung stützen würden. Begriffe wie „Teambuddy“ oder „dynamisches Team“ seien zwar nicht per se diskriminierend, würden aber erfahrungsgemäß eher jüngere Bewerber ansprechen. In der Gesamtschau der Anzeige sah das Gericht daher eine unzulässige Einschränkung des Bewerberkreises auf jüngere Personen.
Auch dass der Kläger im Jahr 1972 geboren worden sei, war für die Bewertung relevant. Das LAG stellte fest, dass Jahrgänge vor 1980 jedenfalls nicht mehr zur Generation der „Digital Natives“ gehörten, und zwar unabhängig davon, ob man die Grenze genau bei 1980 oder etwas später ziehe. Insofern fiele der Kläger eindeutig nicht unter die Zielgruppe der Stellenausschreibung.
Beweislastumkehr nach dem AGG: Arbeitgeber konnte keine sachlichen Gründe vorbringen
Besonders relevant war in diesem Verfahren die sogenannte Beweislastregelung des § 22 AGG. Diese besagt: Wenn ein Bewerber glaubhaft machen kann, dass eine Diskriminierung wahrscheinlich war, so z.B. durch eine diskriminierende Formulierung in der Stellenanzeige, dann ist es Sache des Arbeitgebers zu beweisen, dass andere Gründe für die Ablehnung ausschlaggebend waren. Es genügt also ein Indiz, damit sich die Beweislast umkehrt.
Ein solches Indiz sah das LAG in der Formulierung „Digital Native“. Das reiche aus, um die Vermutung einer Benachteiligung wegen des Alters zu begründen. Der Arbeitgeber hätte nun zeigen müssen, dass ausschließlich andere, legitime Gründe zur Absage geführt haben.
Dies aber gelang dem Unternehmen ihm im Verfahren vor dem LAG nicht. Zwar behauptete das Unternehmen, der Kläger sei überqualifiziert gewesen und habe eine zu hohe Gehaltsvorstellung gehabt. Auch seine mangelnde Sportaffinität sei ein Grund gewesen, ihn nicht weiter zu berücksichtigen. Doch das Gericht ließ diese Argumente nicht gelten. Der Kläger habe sämtliche fachlichen Anforderungen aus der Anzeige erfüllt. Dass er darüber hinaus über Führungserfahrung verfügte, sei kein Ablehnungsgrund. Auch die Gehaltsvorstellung von 90.000 Euro sei nicht völlig unangemessen gewesen, zumal in der Anzeige keine Gehaltsangabe enthalten war. Und der Hinweis auf fehlende Sportbegeisterung war nicht tragfähig. Das Unternehmen habe nicht nachweisen können, dass dies ein systematisches Auswahlkriterium gewesen sei.
Besonders kritisch sei zudem gewesen, dass der Arbeitgeber nicht einmal ein strukturiertes Auswahlverfahren habe darlegen können. So hätten Angaben dazu gefehlt, wie viele Bewerbungen es gegeben habe, welche Kriterien konkret angewendet worden seien und wie man schlussendlich zu der Entscheidung gekommen sei. Damit war nicht auszuschließen, dass das Alter doch eine Rolle gespielt habe, was zugunsten des Klägers zu werten war.
Ein weiteres Argument des Unternehmens vor Gericht, war der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs. Man unterstellte dem Kläger, dass er sich nur beworben habe, um eine Entschädigung zu erhalten. Auch dieser Einwand scheiterte. Selbst wenn ein Bewerber sehr erfahren sei oder eine etwas höhere Gehaltsvorstellung habe, so das LAG, bedeute das noch nicht, dass er kein echtes Interesse an der Stelle habe. Der Kläger habe sogar plausibel dargelegt, dass er mit seiner Familie in den süddeutschen Raum ziehen wolle. Sein Lebensmittelpunkt sei flexibel gewesen.
Mit WBS.LEGAL immer auf der sicheren Seite
Das Urteil des LAG Baden-Württemberg ist nicht nur für den Kläger ein Erfolg – es hat auch über den Einzelfall hinaus Bedeutung. Es macht deutlich, dass moderne oder vermeintlich „hippe“ Formulierungen in Stellenanzeigen eine rechtliche Sprengkraft entfalten können. Wer einen „Digital Native“ sucht, grenzt unter Umständen systematisch ältere Bewerber aus. Und das kann teuer werden.
Arbeitgeber sollten deshalb ihre Stellenanzeigen sehr genau prüfen und sensibel formulieren. Begriffe mit potenziell altersbezogener Bedeutung gehören nicht in ein Anforderungsprofil. Dies auch dann nicht, wenn sie aus Marketingsicht verlockend erscheinen. Entscheidend ist, welche Signale eine Anzeige objektiv an Bewerber sendet und nicht, wie sie gemeint war.
Für Bewerber wiederum zeigt das Urteil, dass es sich lohnen kann, gegen Diskriminierung vorzugehen. Das AGG bietet effektiven Schutz und die Gerichte sind durchaus bereit, diesen durchzusetzen.
Wenn Sie selbst von einer Benachteiligung im Bewerbungsverfahren betroffen sind oder als Arbeitgeber unsicher sind, wie Sie Stellenausschreibungen diskriminierungsfrei gestalten, stehen wir Ihnen gerne mit unserer arbeitsrechtlichen Expertise zur Seite. Unsere Kanzlei berät sowohl Arbeitnehmer als auch Unternehmen zu allen Fragen rund um das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz – insbesondere im Zusammenhang mit Altersdiskriminierung und Bewerbungsverfahren. Sprechen Sie uns jederzeit an und kontaktieren Sie uns einfach unter der 0221 / 951 563 0 (Beratung bundesweit).