Beschäftigte sich der EuGH in der Vergangenheit mit Kündigungen von Beschäftigten, sind Kirchen damit bislang nicht besonders gut gefahren. Nun wird der EuGH erstmals klären, ob eine Kündigung wegen eines Kirchenaustritts gerechtfertigt sein kann.
In einem Urteil des Landesarbeitsgerichtes Hamm (LAG Hamm, Urt. v. 24.09.2020, Az. 18 Sa 210/20) setzte sich das Gericht mit der Frage auseinander, ob einer Hebamme wegen ihres Austritts aus der katholischen Kirche rechtswirksam gekündigt werden kann. Bei dem Arbeitgeber handelte es sich um ein Krankenhaus in katholischer Trägerschaft. Nachdem das Arbeitsgericht der Kündigungsschutzklage der Hebamme zunächst stattgegeben hatte, wies das LAG Hamm die Klage in zweiter Instanz im Jahr 2020 ab. In der Revision vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) wurden nun Zweifel geäußert, sodass die Rechtsfrage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) weitergegeben wird (Beschl. v. 21.07.2022, Az. 2 AZR 130/21 (A).
Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs
Die Weiterleitung der Rechtsfrage an den EuGH erfolgt mit dem Ziel zu klären, ob ein Kirchenaustritt vor Dienstantritt bei einem katholischen Krankenhaus ein Kündigungsgrund sein kann, wenn in der Klinik konfessionslose Mitarbeiter beschäftigt sind. Die Frage ist, ob § 9 Abs. 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) als nationale Regelung eine solche Ungleichbehandlung rechtfertigen kann. Da das AGG die europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien umsetzt, ist das europäische Recht für die Entscheidung relevant. Der EuGH muss beurteilen, ob die nationale Regelung im AGG noch so ausgelegt werden kann, dass sie den europarechtlichen Vorgaben entspricht.
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Selbstbestimmungsrecht der Kirchen
Grundsätzlich können Kirchen im Rahmen ihres in Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung (i.V.m. Art. 140 GG) verankerten Selbstbestimmungsrechts ein eigenes Arbeitsrecht erlassen. Darunter wird ebenfalls das Recht der Kirchen gefasst die Einstellung von Bewerbern von deren Konfession oder deren Kirchenzugehörigkeit abhängig zu machen. Dies bedeutet auf der anderen Seite, dass ein Kirchenaustritt auch zum Anlass einer Kündigung genommen werden kann.
Der Sachverhalt vor dem LAG Hamm
Betroffen ist eine Hebamme, die einige Jahre lang als Mitglied der katholischen Kirche in einem Krankenhaus in katholischer Trägerschaft gearbeitet hatte. Nachdem sie ihren Arbeitsvertrag gekündigt hatte, trat sie aus der Kirche aus. Grund für ihren Austritt waren die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche, welche nicht strafrechtlich verfolgt würden. Die Hebamme hatte sich dazu entschieden die Kirche als Institution nicht weiter zu unterstützen, gläubig sei sie jedoch immer noch. Nach einiger Zeit bewarb sie sich erneut bei demselben Krankenhaus um eine Stelle als Hebamme.
Ihre Kirchenzugehörigkeit wurde im Einstellungsgespräch nicht thematisiert und sie bekam eine Zusage. Erst nach Beginn des Dienstverhältnisses erlangte der Arbeitgeber von ihrem Kirchenaustritt Kenntnis, als sie dies wahrheitsgemäß in einem Personalfragebogen angab. Mehrere Versuche die Hebamme wieder zu einem Kircheneintritt zu bewegen, blieben ohne Erfolg. Daraufhin sprach der Arbeitgeber die Kündigung aus. Die Hebamme erhob eine Kündigungsschutzklage. Die Kündigung war besonders vor dem Hintergrund überraschend, dass das Krankenhaus noch eine andere Hebamme beschäftigte, die ebenfalls konfessionslos ist.
Kirchenzugehörigkeit als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung
Das LAG Hamm stellte in seinem damaligen Urteil fest, dass § 9 Abs. 1 AGG unionsrechtskonform dahingehend auszulegen sei, dass eine Ungleichbehandlung wegen des Kirchenaustritts dann zulässig ist, wenn die Konfession oder Kirchenzugehörigkeit des Dienstnehmers nach dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen oder nach der Art der Tätigkeit eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.
LAG Hamm: Ungleichbehandlung ist gerechtfertigt
Das LAG Hamm kam im konkreten Fall zu dem Schluss, dass die Kirchenzugehörigkeit für die Tätigkeit der Hebamme eine solche berufliche Anforderung darstelle. Hierfür hatte sich das Gericht an früheren Entscheidungen des EuGHs orientiert, wie zum Beispiel der Egenberger-Entscheidung (EuGH, Urt. v. 17.04.2018, Az. C-414/16), in welcher die Kriterien für die Auslegung des Begriffs „wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung“ festgelegt wurden.
Wesentlich sei die Kirchenzugehörigkeit nach Ansicht des LAG Hamm zum Beispiel, weil es sonst die Glaubwürdigkeit der Kirche beeinträchtigen würde, wenn konfessionslose Personen bei einem Arbeitgeber in kirchlicher Trägerschaft beschäftigt werden. Der Kirchenaustritt gehöre nach kirchlichem Recht zu den schwersten Vergehen gegen den Glauben und die Einheit der Kirche. Dies ergebe sich auch mittelbar aus der „Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse“, die im vorliegenden Fall Bestandteil des Dienstverhältnisses war und welche besagt, dass bei Kirchenaustritt keine Beschäftigung in der Kirche mehr möglich ist.
Die berufliche Anforderung beruhe zudem nicht auf sachfremden Erwägungen und sei insofern rechtmäßig, denn es werde das legitime Ziel verfolgt das Ethos und die Glaubwürdigkeit der Kirche zu wahren.
Gerechtfertigt sei die Anforderung außerdem, wenn ansonsten unter Beachtung der Umstände des Einzelfalls die tatsächliche Gefahr bestehe, dass das Ethos der Kirche und ihr Recht auf Autonomie beeinträchtigt wird. Würde die nun konfessionslose Hebamme weiterbeschäftigt werden, hätte sie nach Ansicht des LAG die Möglichkeit ihre Patienten mit kirchenfeindlichen Ansichten zu beeinflussen oder sich zumindest kritisch über die Kirche zu äußern, sodass eine solche Gefahr jedenfalls möglich sei.
Kritik
Da die Annahme einer wesentlichen, rechtmäßigen und gerechtfertigten beruflichen Anforderung stets einzelfallabhängig ist, stellt sich die Frage, wie die Grenzen der Loyalitätspflichten festgesetzt werden können. Die Gerichte sind aufgefordert, Maßstäbe sachgerecht zu beurteilen, um zu vermeiden, dass kirchlichen Arbeitgebern bei Kündigungen ihrer Beschäftigten „Tür und Tor“ geöffnet ist. Fraglich ist, ob der Kirchenaustritt einer Hebamme tatsächlich eine Verletzung der Loyalitätspflicht gegenüber dem Arbeitgeber darstellt, insbesondere wenn die Hebamme immer noch gläubig ist. Zudem ist fraglich, ob eine Loyalität in dieser Form überhaupt von einer Hebamme erwartet werden darf. Eine solche Loyalitätspflicht wurde vom EuGH bereits im Fall eines Chefarztes stark angezweifelt (Chefarzt-Entscheidung, EuGH, Urt. v. 11.09.2018, Az. C-68/17).
Außerdem muss der Umstand beachtet werden, dass eine andere konfessionslose Hebamme weiterbeschäftigt wird. Der einzige Unterschied liegt darin, dass diese von Anfang an nie der Kirche beigetreten war. Es kann jedoch nicht mit Sicherheit festgestellt werden, ob von einer Beschäftigten, die der Kirche nach Ansicht des LAG gleichgültig gegenübersteht, tatsächlich eine geringere „Gefahr“ für die Kirche ausgeht, als von einer Beschäftigten, die später aus bestimmten Gründen aus der Kirche ausgetreten ist. Ein Austritt muss nicht gezwungenermaßen bedeuten, dass sie sich aktiv kirchenfeindlich verhalten hat, verhalten wird oder ihrem missionarischen Auftrag nicht nachkommen kann.
Ausblick
Die aktuellen Fälle zeigen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in kirchlichen Betrieben bei einem Kirchenaustritt weiterhin der Gefahr einer Kündigung und eventuell lange andauernden Rechtsstreitigkeiten ausgesetzt sind. Bis der EuGH die Rechtsfrage entschieden hat, ist kirchlichen Arbeitgebern zu empfehlen bereits im Voraus bei Einstellungen konkret festzulegen, inwieweit die Konfession oder Kirchenzugehörigkeit eine berufliche Anforderung darstellt, um Diskriminierungs- oder Kündigungsschutzklagen zu verringern.
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