In Zeiten der Corona-Pandemie trifft den Arbeitgeber eine besondere Fürsorgepflicht, um die Gesundheit der Arbeitnehmer im Betrieb sicherzustellen. In Betrieben sind daher effektive Corona-Schutzmaßnahmen nach dem SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard zu treffen. Bei der Kontrolle dieser – etwa durch eine Videoüberwachung der Mitarbeiter – hat der Arbeitgeber allerdings rechtliche Grenzen zu beachten. So ein wichtiger Beschluss des Arbeitsgerichts Wesel.

Die Gründe für eine Videoüberwachung der Mitarbeiter am Arbeitsplatz sind unterschiedlich. Oft geht es dem Arbeitgeber um eine Leistungskontrolle, die Einhaltung von Arbeitszeiten oder den Schutz von Firmeneigentum. Bei der Nutzung von Überwachungstechnik können dem Arbeitgeber durch Betriebsvereinbarungen Grenzen gesetzt werden. Daran hat sich der Arbeitgeber auch in Zeiten einer Pandemie uneingeschränkt zu halten. Denn dass es auch bei der Vermeidung des Infektionsrisikos Grenzen gibt, hat das Arbeitsgericht Wesel in seinem Beschluss vom 24. April 2020 geklärt (2 BVGa 4/20). Auch hier sind die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats und der Datenschutz zwingend zu beachten, wie die Entscheidung des Arbeitsgerichts zeigt.

Zum Hintergrund des Verfahrens

Der Arbeitgeber, ein Logistik- und Versandunternehmen mit Sitz in Rheinberg und dem internationalen Amazon Konzern zugehörig, ermittelte im Rahmen des Projektes „Proxemics“ mittels der auf dem Betriebsgelände installierten Kameras solche Bereiche, in denen die im Betrieb anwesenden Personen die im Rahmen der Corona-Pandemie empfohlenen Sicherheitsabstände von zwei Metern nicht einhalten können. Ziel war es, soweit eine Kamera einen solchen Bereich identifizierte, die Ursache für eine etwaige Nichteinhaltung der Abstandsregelungen näher zu untersuchen, um sodann durch z.B. Anpassung der Arbeitsprozesse oder der Lauf-, Fahrwege sowie Abstellflächen die Einhaltung der empfohlenen Sicherheitsabstände zu ermöglichen. Die Installation und Nutzung von Überwachungskameras war von der dazu geltenden Betriebsvereinbarung im Betrieb grundsätzlich gedeckt. Dabei generierte der Arbeitgeber aus vorhandenen Aufnahmen der im Betrieb installierten Videokameras mittels einer Anonymisierungssoftware automatisiert Standbilder in einem Zeitintervall von fünf Minuten, sog. „Raw-Images“. In einem zweiten Schritt erstellte die Software von diesen Bildern eine Kopie und versah die Personen mit einem Rahmen. Zeitgleich wurde durch die Software ein Filter über die „eingerahmten Personen“ gelegt, der diese sodann verpixelte. Die Anonymisierungssoftware arbeitet auf Datenservern in Dublin (Irland) und führte sämtliche Arbeitsprozesse (Generieren von Standbildern, Erkennen der Personen, Ermittlung der Personenanzahl, Einrahmen der Personen und Verpixelung) automatisiert durch. Alle generierten Standbilder sämtlicher Kategorien wurden automatisch an diese Datenserver übermittelt und hier für sieben Tage gespeichert und anschließend automatisch gelöscht.

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Der Betriebsrat sah dadurch seine Mitbestimmungsrechte aus § 87 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 6 sowie Nr. 7 BetrVG verletzt und war der Auffassung, die Maßnahme verstoße gegen datenschutzrechtliche Vorschriften, da die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Arbeitnehmer fortlaufend verletzt würden. Die vorhandene Betriebsvereinbarung gewähre keine ausreichende Rechtsgrundlage für die Übermittlung und Auswertung der Kameradaten zum Zwecke der Abstandsermittlung. Insbesondere sei die Erhebung und Verarbeitung von Standbildern zur Abstandsmessung und Abstandwahrung und deren Auswertung durch Dritte im Ausland nicht zulässig Der Betriebsrat hat das Unternehmen im Wege eines einstweiligen Verfügungsverfahrens wegen der Verletzung seiner Mitbestimmungsrechte auf Unterlassung der Nutzung der Kameraaufnahmen in Anspruch genommen.

Betriebsrat darf bei Videoüberwachung von Corona-Schutzvorschriften mitbestimmen

Das Arbeitsgericht hat dem Unterlassungsanspruch des Betriebsrates teilweise stattgegeben. Zunächst stellte das Gericht fest, dass die geltende Betriebsvereinbarung auch den Schutz der Mitarbeiter zum Zweck habe. Dies würde durch einen entsprechenden Regelungspunkt in der Vereinbarung zum Ausdruck gebracht werden. Wegen dieser weitgehenden Zweckbestimmung dürfte auch der Schutz der Mitarbeiter vor Gesundheitsgefahren darunter fallen. Darüber hinaus sei auch nicht ersichtlich, dass die Überwachungskameras nicht mehr im Sinne ihres bisherigen Zwecks genutzt werden oder die Arbeitgeberin diesen Zweck aufgegeben hätten bzw. nicht weiterverfolgen.  Da der bisherige Zweck nicht entfallen sei, seien die Aufnahme und Speicherung der Kameraaufnahmen nach wie vor zulässig und von der Betriebsvereinbarung gedeckt. Das Vorgehen des Arbeitgebers verstieße aber gegen die betreffende Betriebsvereinbarung nach der die Aufnahmen nicht Dritten zugänglich gemacht werden durften, sondern ausschließlich auf lokalen Servern zu speichern sind. Der im Ausland befindliche Datenserver gehörte zwar einem Konzernunternehmen des Arbeitgebers, dieser ist aber ebenfalls Dritter im Sinne der Betriebsvereinbarung.
Es handele sich auch nicht um eine mitbestimmungsfreie Maßnahme, da die Daten nach Erkenntnis des Arbeitsgerichts erst nach der Übermittlung an den externen Server anonymisiert würden. Denn die Anonymisierung setzt voraus, dass diese dauerhaft erfolgt und nicht nachträglich wieder aufgehoben werden kann. Der Arbeitgeber hatte nicht nachgewiesen, dass die vorgenommene Verpixelung nicht umkehrbar ist

Außerdem sind laut dem Arbeitsgericht die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG verletzt. Danach hat der Betriebsrat bei betrieblichen Regelungen über den Gesundheitsschutz mitzubestimmen, die der Arbeitgeber aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Vorschrift zu treffen hat, bei deren Gestaltung ihm aber Handlungsspielräume verbleiben. Dabei ist die Gefährdungsbeurteilung das maßgebende Instrument, um von der Arbeit ausgehende Gefährdungen zu ermitteln. Die Auswertung der Standbilder durch die Arbeitgeberin stelle bereits eine Maßnahme der Gefährdungsbeurteilung dar. Die Auswertung des Bildmaterials dient nach Ansicht des Arbeitsgerichts gerade der Feststellung, ob überhaupt entsprechende Gefahren bestehen. Dies sei Sinn und Zweck der Gefährdungsbeurteilung. Dem Betriebsrat stehe deshalb ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG zu.

Im Rahmen der durch das Gericht durchgeführten umfassenden Abwägung sämtlicher widerstreitender Interessen kam es zu dem Entschluss, dass zwar die Übermittlung und Auswertung der Kameraaufnahmen seitens des Arbeitgebers zum Zwecke der Vermeidung einer Ausbreitung des Corona-Virus und zum Schutz aller Mitarbeiter erfolge. Das Dilemma des Arbeitgebers bestehe darin, einerseits die Belegschaft vor Gefahren schützen und andererseits darüber einen Konsens mit dem Betriebsrat erzielen zu müssen. Maßgeblich zu berücksichtigen sei jedoch, dass hier eine Maßnahme gewählt wurde, die auch einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der dem Betrieb angehörenden Personen darstelle. „Die Übermittlung nicht anonymisierter Kameraaufnahmen ins Ausland verletze die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer schwerwiegend.  Damit habe der Arbeitgeber im vorliegenden Fall Fakten geschaffen, die das Mitbestimmungsrecht und die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer stets aufs Neue verletzen würde, sodass der Arbeitgeber vorliegend nicht schutzwürdig sei. Im Hinblick auf die Verarbeitung von Kameraaufnahmen und deren Übermittlung an Dritte zum Zweck der Vornahme von Abstandsmessungen oder Abstandsüberwachungen stünde dem Betriebsrat deshalb ein Unterlassungsanspruch nach § 77 Abs. 1 Satz 1 bzw. § 87 Abs. 1 BetrVG zu.

Bedeutung für die Praxis 

Der Beschluss des Arbeitsgerichts hat Aufsehen erregt, denn dieser zeigt, dass auch Die Pandemie nichts an der Betrachtung ändert, dass der Arbeitgeber nur in extremen Notsituationen ohne Beteiligung des Betriebsrats bei Vorliegen von Mitbestimmungsrechten handeln darf. Nach Ansicht des Arbeitsgerichts ist der Arbeitgeber auch unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Corona-Pandemie, bei der es sich um eine „außergewöhnliche und in dieser Form wohl präzedenzlose Situation“ handelt, gehalten, die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates zu wahren. Lediglich in sogenannten Notfällen, in denen sofort gehandelt werden muss, um vom Betrieb oder den Arbeitnehmern Schaden abzuwenden, sei ein Recht des Arbeitgebers für einseitige Anordnungen denkbar. Wenngleich die Corona-Pandemie mit gravierenden Bedrohungen für die Gesundheit von Betriebsangehörigen und Dritten einhergeht und die wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Betriebe immens sind, liegt aus Sicht der Kammer kein solcher Notfall vor. Allein die kontinuierliche Ausbreitung des Virus führt nicht dazu, dass bereits eine akute Gefahr für den Betrieb und damit ein extremer Notfall vorliege. Betriebsräte können sich demnach darauf verlassen, dass sie auch während einer Pandemie ihre Mitbestimmungsrechte behalten. Im Hinblick auf die Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter ist zu raten, lieber anderweitige Maßnahmen (z.B. lokale Kontrollen oder Einsatz von Social Distancing Ambassadors) zur Überwachung der Einhaltung des Gesundheitsschutzes durch Wahrung des Sicherheitsabstandes, einzusetzen.

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