„Stay wild – stay free“: Dieses Motto half den Mitarbeitern des Lieferdienstes Gorillas jedenfalls nicht weiter. Aufgrund ihrer Teilnahme an einem „wilden“ Streik wurden sie fristlos gekündigt. Solche nicht gewerkschaftlich organisierten Streiks stellen nach einem Urteil des LAG Berlin-Brandenburg eine erhebliche arbeitsrechtliche Pflichtverletzung dar und sind grundrechtlich nicht geschützt.
Anfang Oktober 2021 hatten sich zahlreiche Beschäftigte des Lieferdienstes Gorillas vor einzelnen Filialen zu Protestaktionen versammelt. Ziel der viertägigen Aktion war eine pünktlichere Auszahlung des Gehaltes sowie die Erreichung einer Ausstattung mit Regenkleidung. Dafür blockierten sie den Zugang zu den Filialen und stellten neben Lieferfahrrädern auch den Arbeitsablauf auf den Kopf. Nachdem die Arbeitgeberin die beteiligten Beschäftigten mehrfach vergeblich aufgefordert hatte, ihre Arbeit wieder aufzunehmen, kündigte sie die Arbeitsverhältnisse außerordentlich und fristlos.
Drei der als „Rider“ beschäftigten Arbeitnehmer, denen aufgrund ihrer Teilnahme an der Aktion gekündigt worden war, erhoben daraufhin jeweils eine Kündigungsschutzklage, welche im April letzten Jahres durch das Arbeitsgerichts (AG) Berlin abgewiesen wurden (Urt. v. 06.04.2022, Az. 20 Ca 10257/21; 20 Ca 10258/21; 20 Ca 10259/21). In zwei der Fälle hatte das Gericht die fristlosen Kündigungen für wirksam erachtet. Im dritten Fall hatte es festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwar nicht fristlos, aber nach Ablauf einer Zwei-Wochen-Frist im Rahmen der Probezeit geendet hat. Dies lag daran, dass in letzterem Fall eine aktive Beteiligung des Arbeitnehmers an der Protestaktion zumindest nicht sicher festgestellt werden konnte. Außerdem war der Beschäftigte weniger als sechs Monate bei dem Lieferdienst beschäftigt gewesen, sodass das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) keine Anwendung finde.
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Gegen die Entscheidung des AG legten die betroffenen Arbeitnehmer Berufung vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg ein. Dieses bestätigte nun die bisherige Rechtsauffassung des AG Berlin: Zumindest zwei der drei fristlosen Kündigungen seien wirksam. In allen drei Verfahren hat das LAG Berlin-Brandenburg die Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) nicht zugelassen (Urt. v. 25.04.2023, Az. 16 Sa 868/22).
Wann darf gestreikt werden?
Arbeitnehmer haben grundsätzlich das Recht im Rahmen eines Streiks gemeinsam ihre Arbeit zu verweigern und den Arbeitgeber unter Druck zu setzen, um gewisse Zugeständnisse zu erhalten. Das Streikrecht ist ein unverzichtbares Grundrecht, welches in Art. 9 Abs. 3 GG verankert ist. Neben der Wahrung der Rechte der Arbeitnehmer dient es auch der Durchsetzung von Tarifverträgen. Damit der Streik als legitimes Mittel rechtmäßig ist, müssen jedoch bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein.
Zum einen ist ein Streik nur zulässig, wenn er von einer Gewerkschaft getragen wird. Streiks, die nicht gewerkschaftlich organisiert sind, werden auch „wilde“ Streiks genannt und sind illegal. Im vorliegenden Fall bewerteten beide Gerichte die Protestaktionen der Beschäftigten von Gorillas als „wilde“ Streiks, da der Lieferdienst Gorillas nicht gewerkschaftlich organisiert ist. Die Aktionen der Arbeitnehmer stellten somit eine erhebliche arbeitsrechtliche Pflichtverletzung dar und damit auch einen „wichtigen Grund“ im Sinne des § 626 BGB, der im Falle einer fristlosen Kündigung stets vorliegen muss.
In einem solchen Fall entfällt der Schutz der Arbeitnehmer, das heißt Abmahnungen oder Kündigungen der beteiligten Arbeitnehmer sind möglich. Eine weitere Voraussetzung für einen rechtmäßigen Streik ist das Vorliegen eines tariflich regelbaren Ziels. Er muss sich folglich gegen den Arbeitgeber wenden und muss tarifrechtlich zulässig sein. Dies bedeutet, dass ein mit dem Streik erstrebter Tarifvertrag also rechtlich Bestand haben müsste. Zudem ist zu beachten, dass erst nach Beendigung der Laufzeit eines Tarifvertrages gestreikt werden darf.
Der Streik als solches darf außerdem immer nur das letzte Mittel sein und muss stets verhältnismäßig sein. Letzteres bedeutet, dass zum Beispiel keine Gegenstände zerstört oder Personen verletzt werden dürfen, aber auch, dass der Streikgegner nicht organisatorisch „vernichtet“ werden darf. Bestehen Probleme mit dem Arbeitgeber, sollte in jedem Fall nicht vorschnell gehandelt werden. Eine spontane Aktion, getrieben aus Wut und Verzweiflung, könnte den Arbeitnehmer sehr schnell den Job kosten. Anstatt blind „drauflos zu streiken“, ist daher dringend zu empfehlen, dass sich Arbeitnehmer rechtzeitig einen ausführlichen und rechtssicheren anwaltlichen Rat einholen.
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