Große Freude im historischen Augustiner Keller in München. Das LG München I verurteilte die Bayrische Versicherungskammer zu einer Entschädigung von über einer Millionen Euro. Weitere Verfahren werden zeitnah entschieden. Der Pächter des Augustinerkellers hatte geklagt, da die Versicherung sich geweigert hatte, für die Coronabedingte Betriebsschließung zu zahlen. Wir klären auf.
Müssen Versicherer für die Coronabedingten Betriebsschließungen von Gaststätten und Hotels aus sogenannten Betriebsschließungsversicherungen (BSV) leisten? Diese Frage ist seit Wochen Gegenstand zahlreicher Gerichtsverfahren, da viele der Versicherer unter Hinweis auf ihre Versicherungsbedingungen die Leistungen verweigern.
Allein am Landgericht (LG) München I sind inzwischen in dem Verfahrenskomplex Betriebsschließungsversicherung 86 Klagen eingegangen.
Das Hauptargument der meisten Betriebsschließungsversicherungen ist hier: Covid-19 als ein neuer Krankheitserreger falle nicht unter die versicherten meldepflichtigen Krankheiten. Darüber hinaus seien die Betriebsschließungen wegen Covid-19 nicht auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes (IfSG), sondern aufgrund der von den einzelnen Bundesländern getroffenen Allgemeinverfügungen erfolgt. Diese Allgemeinverfügungen aber seien von der abgeschlossenen Versicherung nicht umfasst.
Da es hier um unzählige Existenzen geht, ist das nun ergangene Urteil des LG München I ein ungemein wichtiges, denn es zeigt, dass die Versicherungen mit ihrer Argumentation so nicht durchkommen. Die auf Versicherungsrecht spezialisierte 12. Zivilkammer des LG München I gab nun der Klage des Gastwirts des Münchner Traditionsrestaurants Augustiner-Keller statt und verurteilte den Bayerischen Versicherungsverband/ die Versicherungskammer Bayern (VKB) zu einer Entschädigung in Höhe von 1.014.000 Euro für 30 Tage Betriebsschließung. Nach Ansicht der Richter bestehe im vorliegenden Fall eine Leistungspflicht der Versicherung (LG München I, Az. 12 O 5895/20).
Die Auffassung des LG München I stützt voll und ganz unsere Rechtsauffassung und sollte allen betroffenen Betrieben Mut machen, die ihnen zustehenden Entschädigungen in voller Höhe -wenn nötig auch gerichtlich – einzufordern. Gemeinsam mit meinem Team stehen wir Ihnen hierbei gerne jederzeit mit unserer Expertise zur Verfügung.
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Schließung auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes
Der Augustinerkeller musste, wie unzählige weitere Gaststätten, am 21. März 2020 auf Grundlage der Allgemeinverfügung vom Bayrischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege schließen. Die Wiedereröffnung fand erst Mitte Mai statt.
Der Gastwirt hatte mit der beklagten Versicherung Anfang März im Hinblick auf die Corona-Pandemie die BSV abgeschlossen. Die Versicherung verweigerte dann aber offenbar u.a. die Leistung mit der Begründung, der Wirt hätte zunächst gegen die Schließungsanordnung des Bayrischen Staatsministeriums vorgehen müssen.
Dieser Ansicht jedoch erteilte das LG München I eine deutliche Absage. Entgegen der Ansicht der beklagten Versicherung komme es auf die Rechtsform und die Rechtmäßigkeit der Anordnung nicht an, so das Gericht. Der Wirt habe auch nicht gegen die Anordnungen vorgehen müssen. Zudem sei es nicht erforderlich, dass das Coronavirus im Betrieb des Wirtes auftrete, denn nach den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) komme es lediglich darauf an, dass der Betrieb aufgrund des Infektionsschutzgesetzes geschlossen worden sei. Dies sei der Fall gewesen, nachdem sich die Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 21.03.2020 und die nachfolgende Verordnung vom 24.03.2020 ausdrücklich auf die Ermächtigungsgrundlagen in §§ 28 – 32 IfSG bezogen hätten.
Außerhausverkauf unzumutbar
Auch den Einwand des Versicherers, der Augustinerkeller hätte weiterhin einen Außerhausverkauf betreiben können, wies das Gericht eindeutig zurück. Die Gaststätte sei vollständig geschlossen gewesen und ein Außerhausverkauf sei dem Wirt auch unzumutbar gewesen. Nach Ansicht der Münchener Richter stelle ein Außerhausverkauf, wenn er für den Restaurantbetrieb lediglich ein vollkommen untergeordnetes Mitnahmegeschäft sei, keine unternehmerische Alternative dar, auf die sich der Versicherungsnehmer verweisen lassen müsse.
Intransparente Klausel: IfSG-Verweis in den AVB unwirksam
Das LG München I rügte zudem eine intransparente Klausel in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) des Versicherers.
Die hier maßgeblichen AVB lauten auszugsweise wie folgt:
„§ 1 Gegenstand der Versicherung, versicherte Gefahren
1. Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und
Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger
in Nr. 2 aufgeführten Krankheiten oder Krankheitserreger
a) den versicherten Betrieb […] schließt; […]
2. Versicherungsschutz besteht für die folgenden der in §§ 6 und 7 IfSG namentlich genannten, beim Menschen übertragbaren
Krankheiten und Erreger nach Fassung des Gesetzes vom 20.07.2000:
a) Krankheiten
[…]
b) Krankheitserreger
[…]
§ 3 Ausschlüsse
1. Der Versicherer haftet nicht
[…]
b) für andere als die in § 1 Ziffer 2 genannten Krankheiten und Krankheitserreger, insbesondere nicht für […].
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Der Versicherer hatte sich auf den Standpunkt gestellt, dass COVID-19 nicht von der Liste der versicherten Krankheiten umfasst sei und dies auch mit einem Verweis in den AVB auf das IfSG begründet. Diese Sichtweise fand bei den Richtern ebenfalls keine Zustimmung.
Der Versicherungsumfang sei nach Überzeugung des Gerichts jedoch nicht durch § 1 Ziffer 2 der AVB eingeschränkt, denn die Parteien hätten den Versicherungsvertrag am 04. März 2020 – mithin während der Pandemie und im Hinblick darauf – abgeschlossen.
Unabhängig davon sei § 1 Ziffer 2 AVB der beklagten Versicherung intransparent und daher unwirksam. Werde der Versicherungsschutz durch eine AVB-Klausel eingeschränkt, müsse dem Versicherungsnehmer deutlich vor Augen geführt werden, in welchem Umfang Versicherungsschutz trotz der Klausel bestehe.
Diesen Anforderungen werde § 1 Ziffer 2 AVB nicht gerecht. Denn der Versicherungsnehmer
gehe auf Basis des Wortlauts von § 1 Ziffer 1 AVB davon aus, dass der Versicherungsschutz
dem Grunde nach umfassend sei und sich mit dem IfSG decke.
Er gehe aufgrund des Wortlauts und der Verweisung in § 1 Ziffer 1 AVB zudem davon aus, dass in § 1 Ziffer 2 AVB eine bloße Wiedergabe der gesetzlich erfassten Krankheiten und Krankheitserreger erfolge, und nur in § 3 AVB Einschränkungen enthalten seien. Die Auflistung der Krankheiten und Krankheitserreger sei jedoch im Vergleich zum IfSG unvollständig.
Außerdem sei das Infektionsschutzgesetz seit dessen Einführung vor 20 Jahren bereits mehrfach geändert und um weitere Krankheiten und Erreger ergänzt worden. Dies bliebe dem Versicherungsnehmer verborgen und damit müsse er auch nicht rechnen.
Um den wahren Gehalt des Versicherungsschutzes zu erfassen, müsste der Versicherungsnehmer letztlich die Auflistung in § 1 Ziffer 2 AVB Wort für Wort mit der aktuellen geltenden Fassung des IfSG vergleichen. Eine Klausel, deren Tragweite nur durch den Vergleich mit einer gesetzlichen Vorschrift erkennbar sei, die aber dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer dieser Versicherung nicht bekannt sei, sei intransparent.
Weder Kurzarbeitergeld noch staatlich Corona-Hilfen mindern Entschädigungsanspruch
Im Hinblick auf die Höhe der zu zahlenden Entschädigung seien, so das Gericht weder Kurzarbeitergeld noch staatliche Corona-Liquiditätshilfen anspruchsmindernd zu berücksichtigen, da es sich hierbei nicht um Schadensersatzzahlungen gerade für Betriebsschließungen handele.
Diese Rechtsansicht bietet viel Sprengstoff. Im April hatte die Bayrische Landesregierung mit etlichen Versicherern eine „Kulanz“-Lösung erarbeitet. Kunden standen danach nur 15 Prozent der eigentlichen Versicherungssumme als Entschädigung zu. Diese Summe wurde auch noch „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ gezahlt. Dies wurde seinerzeit damit begründet, dass sich durch Kurzarbeitergeld, staatlichen Soforthilfen sowie durch ersparte Aufwendungen für Materialkosten der wirtschaftliche Schaden bei den betroffenen Gaststätten und Betrieben sowieso um rund 70 Prozent reduziert habe. Von den verbleibenden 30 Prozent würde dann auf freiwilliger Basis “ nur die Hälfte, also 15 Prozent, übernommen.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Das Verfahren dürfte wohl nun vor das Oberlandesgericht (OLG) München in die nächste Instanz gehen.
Weiteres Verfahren gegen die Allianz mit Spannung erwartet
Wie erwähnt sind allein in München weitere 86 Verfahren anhängig. Hier wird vor allem ein weiteres Urteil mit Spannung erwartet, denn Deutschlands größter Versicherungskonzern, die Allianz, muss bei Auseinandersetzungen mit Coronageschädigten Wirten ebenfalls krachende Niederlagen vor Gericht fürchten. Das LG München ließ bei einer mündlichen Verhandlung am 17. September bereits durchblicken, dass die Betriebsschließungsversicherung der Allianz möglicherweise für die behördlich angeordnete Schließung von Gaststätten im Frühjahr zahlen muss, auch wenn der Covid-19-Erreger in den entsprechenden Policen nicht explizit genannt worden sei. Geklagt hatten die Wirte der Paulaner-Gaststätte am Nockherberg. Auch sie fordern 1,1 Millionen Euro als Ausgleich für sechs Wochen Umsatzausfall.
Sicher scheint, dass der Bundesgerichtshof in dieser Fragestellung das letzte Wort haben dürfte. Dennoch: Für betroffene Betriebe ein klarer Fingerzeig, dass es auch in der Höhe gerechtfertigte Entschädigungen geben kann. Unsere Experten stehen Ihnen gerne jederzeit beratend zur Seite.
tsp