Die Rechtsfrage, ob privat Versicherte über den datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch an die Unterlagen zu Beitragserhöhungen ihrer PKV der vergangenen Jahre kommen, ist umstritten. Nun hat das AG Chemnitz sich eindeutig positioniert – und zugleich festgestellt, dass der Anspruch aus Art. 15 DSGVO niemals verjährt.
Das Amtsgericht (AG) Chemnitz hat zu wichtigen Rechtsfragen rund um die Auskunft nach Art. 15 Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) von Privaten Krankenversicherungen (PKV) Stellung bezogen: Betroffene haben einen Anspruch auf Erhalt der vollständigen Unterlagen zu Beitragserhöhungen der vergangenen Jahre, ohne dass dieser Anspruch verjähren könnte (Urt. v. 22.11.2024, Az. 16 C 1063/24).
Private Krankenversicherer verweigern Auskunft
Hintergrund des Streits sind die – meist unzulässigen – Beitragserhöhungen der PKV in den vergangenen Jahrzehnten. Viele Betroffene fordern mittlerweile ihr zu viel gezahltes Geld für die vergangenen Jahre mit Erfolg zurück – auch WBS.LEGAL unterstützt privat Versicherte dabei. Allerdings wussten viele Betroffene in den vergangenen Jahren noch nicht, dass die Beitragserhöhungen, die sie jedes Jahr bezahlt haben, womöglich unwirksam waren. Daher haben sie nicht alle Informationsschreiben der Krankenkassen hierzu aufgehoben. Eine Möglichkeit, diese Informationen einzuholen, ist, diese bei den Krankenversicherungen erneut anzufordern. Diese wehren sich jedoch mit allen Mitteln dagegen, den Kunden die Geltendmachung ihrer Rechte zu „erleichtern“, indem sie ihnen diese bereits zur Verfügung gestellten Informationen noch einmal zusenden.
Daher machen viele Betroffene – so auch in diesem Fall – einen Anspruch auf Erhalt dieser Unterlagen nach Art. 15 DSGVO geltend, dem datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch. Auszugsweise lautet dieser wie folgt:
„Die betroffene Person hat das Recht, von dem Verantwortlichen eine Bestätigung darüber zu verlangen, ob sie betreffende personenbezogene Daten verarbeitet werden; ist dies der Fall, so hat sie ein Recht auf Auskunft über diese personenbezogenen Daten und auf folgende Informationen: Die Verarbeitungszwecke; die Kategorien personenbezogener Daten, die verarbeitet werden […] Der Verantwortliche stellt eine Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, zur Verfügung.“
Im konkreten Fall wollte der Versicherte einige Kopien zurückliegender Beitragserhöhungen erhalten, die aus den Jahren 2022 – 2024 stammten. Die Krankenkasse versuchte nun, mit verschiedenen Argumenten zu vermeiden, über diesen Weg die entsprechenden Informationen mitzuteilen. Das AG Chemnitz hat nun aber systematisch allen Gegenargumenten der PKV die Grundlage entzogen:
Es geht um „personenbezogene Daten“
Zudem fielen diese Informationen nicht unter den Begriff des personenbezogenen Datums, trug die PKV vor. Doch auch dies sah das Gericht anders und begründete, warum es sich durchaus um personenbezogene Daten im Sinne des Art. 4 Nr. 1 DSGVO handelte. Personenbezogene Daten seien nach der DSGVO alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen. Dies sei dann der Fall, wenn die Information aufgrund ihres Inhalts, ihres Zwecks oder ihrer Auswirkungen mit einer bestimmten Person verknüpft sei.
Im hier gegebenen Fall seien die gewünschten Informationen – „Zeitpunkt und Höhe des Alt- und Neubetrages für jede stattgefundene Beitragsanpassung gemäß § 203 Abs. 2 VVG, Zeitpunkt erfolgter Tarifwechsel unter Angabe des Herkunfts- und Zieltarifs, Zeitpunkt erfolgter Tarifbeendigung“ – ohne jeden Zweifel mit dem Versicherten verknüpft, denn sie bezögen sich auf seinen Versicherungsvertrag. Sie hätten insbesondere auch Auswirkungen auf den Versicherungsnehmer, denn hieraus bestimme sich der Inhalt seines Versicherungsvertrags und die Höhe seiner Leistungspflicht gegenüber der PKV.
Anspruch besteht auf vollständige Unterlagen
Die Krankenkasse beruft sich weiterhin auf ein früheres BGH-Urteil (Urt. v. 27.9.2023 – IV ZR 177/22). Dieser hatte entschieden, dass ein Anspruch auf vollständige Kopien ganzer Schreiben mit Anlagen nicht bestehe, wenn weder vorgetragen noch ersichtlich ist, dass die Kontextualisierung der verlangten Daten erforderlich sei, um ihre Verständlichkeit zu gewährleisten.
Das AG Chemnitz machte aber deutlich, dass hieraus nichts für den vorliegenden Fall folge. Der Kläger habe im hier gegebenen Fall eine Kopie nicht von bestimmten Dokumenten, sondern von personenbezogenen Daten verlangt. Dabei habe er deutlich gemacht, dass es ihm darum gehe, für einen bestimmten Zeitraum, konkrete Daten zu erhalten, die „unzweifelhaft“ personenbezogene Daten seien.
In welchem Umfang die PKV vollständige Kopien übermitteln müsse, richte sich danach, inwieweit dies erforderlich sei, um die Verständlichkeit der verlangten Auskunft zu gewährleisten. Es sei nicht Sache des Klägers, zu dem erforderlichen Maß an Kontextualisierung näher vorzutragen. Auch, wenn man das BGH-Urteil dahingehend verstehen könne, dass umgekehrt der Kläger näheres dazu vortragen müsste, so wäre dies nicht mit der europarechtlichen Lage nicht in Einklang zu bringen. Nach den Schlussanträgen des Generalanwalts (v. 12.09.2024, Rs. C-203/22) müsse die betroffene Person die an sie gerichteten Informationen in vollem Umfang verstehen können. Deshalb könne es erforderlich sein, dass der zur Auskunft verpflichtete die mitgeteilten Informationen „kontextualisieren“ müsse, um ihre Verständlichkeit zu gewährleisten. Die „Kontextualisierungslast“ liegt demnach nicht bei der betroffenen Person, sondern vielmehr beim Verantwortlichen.
Die PKV habe daher all das vorzulegen, was erforderlich ist, um die begehrten Auskünfte in für den Kläger verständlicher Form zu erteilen. So verlange es Art. 12 Abs. 1 Satz 1 DS-GVO („in präziser, transparenter, verständlicher und leicht zugänglicher Form in einer klaren und einfachen Sprache“).
„Datenschutzfremder Zweck“ ist unschädlich
Die PKV hatte im Verfahren zudem argumentiert, es gehe dem Kläger darum, den Beitragsverlauf hinsichtlich etwaiger Beitragsanpassungen aufbereitet zu erhalten. Dabei handele es sich um einen datenschutzfremden Zweck. Hierzu bezieht sie sich auf den Erwägungsgrund 63, in welchem steht: „Eine betroffene Person sollte ein Auskunftsrecht hinsichtlich der sie betreffenden personenbezogenen Daten, die erhoben worden sind, besitzen und dieses Recht problemlos und in angemessenen Abständen wahrnehmen können, um sich der Verarbeitung bewusst zu sein und deren Rechtmäßigkeit überprüfen zu können.“
Dieses Argument dürfe dem Anspruch jedoch nicht entgegengehalten werden, so das AG weiter. Der Auskunftsanspruch dürfe nicht von Bedingungen abhängig gemacht werden, die der Unionsgesetzgeber nicht ausdrücklich festgelegt habe. Es bestehe gerade keine Verpflichtung, Verpflichtung, die in Erwägungsgrund 63 genannten Gründe geltend zu machen.
Es seien auch keine Umstände vorgetragen oder ersichtlich, die das Auskunftsverlangen des Klägers als exzessiv im Sinne des Art. 12 Abs. 5 Satz 2 DSGVO erscheinen lassen würden.
Der Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO verjährt nicht
Die Versicherung macht überdies die Einrede der Verjährung geltend. Das ließ das AG Chemnitz jedoch ebenfalls nicht gelten. Der Anspruch sei nicht verjährt, weil er nicht verjähren könne. Zum einen, weil das Europarecht keine Verjährung des Auskunftsanspruchs vorsehe.
Zum anderen, weil der Anspruch auch seiner Natur nach nicht verjähren könne. Schließlich kenne er keine Entstehungsvoraussetzungen, sondern könne jederzeit voraussetzungslos geltend gemacht werden. Dies gelte selbst in Fällen, in denen gar keine personenbezogenen Daten verarbeitet werden, denn in diesen bestehe immerhin ein Anspruch auf Negativauskunft.
Da der Anspruch auch nicht als Hilfsanspruch zu einem anderen Anspruch, sondern als eigenständiger Primäranspruch bestehe, seien die von der PKV zu § 242 BGB dargelegten Grundsätze hier nicht heranzuziehen.