Die Frage, ob DSGVO-Verstöße abmahnfähig sind, beschäftigt Gerichte seit Jahren. Zum einen, weil die DSGVO ein solches Vorgehen ausschließen könnte. Diese Frage ist auch nach einem EuGH-Urteil nicht abschließend geklärt. Zum anderen, weil unklar ist, ob bzw. welche DSGVO-Normen Marktverhaltensregeln darstellen, sodass das UWG anwendbar ist. Fällt die ersehnte höchstrichterliche Entscheidung endlich am 29. September?
Seit Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) im Jahr 2018 ist umstritten, ob Verstöße von Wettbewerbern abgemahnt werden können. Den Bundesgerichtshof (BGH) erreichten die ersten Verfahren zu dieser Frage bereits einige Monate später. Inzwischen hat der EuGH zu der ersten umstrittenen Frage, ob die DSGVO möglicherweise abschließend ist, entschieden: Zumindest Verbraucherverbände können nach dem UWG vorgehen. Doch gilt das auch für Mitbewerber? Diese Frage ließ der EuGH offen.
Ein wichtiges Verfahren, in dem diese Frage abschließend geklärt werden könnte, geht nun am 29. September 2022 weiter (Az. I ZR 222/19 und I ZR 223/19). Unklar ist, ob der BGH auf Basis der EuGH-Antworten bereits eine Entscheidung fällen kann. Falls ja, wird er sich außerdem der Folgefrage widmen, ob die DSGVO Marktverhaltensnormen enthält und das UWG daher anwendbar ist. Dann könnte es endlich Rechtsklarheit geben.
Sind DSGVO-Verstöße abmahnfähig?
Die Abmahnfähigkeit von DSGVO-Verstößen durch Wettbewerber ist seit Inkrafttreten der DSGVO umstritten. Das hat zwei Gründe, die jeweils zu vielen unterschiedlichen Gerichtsentscheidungen in der grundlegenden Frage geführt haben:
Zum einen stellt sich die Frage, ob das UWG überhaupt anwendbar ist. Denn es ist so, dass die DSGVO in den Art. 74-84 ein eigenes Sanktionsregime aufweist. Manche Juristen argumentieren daher, diese Sanktionsregelungen hätten abschließenden Charakter. Danach könnte die Anwendung des UWG neben wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts ausgeschlossen sein. Andere halten dagegen, die DSGVO trete lediglich neben bereits bestehende Abwehrmechanismen nach nationalem Recht. Das Ziel einer möglichst wirksamen Rechtsdurchsetzung der DSGVO („effet utile“) gebiete es, dass auch wettbewerbsrechtliche Abmahnungen wegen Datenschutzverstößen möglich sein sollten.
Ebenfalls umstritten ist die Abmahnfähigkeit aus einem weiteren Grund: Voraussetzung dafür ist, dass es sich bei den betroffenen DSGVO-Normen um sog. marktverhaltensregelnde Normen iSd. § 3a des Gesetzes gegen den Unlauteren Wettbewerb (UWG) handelt. Manche Juristen folgen hier der Ansicht, dass das Datenschutzrecht immer zumindest auch das Marktverhalten regelt. Schließlich würden Unternehmen die personenbezogenen Daten im Zusammenhang mit wettbewerbsrechtlichen Interessen verarbeiten. Zudem ginge es beim Datenschutz – ebenso wie im UWG – zumindest auch um den Verbraucherschutz. Dagegen spricht aber die Tatsache, dass es beim Datenschutzrecht nicht um die Regelung des Marktes geht, sondern um die Durchsetzung des Persönlichkeitsrechts als Ausdruck der informationellen Selbstbestimmung. Im Mittelpunkt der Verordnung stehe also der Mensch und weniger die Lauterkeit des Wettbewerbs.
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Worum geht es im konkreten Fall?
Zwei Apotheken in Sachsen-Anhalt verkauften apothekenpflichtige Arzneimittel über die Plattform Amazon Marketplace. Der Münchener Apotheker Hermann Vogel Jr. sah darin unter anderem Verletzungen der DSGVO und mahnte seine Kollegen ab.
Die Entscheidungen zu den DSGVO-Verstößen fielen in allen Instanzen sehr unterschiedlich aus. Während das Landgericht (LG) Dessau-Rosslau der Klage stattgab und ausführte, dass die DSGVO abmahnfähige Marktverhaltensregelungen sind, wies das LG Magdeburg sie mit der Begründung ab, dass DSGVO-Verstöße nicht abmahnfähig seien. Die Datenschutzgrundverordnung enthalte ein abschließendes Sanktionssystem, das den Wettbewerber nicht einschließe. Das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg, vor dem beide Verfahren in der Berufungsinstanz landeten, sah DSGVO-Verstöße ebenfalls als abmahnfähig an. Insbesondere handele es sich bei der DSGVO um Marktverhaltensregelungen.
Weder die Amazon-Apotheker noch Hermann Vogel wollten sich indes mit den Entscheidungen zufrieden geben, so dass es zur Revision vor dem BGH kam. Dieser hatte das Verfahren 2020 zunächst ausgesetzt, um eine EuGH-Entscheidung abzuwarten: In einem anderen Verfahren hatten Deutschlands oberste Zivilrichter dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Frage vorgelegt, ob die Sanktionsregelungen der DSGVO abschließend sind oder Raum für privatrechtliche Abmahnungen lassen.
EuGH-Urteil beantwortet vorgelegte Frage nicht abschließend
Bereits im Jahr 2020 musste sich der BGH bereits mit einer ähnlichen Fragestellung befassen. Gestritten wurde darum, ob Facebook-Nutzerdaten an die Anbieter kostenloser Spiele in seinem „App-Zentrum“ weitergeben durfte. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) hielt diese Praxis des sozialen Netzwerks für unzulässig und mahnte es ab. Der BGH legte daraufhin dem EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens die Frage vor, ob die Sanktionsregelungen der DSGVO abschließenden Charakter haben oder Verstöße auch durch Verbände und Mittbewerber abgemahnt werden dürfen (Beschl. v. 8. September 2020, Az. I ZR 186/17).
Der EuGH bejahte die Frage in Bezug auf Verbände, lies sie wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit im Hinblick auf Mitbewerber jedoch offen (Urt. v. 28.04.2020, Rs. C-319/20). Die DSGVO stehe einem Vorgehen nach dem UWG zumindest dann nicht entgegen, wenn ein Verbraucherschutzverband gegen den mutmaßlichen Verletzer der Datenschutzrechte natürlicher Personen vorgeht.
So könnte es weitergehen
Wegen einer Öffnungsklausel in Art. 80 Abs. 2 DSGVO, die im Sinne des Verbraucherschutzes tätigen Verbänden Beschwerde- und Klagerechte einräumt, sind die Ausführungen des EuGH jedoch nicht einfach auf Abmahnungen durch Mitbewerber übertragbar.
Was im Verhandlungstermin im September geschehen wird, ist deswegen weiterhin offen. Haben die BGH-Richter vor diesem Hintergrund weiterhin Zweifel an der korrekten Auslegung der DSGVO, besteht auch die Möglichkeit, dass sie dem EuGH die Frage nach der Abmahnfähigkeit von DSGVO-Verstößen durch Mitbewerber erneut vorlegt.
Denkbar ist aber auch, dass dem BGH die Ausführungen des EuGH zur Abmahnbefugnis von Verbänden genügen, er daraus seine Schlüsse zieht und sofort eine eigene Entscheidung trifft. Diese könnte in beide Richtungen gehen.
Bejaht der BGH die Möglichkeit, dass mit dem UWG eine weitere Sanktionsmöglichkeit neben der DSGVO besteht, so könnte auch die Folgefrage nach der Marktverhaltensregelung abschließend beantwortet werden. Allerdings besteht auch hier die Möglichkeit, dass der BGH – wie einzelne Gerichte auch – keine pauschale Entscheidung trifft, sondern auf den Einzelfall abstellt und schaut, ob die konkret verletzte datenschutzrechtliche Norm eine Marktverhaltensregel ist oder nicht.
Was tun bei einer Abmahnung im Datenschutz?
Haben Sie eine Abmahnung wegen eines DSGVO-Verstoßes erhalten? Dann lautet die erste goldene Regel: Ruhe bewahren! Dennoch müssen Sie eine solche Abmahnung ernst nehmen und umgehend darauf reagieren. Ansonsten kann der Abmahnende eine kostspielige einstweilige Verfügung gegen Sie erwirken. Kontaktieren Sie am besten sofort unser Expertenteam für eine kostenlose Ersteinschätzung unter 0221 / 951 563 0 (Beratung bundesweit).
Weitere Informationen zu der Thematik „Können DSGVO-Verstöße abgemahnt werden?“ haben übrigens wir im Überblick hier für Sie zusammengestellt.
jko/ahe