Der BGH hat dem EuGH nun einen Großteil der Fragen vorgelegt, die in unserer Verfahren für tausende Mandanten in Sachen Facebook-Datenleck und Schufa-Positivdaten von entscheidender Bedeutung sein werden. Insbesondere die Kernfrage: Wie sehr muss eine Person beeinträchtigt sein, um immateriellen Schadensersatz nach der DSGVO verlangen zu können?
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) mehrere Fragen bezüglich der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) zur Vorabentscheidung vorgelegt. Die Antworten des EuGH werden auch in unseren Verfahren zum „Facebook-Datenleck“ sowie in Sachen „illegale Übermittlung von Positivdaten an die Schufa“ von großer Bedeutung sein. Es geht zum einen um den Begriff des immateriellen Schadens im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO, zum anderen um den Unterlassungsanspruch nach der DSGVO bei Datenschutzverstößen (Beschl. v. 26.09.2023, Az. VI ZR 97/22). Die Fragen lauten sinngemäß:
Fragen zum immateriellen Schadensersatz nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO
- 4) Braucht es für die Annahme eines immateriellen Schadens nur „bloße negative Gefühle wie z.B. Ärger, Unmut, Unzufriedenheit, Sorge und Angst“? Oder ist für die Annahme eines Schadens ein über diese Gefühle hinausgehender Nachteil für die betroffene Person erforderlich?
- 5) Ist bei der Bemessung der Höhe des zu ersetzenden immateriellen Schadens der Grad des Verschuldens (des Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiters bzw. seiner Mitarbeiter) ein relevantes Kriterium?
- 6) Kann es dabei als anspruchsmindernd berücksichtigt werden, dass der betroffenen Person neben dem Anspruch auf Schadensersatz ein Unterlassungsanspruch zusteht? (Diese Frage muss der EuGH allerdings nur beantworten, wenn er zuvor eine der Vorfragen 1a, 1b oder 3 zum Unterlassungsanspruch (s.u.) bejaht.)
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Fragen zum Unterlassungsanspruch:
- 1a) Ist Art. 17 DSGVO (Recht auf Löschung) dahingehend auszulegen, dass der betroffenen Person, deren personenbezogene Daten unrechtmäßig durch Weiterleitung offengelegt wurden, ein Anspruch gegen den Verantwortlichen auf Unterlassung einer erneuten unrechtmäßigen Weiterleitung dieser Daten zusteht, wenn sie vom Verantwortlichen keine Löschung der Daten verlangt?
- 1b) Kann sich ein solcher Unterlassungsanspruch (auch) aus Art. 18 DSGVO oder einer sonstigen Bestimmung der DSGVO ergeben?
Falls eine oder beide der Fragen 1a und 1b bejaht werden:
- 2a) Besteht der unionsrechtliche Unterlassungsanspruch nur dann, wenn künftig weitere Beeinträchtigungen der sich aus der DSGVO ergebenden Rechte der betroffenen Person zu besorgen sind (Wiederholungsgefahr)?
- 2b) Wird das Bestehen der Wiederholungsgefahr gegebenenfalls aufgrund des bereits vorliegenden Verstoßes gegen die DSGVO vermutet?
Falls die ersten beiden Fragen 1a und 1b zum Unterlassungsanspruch verneint werden:
- 3) Sind Art. 84 i.V.m. Art. 79 DSGVO dahingehend auszulegen, dass sie es dem nationalen Richter erlauben, der betroffenen Person neben den DSGVO-Ansprüchen auf (immateriellen) Schadensersatz, Unterlassung und Löschung auch einen Anspruch auf Unterlassung einer erneuten unrechtmäßigen Weiterleitung dieser Daten nach den Bestimmungen des nationalen Rechts zuzusprechen?
Darum geht es in dem konkreten Verfahren
Im konkreten Fall verklagte ein ehemaliger Bewerber gegen seinen damals gewünschten Arbeitgeber, eine Privatbank, auf Unterlassung und Ersatz immateriellen Schadens. Der Bewerbungsprozess hatte über ein Online-Portal stattgefunden. Im Zuge dessen versandte eine Mitarbeiterin der Bank über den Messenger-Dienst des Portals eine nur für den Bewerber bestimmte Nachricht auch an eine dritte, nicht am Bewerbungsprozess beteiligte Person. Allerdings hatte der Bewerber mit dieser Person vor einiger Zeit in derselben Holding gearbeitet und kannte diese deshalb. In der Nachricht wird unter anderem mitgeteilt, dass die Bank die Gehaltsvorstellungen des Bewerbers nicht erfüllen könne.
Der Kläger macht geltend, sein – immaterieller – Schaden liege nicht im abstrakten Kontrollverlust über die offenbarten Daten. Sondern er liege darin, dass nunmehr mindestens eine weitere Person, die ihn selbst sowie potentielle wie ehemalige Arbeitgeber kenne, über Umstände Kenntnis habe, die der Diskretion unterlägen. Es sei zu befürchten, dass der in der gleichen Branche tätige Dritte die in der Nachricht enthaltenen Daten weitergegeben habe oder sich durch ihre Kenntnis als Konkurrent auf etwaige Stellen im Bewerbungsprozess einen Vorteil habe verschaffen können. Zudem empfinde er das „Unterliegen“ in den Gehaltsverhandlungen als Schmach, die er nicht an Dritte – vor allem nicht an potentielle Konkurrenten – weitergegeben hätte.
Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben. Es hat die Privatbank antragsgemäß zur Unterlassung verurteilt. Außerdem hat es dem Kläger, der immateriellen Schadensersatz von mindestens 2.500 € fordert, einen Betrag in Höhe von 1.000 € zuerkannt (Urt. v. 26. Mai 2020, Az. 13 O 244/19).
Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main das Urteil des Landgerichts hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs auf immateriellen Schadensersatz abgeändert und die Klage insoweit abgewiesen (Urt. v. 2. März 2022, Az. 13 U 206/20).
Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision zum BGH. Die Antwort des EuGH auf dessen Vorlagefragen werden europaweit mit Spannung erwartet! Wir werden darüber berichten.
ahe