In einem mit Spannung erwarteten Urteil zum Recht auf Vergessenwerden nach Artikel 17 DSGVO ist der BGH nun den EuGH-Vorgaben gefolgt – und das macht es Betroffenen nicht leicht. Wenn über sie negative Berichte im Internet stehen, muss Google die Links zu diesen nur löschen, wenn sie die offensichtliche Unrichtigkeit selbst nachweisen können. Was das konkret im Kontext des Rechts auf Vergessenwerden bedeutet, erläutert Rechtsanwalt Christian Solmecke:
RA Solmecke: „Der BGH setzt, wie erwartet, mit seinem Urteil die EuGH-Vorgaben um. Damit schafft er zwar Klarheit für Betroffene. Er macht es ihnen aber auch schwerer, falsche Berichte über sie aus den Google-Suchergebnissen entfernen zu lassen. Sie müssen selbst nachweisen, dass die in einem Artikel enthaltenen Informationen, auf die Google verlinkt, offensichtlich unrichtig sind. Ein klarer Sieg für Google, denn die Suchmaschine muss weder selbst recherchieren noch löschen, wenn Betroffene diesen Nachweis nicht erbringen können! Immerhin hilft den Betroffenen aber das vorherige EuGH-Urteil von 2022, wonach es nicht notwendig ist, zunächst den Urheber einer möglichen Falschaussage zu verklagen, bevor man sich an Google wenden kann.“
Der Fall vor den Gerichten
Geklagt hatte ein Ehepaar aus der Finanzdienstleistungs-Branche. Sie behaupten, die negativen Informationen, die eine amerikanische Website über ihr Anlagemodell verbreitete, seien falsch. Sie dienten lediglich der Erpressung. Google weigerte sich jedoch, die Links zu den Berichten zu löschen. Schließlich könne der Suchmaschinenbetreiber nicht beurteilen, ob an den Vorwürfen etwas dran sei. Außerdem verlangte Google, dass das Paar zuerst gerichtlich gegen den Websitebetreiber vorgehen müsse.
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Die Instanzgerichte und zunächst auch der Bundesgerichtshof (BGH) hatten Googles Auffassung zunächst bestätigt. Der Europäischen Gerichtshof (EuGH) hatte dann auf Anfrage des BGH zur Auslegung von Artikel 17 EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) entschieden: Google müsse Falschinformationen zwar auch ohne vorheriges Urteil gegen die eigentlichen Seitenbetreiber auslisten. Allerdings müssten Betroffene dann selbst auf anderem Weg nachweisen, dass die Informationen bzw. ein nicht unbedeutender Teil von ihnen „offensichtlich unrichtig“ sind. An die Nachweispflicht der Betroffenen dürften jedoch keine zu hohen Anforderungen gestellt werden, sondern es dürften nur die Beweise verlangt werden, die „vernünftigerweise verlangt werden können“ (Urt. v. 08.12.2022, Rs. C-460/20).
RA Solmecke: „Jetzt hat der BGH im konkreten Fall entschieden, dass die Finanzdienstleister eben nicht nachweisen konnten, dass die Informationen auf der US-Website offensichtlich unwahr sind (Urt. v. 23. Mai 2023, Az. VI ZR 476/18). Welche Anforderungen der BGH hier im Einzelfall gestellt hat, lässt sich aus der Pressemitteilung leider nicht entnehmen – hier müssen die Urteilsgründe abgewartet werden.“
Wie kann ich Informationen über mich aus dem Internet löschen?
RA Solmecke: „Das Recht auf Vergessenwerden beruht erst seit 2018 auf Artikel 17 DSGVO. Zuvor hatte der EuGH es in seinem Urteil vom 13.05.2014 (C 131/12 – Google Spain) ausgeformt. Betreiber der Plattformen wie Google müssen nach Artikel 17 DSGVO aber nur löschen, wenn das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eines Betroffenen die Meinungsfreiheit bzw. das Informationsinteresse der Öffentlichkeit überwiegt.
Im jetzigen Urteil ging es um die Frage, wann man möglicherweise falsche Tatsachenbehauptungen aus den Suchergebnissen entfernen lassen kann. Hierzu haben EuGH und BGH nun – wie eben beschrieben – konkrete Vorgaben für Betroffene gemacht.
Doch das Recht auf Vergessenwerden kann auch greifen, wenn man völlig korrekte Tatsachen aus dem Netz bekommen will, bei denen aber kein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit (mehr) besteht. So etwa bei einem lange zurückliegenden Mord, für die der Mörder bereits die Strafe abgesessen hatte. Oder etwa bei einer früheren Mitgliedschaft in einem Schützenverein, für die man sich jetzt schämt. Hier gilt: Je mehr Zeit vergangen ist, desto eher überwiegt hier das Recht des Betroffenen. Doch je berühmter die Person ist, desto eher steht ihr Persönlichkeitsrecht zurück. Stets kommt es auf eine Interessenabwägung im Einzelfall an.
Artikel 17 DSGVO ist jedoch nicht der einzige Weg, unliebsame Äußerungen oder Informationen über einen aus dem Internet zu bekommen. Auch die Strafgesetze und das Allgemeine Persönlichkeitsrecht können Betroffenen helfen. Wenn zum Beispiel über jemanden eine beleidigende oder verleumderische Aussage ins Netz gestellt wird, so kann man sich über das notice-and-takedown-Verfahren nicht nur an den Äußernden selbst, sondern auch darüber an Google wenden. Findet die Diffamierung in einem sozialen Netzwerk statt, kann man sich auch an das soziale Netzwerk wenden. Verletzt ein Posting sogar gewisse Strafgesetze, sind die Netzwerke dann nach dem (noch bis 2024 anwendbaren) Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) verpflichtet, das Posting sogar innerhalb von in der Regel 24 Stunden zu löschen.“
ahe