In seinen Schlussanträgen zur Vorratsdatenspeicherung betonte der Generalstaatsanwalt Sánchez-Bordona, dass Behörden Daten nur dann unterschiedslos speichern dürfen, wenn dies der Schutz der nationalen Sicherheit erfordere. In allen anderen Fällen ist aus seiner Sicht höchstens eine selektive Speicherung zulässig. Er stellt damit eine entscheidende Weiche für das wegweisende Urteil des EuGH in Sachen Vorratsdatenspeicherung, das in den nächsten Monaten zu erwarten ist.
Ein Gutachter des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hat der in Deutschland ohnehin bereits auf Eis gelegten Vorratsdatenspeicherung einen weiteren herben Dämpfer verpasst. EuGH-Generalanwalt Campos Sánchez-Bordona bekräftigte in seiner Einschätzung am 18.11.2021 die vorherigen EuGH-Urteile, nach denen die allgemeine und unterschiedslose Vorratsdatenspeicherung nur bei einer ernsten Bedrohung für die nationale Sicherheit erlaubt ist.
Derzeit liegen dem EuGH mehrere Vorabentscheidungsverfahren vor, in denen es um die Frage der Zulässigkeit der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung geht. Neben dem deutschen Bundesverwaltungsgericht (BVG) legte auch der Oberste Gerichtshof (Supreme Court) von Irland und der Kassationsgerichtshof (Cour de cassation) aus Frankreich Fragen hinsichtlich der Zulässigkeit von Datenspeicherung vor. In allen Verfahren geht es um die Grundsatzfrage, ob das generelle Verbot der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung seine Richtigkeit hat oder ob im Sinne der Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Staates dieses Verbot nicht aufzuheben sei.
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Es ist zudem nicht das erste Mal, dass der EuGH sich mit dieser Frage befasst. Während ihm aber bei den letzten Verfahren französische oder belgische Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung vorlagen, prüft er dieses Mal die Zulässigkeit des deutschen Gesetzes. Hintergrund sind zwei Revisionsverfahren gegen Urteile, bei welchen deutsche Internetgesellschaften erfolgreich die Verpflichtung zur Vorratsdatenspeicherung angefochten hatten. Über die Revisionen hat das BVG zu entscheiden. Da es bei der Entscheidung maßgeblich auf die Zulässigkeit des deutschen Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung ankommt, legte das BVG die Sache dem EuGH vor (verbundene Rechtssachen C-793/19 SpaceNet und C-794/19 Telekom Deutschland). Das deutsche Gesetz zur „Mindestspeicherpflicht und Höchstspeicherdauer von Verkehrsdaten“ wurde bereits 2015 verabschiedet und ist seither heftig umstritten. 2017 wurde es vom Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW wegen seiner Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht ausgesetzt.
Da die Mitgliedsstaaten immer wieder Druck auf den EuGH ausüben und die Aufhebung des grundsätzlichen Verbots der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung fordern, nimmt der EuGH den deutschen Fall zum Anlass, die Vorratsdatenspeicherung nochmals grundsätzlich juristisch zu bewerten. Mit einem Urteil ist in den nächsten Monaten zu rechnen. In seinen Schlussanträgen äußerte sich nun der Generalstaatsanwalt Manuel Campos Sáchez-Bordona zu der Frage der Zulässigkeit der Vorratsdatenspeicherung. Seine Anträge binden den EuGH nicht, stellen aber einen wichtigen Entscheidungsvorschlag für den Gerichtshof dar.
Vorlagefrage betrifft Zulässigkeit der anlasslosen Speicherung
Sowohl bei der deutschen Vorlagefrage als auch bei den Fragen der ausländischen Gerichte geht es um die anlasslose Speicherung von Telefon- und Internetdaten über einen längeren Zeitraum. Die verschiedenen Mitgliedstaaten plädieren dafür, dass Internetanbieter diese Daten für staatliche Behörden für eine gewisse Dauer Verfügbar halten müssen, damit diese beispielsweise zum Zwecke der Strafverfolgung darauf zurückgreifen können.
So sieht auch das deutsche Gesetz zur „Mindestspeicherpflicht und Höchstspeicherdauer von Verkehrsdaten“ eine 10-wöchige Speicherfrist für Daten wie Sprach- und Textinhalte von Telefonaten, SMS oder E-Mails vor. Mit seiner Speicherdauer von 10 Wochen stellt das deutsche Gesetz eine verhältnismäßig milde und datenschutzfreundliche Variante dar. Die Entscheidung des EuGH ist daher umso interessanter für alle EU-Mitgliedsstaaten und ihre Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung. Denn sollte der EuGH entscheiden, dass das deutsche Gesetz unwirksam ist, sind viele ausländische Gesetze erst recht unzulässig.
In seinen bisherigen Entscheidungen befand der EuGH stets, dass eine anlasslose unbegrenzte Vorratsdatenspeicherung unzulässig sei. Grund dafür sei u.a., dass die anlasslose Speicherung stark in Persönlichkeits- und Datenschutzrechte der Betroffenen eingreifen.
Jedoch machte der EuGH eine Ausnahme bei anlassbezogener Speicherung. Wenn es um Terrorismusbekämpfung und die Verfolgung schwerer Kriminalität gehe, müsse die Vorratsdatenspeicherung auch aus der Sicht der EuGH-Richter erlaubt sein.
Generalanwalt stützt bisherige EuGH-Linie
In seinen Schlussanträgen lobt der Generalstaatsanwalt zwar das deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung, da dieses mit seiner 10-wöchigen Speicherfrist die offensichtliche Bemühung zeige, der Rechtsprechung des EuGH nachzukommen. Er stellt aber fest, dass nach der deutschen Vorschrift Daten nicht nur allgemein und unterschiedslos gesichert würden, sondern darüber hinaus auch eine große Vielzahl von Verkehrs- und Standortdaten. Die Speicherung der Verkehrs- und Standortdaten sieht Sánchez-Bordona als zu große Gefahr für die Grundrechte der Betroffenen an. Dass die Dauer der Speicherung auf 10 Wochen begrenzt sei, könne dabei nicht den Mangel ausgleichen, der durch die umfassende Speicherung der Standortdaten erfolge.
Der Generalstaatsanwalt vertritt die Auffassung, dass eine anlasslose Sicherung von Daten, abgesehen von dem gerechtfertigten Fall der Verteidigung der nationalen Sicherheit, ausschließlich selektiv erfolgen dürfe. Die allgemeine Speicherung bedeute einen zu schweren Eingriff in die Grundrechte auf Familien- und Privatleben sowie den Schutz personenbezogener Daten- und zwar unabhängig davon, wie lange die Daten gespeichert würden. Einen Fall der Verteidigung der nationalen Sicherheit sieht der Generalstaatsanwalt dabei nicht einmal bei der Verfolgung schwerer Straftaten als gegeben an.
Generell ist Sánchez-Bordona hinsichtlich aller Vorlagefragen der Ansicht, dass diese mit der bisherigen Rechtsprechung des EuGH beantwortet werden könnten. Alle Anliegen seien daher abzuweisen, da die anlasslose Speicherung nicht mit Unionsrecht zu vereinbaren sei. Der Generalstaatsanwalt hält damit an der bisherigen strengen Rechtsprechung des EuGH ausnahmslos fest.
Zwar ist der EuGH nicht an die Haltung des Generalstaatsanwaltes gebunden, seine Einschätzung dürfte aber trotzdem ein interessantes Indiz dafür sein, in welche Richtung seine Entscheidung gehen könnte. Das Urteil des EuGH wird in den nächsten Monaten fallen und erneut einen Maßstab für die Vorratsdatenspeicherung setzen. Ob er dabei der strengen Linie von Sánchez-Bordona und auch seiner eigenen bisherigen Rechtsprechung treu bleibt, wird sich zeigen.
Bürgerrechtler dürfen jedenfalls bereits jetzt guten Mutes sein, dass sich der EuGH den Schlussanträgen anschließt.
lpo