Seit 31. Oktober gilt das Gesetz zur Leitentscheidung, noch am selben Tag wendet es der BGH auf unsere Facebook-Datenleck-Klagen an: Sie wird zum ersten Leitentscheidungsverfahren Deutschlands bestimmt. Was dahinter steckt und was das für Betroffene bedeutet:

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat eine unserer Facebook-Datenleck-Klagen zum sogenannten „Leitentscheidungsverfahren“ bestimmt (Beschl. v. 31.10.24, Az. VI ZR 10/24 – hier als PDF abrufbar). Dies bedeutet, dass er die Möglichkeit hat, die in diesem Fall zentralen Rechtsfragen auch dann zu entscheiden, sollten sich die Parteien dazu entscheiden, sich zu vergleichen oder die Revision aus anderen Gründen zurückziehen.

Die zentralen Rechtsfragen in Sachen Facebook-Datenleck

Hintergrund ist das Datenleck von Facebook aus dem Jahr 2021, bei dem Kriminelle sensible Daten von Millionen von Nutzern abgegriffen haben. WBS.LEGAL hat mittlerweile mehrere tausend Klagen an praktisch allen deutschen Gerichten eingereicht. Der BGH möchte den Land- und Oberlandesgerichten nun eine Richtschnur an die Hand geben, wie sie in den zentralen Punkten entscheiden sollen.


Datenleck bei Facebook

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Achtung: Verliere nicht deinen Anspruch

Zum 31.12.2024 droht die Verjährung der Ansprüche Betroffener des Datenlecks bei Facebook. Zögere nicht deine Schadensersatzansprüche von bis zu 1.000 € geltend zu machen, bevor die Zeit abgelaufen ist!

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Die zentralen Rechtsfragen, die sich in diesen Verfahren stellen und die auch zukünftig für das Verständnis des immateriellen Schadensersatzes nach Art. 82 Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) entscheidend sein werden, sieht der BGH u.a. in folgenden Rechtsfragen:

Ist der bloße Verlust der Kontrolle über personenbezogene Daten geeignet, einen immateriellen Schaden im Sinne des Art. 82 Abs. 1 DSGVO zu begründen? Diese Frage beschäftigt die deutschen Gerichte gerade besonders. Manche argumentieren, dass erst etwa (erhebliche) psychische Beeinträchtigungen wie Befürchtungen oder Ängste vor einem tatsächlichen Missbrauch zu einem „wirklichen“ Schaden führen würden, nicht aber der „bloße“ Kontrollverlust über die Daten. Unserer Auffassung nach hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Frage aber bereits mit „Ja“ entschieden. Dies unter Verweis auf Erwägungsgrund 85 zur DSGVO, wo eindeutig so steht, dass Verlust der Kontrolle über personenbezogenen Daten als Schaden anzusehen ist. Hier wird besonders spannend werden, ob der BGH dies auch so sieht – oder ob er diese Frage möglicherweise sogar noch einmal dem EuGH vorlegen wird. Dann könnte alles noch sehr viel länger dauern.

Falls der bloße Kontrollverlust für die Geltendmachung von immateriellem Schadensersatz ausreicht, wie wäre der Ersatz für einen solchen Schaden zu bemessen? Auch hierzu ist die Rechtsprechung der deutschen Gerichte sehr unterschiedlich. Die Festlegung von Kriterien für die Bemessung des Schadensersatzes hat der EuGH allerdings eindeutig den nationalen Gerichten aufgegeben. Hier wird also sehr spannend werden, welche Kriterien der BGH nun aufstellen wird – denn das wird die Richtlinie für alle zukünftigen DSGVO-Schadensersatz-Klagen werden.

Welche Anforderungen sind an die Substantiierung einer Schadensersatzklage nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO zu stellen? Sprich: Was müssen die Kläger vortragen, um zu begründen, dass sie in ihren Rechten verletzt wurden? Reicht es, dass sie vortragen, dass sie die Kontrolle über ihre Daten verloren haben? Müssen sie darlegen, unter besonderen Ängsten oder Sorgen deswegen zu leiden? Auch diese Antwort wird absolut richtungsweisend werden.

Klar ist: Die Beantwortung dieser Rechtsfragen wird Rechtsgeschichte schreiben! Alle künftigen Schadensersatzklagen nach Art. 82 DSGVO werden an dieser Entscheidung gemessen werden. Kein Wunder also, dass der BGH das Verfahren als Leitentscheidungsverfahren auserkoren hat. Doch: Was bedeutet das überhaupt?

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Warum es das Leitentscheidungsverfahren brauchte

Ziel des neuen Leitentscheidungsgesetzes ist es, schneller zu höchstrichterlichen Entscheidungen in sog. Massenverfahren zu kommen. Hintergrund ist folgender: Wenn ein großes Unternehmen im großen Stil etwas falsch macht, gibt es viele Betroffene. Da das deutsche Recht keine Sammelklagen nach US-amerikanischem Vorbild vorsieht, führt dies dazu, dass die Geschädigten individuell vor den Gerichten klagen müssen. Bis ein Fall zum BGH, dem höchsten Zivilgericht in Deutschland gelangt, braucht es einen langen Atem, schließlich muss das Verfahren erst einmal zwei vorherige Instanzen passieren. Bis dahin sind aber bereits tausende Gerichte in Deutschland mit den Verfahren beschäftigt. Eine schnellstmögliche BGH-Entscheidung kann ihnen da viel Arbeit abnehmen, weil sie dann wissen, woran sie sich zu orientieren haben und zügig entscheiden können.

Doch wenn dann eine höchstrichterliche Entscheidung vor dem BGH ansteht, kommt es häufig zu folgendem Phänomen: Die Beklagten – wie damals etwa VW in den Diesel-Verfahren – haben plötzlich ein großes Interesse daran, sich mit den Klägern zu vergleichen, um eine höchstrichterliche Entscheidung zu vermeiden. Denn ist die erst einmal getroffen, gibt es kein Zurück mehr: Die unteren Instanzen werden sich daran halten. Und hat der BGH zugunsten der Kläger entschieden, bedeutet das, dass ihre Chancen, vor den unterinstanzlichen Gerichten Recht zu bekommen, mit einem Mal enorm steigen.

Bis Ende Oktober hatte der BGH keine Handhabe, um einmal zurückgenommene Klagen „durchzuentscheiden“ und ein für allemal für Rechtssicherheit zu sorgen. In den Diesel-Verfahren nutzten die obersten Zivilrichter daher die Methode des „Hinweisbeschlusses“: Obwohl VW eine umfangreiche Summe an die Beklagten gezahlt hatte – die daraufhin die Revision vor dem BGH zurückgenommen hatten – gab der BGH in einem solchen Beschluss seine Rechtsauffassung preis – und stellte sich dabei auf die Seite der geprellten Diesel-Käufer.

Was bedeutet das Leitentscheidungsverfahren?

Mit dem neuen Gesetz aber bekommt der BGH nun die Möglichkeit, aus den bei ihm anhängigen Revisionen ein geeignetes Verfahren auswählen, das ein möglichst breites Spektrum an offenen Rechtsfragen aufwirft, deren Beantwortung für eine Vielzahl anderer Verfahren von Bedeutung ist. Dieses Verfahren kann er dann zum Leitentscheidungsverfahren bestimmen. Dieses Verfahren wird dann in jedem Fall entschieden – auch, wenn es sich aus anderen Gründen (etwa durch Rücknahme der Revision oder Vergleich) erledigen sollte.

Im Fall der Erledigung oder Rücknahme wäre die Entscheidung dann zwar nicht bindend für die Parteien. Sie würde aber den Instanzgerichten als Richtschnur und Orientierung dafür dienen, wie die Entscheidung der Rechtsfragen gelautet hätte. Die Instanzgerichte können ihre Verfahren wiederum – mit Zustimmung der Parteien – aussetzen, bis eine Leitentscheidung des BGH vorliegt.   

Wird hingegen das Revisionsverfahren nicht von den Parteien beendet, ergeben sich keine Besonderheiten: Es ergeht ein herkömmliches Urteil mit inhaltlicher Begründung.

Wir werden am Montag über die Entscheidung des BGH berichten!

ahe