Das Landgericht Wuppertal (LG) stellt in seinem Urteil klar, dass dem Auskunftsbegehren gemäß Art. 15 Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) der Einwand des Rechtsmissbrauchs im Sinne des § 242 BGB entgegengehalten werden kann. § 242 BGB enthalte einen allgemeinen Rechtsgedanken, welcher auch auf europäisches Recht Anwendung finden könne (Az. 4O 409/20). Die Kriterien für das Vorliegen eines solchen Missbrauchs legt das Gericht detailliert dar. WBS informiert.
Auskunftsbegehren nach Beitragserhöhung
Der Kläger war Versicherungsnehmer im Bereich der privaten Kranken- und Pflegeversicherung bei der Beklagten und wendete sich gegen Erhöhungen der Versicherungsbeiträge. Mit seiner Klage begehrte er Auskunft über alle Beitragsanpassungen, die die Beklagte in den Jahren 2014 bis 2016 vorgenommen hatte und verlangte Rückzahlung der entsprechenden gezahlten Beiträge. Der Kläger forderte in diesem Rahmen auch die Bereitstellung geeigneter Unterlagen, um weitere Ansprüche gegen die Beklagte genau beziffern zu können. Hintergrund des Auskunftsersuchens war unter anderem, dass der Kläger – seinen eigenen Angaben nach – die Versicherungsscheine verloren hatte und diese nicht mehr auffindbar waren.
Zur Durchsetzung dieses Auskunftsanspruches benannte der Kläger verschiedene Anspruchsgrundlagen, so zum Beispiel § 660 BGB sowie den hier relevanten Art. 15 DSGVO.
§ 660 BGB nicht anwendbar
Das Gericht lehnte in einem Satz den Anspruch aus § 660 BGB ab; hierzu müsse ein Auftrags- oder Geschäftsbesorgungsvertrag zwischen den Parteien bestehen, was bei Versicherungsverträgen nicht der Fall sei. Das Landgericht folgte insoweit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Das Versicherungsvertragsgesetz geht den Regelungen aus dem BGB als spezielleres Gesetz vor.
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Erstmalige Bejahung von § 242 BGB
Spannender als die Ablehnung des Anspruches aus § 660 BGB ist die Begründung, mit welcher das Landgericht den Anspruch aus Art. 15 DSGVO verneint hat. Das Gericht lehnte den Anspruch mit der Begründung des Rechtsmissbrauchs gemäß § 242 BGB ab. Kaum eine gerichtliche Entscheidung hatte sich zuvor mit dem Missbrauch im Rahmen des Auskunftsanspruches nach der DSGVO beschäftigt. Das Landgericht Köln hatte in einem Verfahren betreffend Art. 15 DSGVO einen Rechtsmissbrauch angedacht, letztlich aber abgelehnt (LG Köln, Urteil vom 11.11.2020 – 23 O 172/19).
Auskunftsbegehren des Klägers ist verordnungsfremder Zweck
Das Landgericht betonte, dass es sich beim Einwand des Rechtsmissbrauchs gemäß § 242 BGB um einen das gesamte Rechtsleben durchziehenden Grundsatz handele, der als nationale Ausformung auch im Rahmen des Art. 15 DSGVO Geltung beanspruche. Dieser Rechtsmissbrauchs gemäß § 242 BGB liege hier vor, so das Gericht. Rechtsmissbrauch sei immer dann zu bejahen, wenn ein Anspruchsinhaber eine formale Rechtstellung ausnutzt oder etwas geltend macht, an dem er kein schützenswertes Eigeninteresse hat. Nach dem Landgericht liegen sogar beide Aspekte kumulativ vor und „verdichten sich zu einem treuwidrigen Verhalten“. Der Kläger begehre mit den Auskunftsansprüchen eigentlich die Verfolgung von Leistungsansprüchen – hier die Rückzahlung getätigter Versicherungsbeiträge. Das Landgericht sieht darin einen „vollkommen verordnungsfremden Zweck“. Nach ErwG 63 DSGVO, diene das Auskunftsrecht aus Art. 15 DSGVO dem Betroffenen vielmehr dazu, sich der Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten bewusst zu sein und deren Rechtmäßigkeit überprüfen zu können. So soll Art. 15 DSGVO eine Rechtmäßigkeitskontrolle der Datenverarbeitungsvorgänge ermöglichen. Der Betroffene soll den Umfang und Inhalt der gespeicherten Daten beurteilen können. Art. 15 DSGVO sei auch als notwendiger Zwischenschritt zu qualifizieren, um weitere Ansprüche gemäß der DSGVO geltend machen zu können; so zum Beispiel Ansprüche auf Berichtigung gemäß Art. 16 DSGVO, auf Löschung gemäß Art. 17 DSGVO sowie auf Einschränkung der Verarbeitung nach Art. 18 DSGVO.
Interesse des Klägers nicht schützenswert
Das Landgericht sieht keine der genannten Interessen bei dem Kläger gegeben. Er begehre lediglich geldwerte Ansprüche gegen die Beklagte, ihm ginge es in keiner Weise um den Schutz seiner Daten, nicht einmal „aus Reflex“. Darin sieht das LG ein Begehren, dass so weit weg von dem Ziel und Regelungsinhalt der DSGVO ist, dass es schlichtweg nicht schützenswert sei.
Ausblick für die Praxis
Das Landgericht stellt mit der Entscheidung klar, dass die Rechte, die das Datenschutzrecht den betroffenen Personen zugesteht, dazu dienen, den effektiven Schutz der Rechte und Freiheiten dieser Personen zu gewährleisten. Da der Datenschutz ein Grundrecht ist, handelt es sich im Wesentlichen um Grundrechtsschutz. Wer die daraus herrührenden Rechte für Zwecke wahrnehmen möchte, die dem Datenschutzrecht fremd sind, handelt rechtsmissbräuchlich. Insbesondere dann, wenn er damit einen Anspruch, den ihm der Gesetzgeber ansonsten überhaupt nicht zubilligt, begründen möchte. In der Praxis könnte sich hier aber ein Beweislastproblem ergeben, denn ein so klarer Fall wie in diesem Rechtsstreit wird selten vorliegen.
Zwar kommt es nicht selten vor, dass Auskünfte gemäß Art. 15 DSGVO geltend gemacht werden, obwohl allen Parteien eigentlich klar ist, dass es nicht wirklich um den Datenschutz geht, sondern der Auskunftsanspruch lediglich die Position bzw. die Chancen des Betroffenen verbessern soll. Art. 12 DSGVO legt aber die Beweislast für die missbräuchliche Geltendmachung des Rechts ausdrücklich dem Verantwortlichen auf. Einem Antragsteller nachzuweisen, dass er seinen Anspruch aus datenschutzfremden Gründen geltend machen will, wird in den meisten Fällen nahezu unmöglich sein. Denn der Antragsteller muss überhaupt keine Gründe für den Anspruch nennen. Inhaltliche Anforderungen an den Antrag legt die DSGVO nicht fest. Im Übrigen wird das Urteil auch vor dem Hintergrund weiter diskutiert werden können, dass das Landgericht vorliegend davon ausgeht, dass § 242 BGB als nationales Recht ziemlich unproblematisch auch auf europäisches Recht anwendbar ist. Diese Auffassung könnte auch von verschiedenen Gerichten in der Zukunft unterschiedlich beurteilt werden. Es stehen sich hier die unmittelbar anwendbare DSGVO und nationales Zivilrecht gegenüber. Fraglich ist, ob nicht die DSGVO – entgegen der Ansicht des Landgericht Wuppertals – abschließend Missbrauchssituationen erfasst und regelt.
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