In Sachen Facebook-Datenleck vertreten wir mittlerweile über 9000 Mandanten. Was uns in den Klageverfahren nun passiert ist, mutet doch recht absurd an: Die Richter an den Landgerichten versuchen mit recht absurden Methoden, sich ihrer Zuständigkeit zu entledigen. Nun musste deswegen zum zweiten Mal ein OLG entscheiden – und beide waren „not amused“ über die Possen ihrer Kollegen der unteren Instanz.
Tausende unserer Klagen wegen des Facebook-Datenlecks sind mittlerweile bei deutschen Gerichten anhängig. Das eigentliche Ziel: 1000 Euro Schadensersatz für all diejenigen erstreiten, deren Daten bei Facebook am Osterwochenende 2021 in einem Hackerforum aufgetaucht waren. WENN einmal ein Gericht in der Sache entscheidet, dann kann das sehr erfreulich sein. So hat das Landgericht (LG) Zwickau unsere Klage in einem 31 Seiten langen Versäumnisurteil für rechtlich schlüssig erklärt – und Facebook damit direkt die Hauptargumentation entzogen.
Doch nicht immer laufen Prozesse vor deutschen Gerichten so glatt. Tatsächlich treibt die Angelegenheit mitunter auch recht absurde Blüten, die ein wenig an die übertriebene Bürokratie um „Passierschein A 38“ bei Asterix und Obelix erinnern. Bereits zwei Possen um die Zuständigkeit verärgern wie amüsieren uns als Anwälte gleichermaßen.
Zuerst musste das Oberlandesgericht (OLG) Dresden als drittes (!) mit der Sache befasstes Gericht entscheiden, welches Gericht überhaupt für die Entscheidung in der Sache zuständig ist (Beschl. v. 05.10.2022, Az. 17 AR 36/22).
Und nun sollte OLG München entscheiden, welche Kammer innerhalb des Landgerichts Kempten (Allgäu) zuständig ist – die 1. oder die 3. Zivilkammer? Beide hatten sich jeweils für unzuständig erklärt, ohne zuvor überhaupt mit Facebook als Beklagter zu sprechen. Die Entscheidung des OLG lautete daher (sinngemäß): „Das geht uns garnichts an, macht erst einmal euren Job richtig!“ Oder auf formaljuristisch: „Die Bestimmung der funktionellen Zuständigkeit wird abgelehnt.“ (Beschl. v. 21.11.22, Az. 34 AR 152/22).
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Der aktuelle Fall des OLG München
Schaut man sich diesen Fall an, so zeigt sich: Die Kammern des Landgerichts Kempten (Allgäu) sahen unseren Fall wie eine heiße Kartoffel, die sie garnicht schnell genug möglichst weit von sich weg werfen konnten. Zu schnell, wie schließlich das OLG München entschied. Aber der Reihe nach:
Kammern des LG Kempten fühlen sich nicht zuständig
Die am 30. August 2022 eingereichte Klage unsere Mandanten ging zunächst an die 3. Zivilkammer. Diese erklärte sich jedoch mit Beschluss vom 13.9.2022 – ohne Anhörung der Parteien – als allgemeine Zivilkammer für funktionell unzuständig und gab das Verfahren an die 1. Zivilkammer als Spezialkammer ab. Dieser Beschluss wurde nur uns zugestellt, nicht aber Facebook.
Doch auch die 1. Zivilkammer erklärte mit Verfügung vom 11.10.2022, sie beabsichtige, die Übernahme des Verfahrens abzulehnen, weil gerade ihr Spezialgebiet nicht Gegenstand des Verfahrens sei. Die Parteivertreter würden Gelegenheit zur Stellungnahme bis 21.10.2022 erhalten. Allerdings wurden erneut nur wir darüber informiert, nicht aber an Facebook als Beklagte. Mit Beschluss vom 7.11.2022 lehnte die 1. Zivilkammer dann die Übernahme des Verfahrens ab und übertrug den Rechtsstreit wieder zurück an die 3. Zivilkammer. Auch darüber wurden wieder nur wir informiert.
Die 3. Zivilkammer wollte es jetzt wissen – und zwar vom OLG München. Solle das doch bitte nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 Zivilprozessordnung (ZPO) analog entscheiden, wer jetzt genau am Landgericht Kempten zuständig sei. Auch diese Entscheidung erhielten wir. Jetzt erst kamen die Gerichte auch auf die Idee, diese und alle vorherigen Entscheidungen auch an Facebook zu übersenden. An Letztere jedoch mit dem Zusatz, die Übersendung erfolge zur Kenntnisnahme, es handle sich noch um keine Zustellung der Klage. Diese Zustellung ist insoweit wichtig, weil der Fall erst dann „rechtshängig“ ist.
OLG München: Macht erstmal euren Job richtig!
Das OLG München jedoch lehnte diese Gerichtsstandsbestimmung ab. Eine solche könne grundsätzlich erst erfolgen, wenn Rechtshängigkeit der Streitsache eingetreten sei – das sei eben erst nach förmlicher Zustellung der Klageschrift der Fall, was hier explizit nicht geschehen ist. Ein Fall, hier ausnahmsweise über die Zuständigkeit vor Rechtshängigkeit zu entscheiden, sei nicht gegeben. Eine solche Ausnahme wird zum Teil schon dann angenommen, wenn verschiedene Gerichte jeweils eindeutig und abschließend zum Ausdruck gebracht haben, dass sie sich nicht für zuständig halten, und eine baldige Beilegung des negativen Kompetenzkonfliktes nicht erwartet werden kann.
Das OLG habe zwar in einem anderen Fall auf das Erfordernis der Rechtshängigkeit verzichtet, in dem die Klage bereits seit vier Monaten anhängig war. In dem Fall war allerdings auch der Beklagtenseite rechtliches Gehör zur Zuständigkeitsfrage gewährt worden. Hier hätten die Voraussetzungen für eine solche Ausnahme indes nicht vorgelegen, so das OLG. Der Rechtsstreit war erst seit 2,5 Monaten anhängig. Bislang wurde nicht einmal der Versuch einer Klagezustellung unternommen. Zudem hatten die beteiligten Kammern Facebook entgegen Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG) kein rechtliches Gehör gewährt. Die 3. Zivilkammer hatte vor Erlass des Beschlusses vom 13.9.2022 noch nicht einmal uns als Kläger angehört. Das OLG schloss mit folgendem Satz: „Unter diesen Umständen die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung anzunehmen, würde das grundsätzlich anerkannte Erfordernis der Rechtshängigkeit sowie der Gewährung rechtlichen Gehörs leerlaufen lassen und ließe befürchten, dass die Ausnahme zur Regel würde.“
Mal sehen, ob die 1. und die 3. Kammer sich darauf einigen können, wer jetzt die Klageschrift an Facebook zustellt. Wir sind gespannt, ob sie danach vielleicht sogar ihren internen Konflikt alleine lösen werden oder – nach Rechtshängigkeit – wieder zum OLG ziehen. Mittlerweile haben uns die Zuständigkeits-Streitigkeiten bereits sehr viel Geduld lernen lassen. Doch eines ist klar: Locker lassen wir nicht!
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Der Fall des OLG Dresden
Im zweiten Fall, über den letztlich das OLG Dresden zu entscheiden hatte, ging es um den sog. „Streitwert“. Dabei handelt es sich um die Summe, um die es im Verfahren geht und an der sich nicht nur die Gerichts- und Anwaltskosten, sondern auch die gerichtlichen Zuständigkeiten bemessen. Die Landgerichte sind immer dann zuständig, wenn der Streitwert über 5000 Euro liegt, wovon in dieser Angelegenheit eigentlich auszugehen ist. Das sagte letztlich auch das OLG so. Bis zu diesem Punkt war es aber ein langer Weg.
Landgericht möchte den Fall offenbar „loswerden“
Die meisten Gerichte, vor denen wir in Deutschland Klagen zum Facebook-Datenleck eingereicht haben, sahen hier kein Problem – das LG Görlitz allerdings schon. Ohne nähere Begründung setzte es durch Verfügung den vorläufigen Streitwert auf unter 5000 Euro fest und stellte dem Kläger anheim, einen Verweisungsantrag an das Amtsgericht (AG) Görlitz zu stellen. Der folgte dem „Vorschlag“ des Gerichts jedoch nicht und regte stattdessen eine über dieser Grenze liegende Summe an. Lediglich hilfsweise beantragte er die Verweisung an das AG Görlitz. Ohne Anhörung von Facebook verwies das LG Görlitz den Fall daraufhin an das AG Görlitz.
Doch das AG Görlitz war – zu Recht – verwundert über die neue Akte auf dem Schreibtisch. Es gab das Verfahren postwendend wieder an das LG zurück. Der Verweisungsbeschluss enthalte keine Bindungswirkung. Zum einen sei die Voraussetzung nicht eingehalten, dass die Klage erst einmal dem Beklagten, also Facebook, zugestellt hätte werden müssen. Zum anderen hätte Facebook zuvor angehört werden müssen.
Der zuständige Richter am LG Görlitz wiederum ließ das nicht auf sich sitzen und verfügte wiederum: Der Kläger werde zur Vermeidung weiterer Verfahrensverzögerungen höflich ersucht, die vom AG Görlitz erbetene formlose Abgabe vor Zustellung (an den Beklagten) zu beantragen. Der Kläger schrieb dem Richter am Landgericht daraufhin, dass das AG sich für unzuständig halte, wollte keine Abgabe des Verfahrens und argumentierte weiter, warum der Streitwert über 5000 Euro liegen müsse.
Daraufhin ordnete das LG erst einmal das schriftliche Vorverfahren an und wies darauf hin, dass es beabsichtige, den Rechtsstreit an das AG zu verweisen mit Gelegenheit zur Stellungnahme von zwei Wochen. Dieses Mal hatte also auch Facebook als Beklagte die Gelegenheit zur Stellungnahme. Facebook erbat erst einmal eine Fristverlängerung für die Klageerwiderung um etwa weitere 3 Monate. Das interessierte das LG jedoch nicht, weswegen es auf diesen Antrag erst gar nicht reagierte. Stattdessen erklärte es sich für sachlich unzuständig und verwies die Angelegenheit an das AG Görlitz.
Doch auch das AG Görlitz erklärte sich nun für unzuständig. Und nun? Ist jetzt keiner zuständig, wenn sich beide rechtskräftig für unzuständig erklärt haben? Doch, denn im Zivilprozessrecht gilt: Wenn zwei sich um die Zuständigkeit streiten, muss ein drittes Gericht entschieden. Und zwar eines der zweithöchsten Instanz der Zivilgerichte in Deutschland, ein Oberlandesgericht. Konkret: Das OLG Dresden.
Machtwort des OLG Dresden
Das OLG Dresden sagte nun: Das AG Görlitz sei an den Verweisungsbeschluss des LG Görlitz nicht gebunden. Die Verweisung an das AG sei als „evident falsche Erfassung des Zuständigkeitsstreitwerts anzusehen“, willkürlich erfolgt und entfalte daher ausnahmsweise keine Bindungswirkung. Das LG Görlitz sei weiterhin zuständig.
Nach § 281 Zivilprozessordnung (ZPO) ist ein Verweisungsbeschluss normalerweise bindend. Dies sei nur ausnahmsweise zu verneinen, wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht im Rahmen dieser Vorschrift ergangen sei, so das OLG Dresden. Dabei reiche es nicht, dass der Beschluss nur inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft sei. Er müsse darüber hinaus z.B. auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruhen, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen worden sein oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehren und deshalb als willkürlich betrachtet werden müssen. Willkür liege nur vor, wenn der Verweisungsbeschluss einen über einen einfachen Rechtsfehler hinausgehenden schwerwiegenden Fehler aufweise, der unter Umständen begangen wurde, die den Verweisungsbeschluss (…) als nicht mehr nachvollziehbar und offensichtlich unhaltbar erscheinen lassen. Das sei etwa bei einer evident falschen Erfassung des Zuständigkeitswerts der Fall.
Diese Voraussetzungen lassen angesichts des Ergebnisses nichts Gutes für das LG Görlitz erahnen. Denn gemessen an diesen Grundsätzen fehlte der Verweisung ja tatsächlich die Bindungswirkung. Und tatsächlich, die „Klatsche“ des OLG folgt auf dem Fuße – in der Begründung:
Zum einen sei schon fraglich, ob der Verweisungsbeschluss ohne vorherige Anhörung der Beklagten und damit unter Verletzung rechtlichen Gehörs erfolgt sei. Das LG habe es unterlassen, aufzuklären, worauf sich Facebooks Antrag auf Verlängerung der Frist bezogen hatte. Letztlich könne diese Frage aber offen bleiben. Denn im Hinblick auf die Streitwertfestsetzung habe das LG ohne jegliche Begründung und ohne irgendeine erkennbare Auseinandersetzung mit dem Klägervorbringen und seinen vorgelegten Unterlagen herabgesetzt. Und das, obwohl in vergleichbaren Fällen andere Gerichte bundesweit mit gleichgelagerten Klagen befasst seien und Streitwerte von über 5000 Euro angenommen hätten. Vor diesem Hintergrund erscheine dies – zumal ohne jede Begründung – „willkürlich“. Das ganze Vorbringen des Klägers und die Aussagen des Amtsgerichts zu übergehen, ohne sich mit nur einem Wort der Begründung mit den auf der Hand liegenden und hinreichend verdeutlichten Problemen auseinanderzusetzen, könne nicht mehr als einfacher Rechtsfehler, sondern müsse als Willkür gewertet werden.
Das war deutlich. Nun geht es um die Frage: Muss Facebook unserem Mandanten 1000 Euro wegen des Datenlecks zahlen? Wir freuen uns auf eine spannende inhaltliche Auseinandersetzung in der Sache vor dem besagten Landgericht Görlitz.
ahe