Seit fünf Jahren gibt es das Recht auf Vergessenwerden, wonach Personen Google-Einträge löschen lassen können. Jetzt sagt der EuGH, dass dieses Recht Grenzen hat, nämlich die der EU. Das Europarecht zwinge Google daher nicht zum weltweiten Löschen. Doch es verbietet den Mitgliedstaaten eine solche Entscheidung auch nicht. Eine salomonische Entscheidung, die der EuGH da mit Blick auf andere autoritäre Regime getroffen hat.
Google muss seine Suchergebnisse nicht weltweit löschen, wenn ein EU-Bürger sein Recht auf Vergessenwerden geltend macht. Das hat am Dienstag der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden (Urt. v. 24.09.2019, Az. C-507/17). Die Löschpflicht erstrecke sich grundsätzlich nur auf alle Staaten innerhalb der EU. Bezogen auf diese muss Google aber dafür sorgen, dass die Internetnutzer davon abgehalten werden, von einem Mitgliedstaat aus auf die entsprechenden Links in Nicht-EU-Versionen der Suchmaschine zuzugreifen. Damit ist letztlich das sog. „Geoblocking“ gemeint.
Allerdings lässt der EuGH noch ein Schlupfloch für die weltweite Löschung offen: Zwar schreibe das EU-Recht keine weltweite Löschung vor, doch verbiete es dies auch nicht. Daher könnten die Behörden eines Mitgliedstaats, sofern sie das Persönlichkeitsrecht mit dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit angemessen abwägen, nach nationalem Recht eine weltweite Löschung erzwingen.
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EuGH 2014: Recht auf Vergessenwerden
Der EuGH hatte in seinem Google-Spain-Urteil im Mai 2014 eine weitreichende Entscheidung gefällt. Er räumte Privatpersonen das Recht ein, von Suchmaschinenbetreibern die Löschung von Links zu Webseiten Dritter zu verlangen, die unerwünschte Inhalte bzw. Informationen zu ihrer Person enthalten (Recht auf Vergessenwerden). Diese Löschung könne selbst dann zulässig wein, wenn der Name oder die Informationen auf diesen Websites nicht vorher oder gleichzeitig gelöscht werden und gegebenenfalls auch dann, wenn ihre Veröffentlichung auf den Websites als solche rechtmäßig ist.
Google ist damit in der EU seit fünf Jahren verpflichtet, auf Antrag von Betroffenen Suchergebnisse auf seiner Seite zu löschen und muss die widerstreitenden Grundrechte abwägen. Der EuGH räumte den Persönlichkeitsrechten „im Allgemeinen“ gegenüber dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit den Vorzug ein.
Seitdem finden sich am Ende einer Suchergebnisliste häufig solche Informationen:
Mittlerweise ist das sog. Recht auf Vergessenwerden z.T. in Artikel 17 der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) verankert.
Strittig jedoch war bislang die geografische Reichweite der Löschpflicht. Diese offene Frage wurde jetzt vom EuGH geklärt.
Zum Hintergrund dieses Verfahrens
Im zugrundeliegenden Fall aus Frankreich hatte der sog. Nationale Ausschuss für Informatik und Freiheitsrechte (CNIL) Google aufgefordert, bei rechtmäßigen Löschanträgen die Suchergebnisse aus allen Versionen von google, also z.B. google.com, zu entfernen.
Google weigerte sich, dieser Aufforderung nachzukommen, und beschränkte sich darauf und beschränkte die Löschung auf alle Domainnamen aus den Mitgliedstaaten der EU. Ergänzend schlug Google vor, man könne die weltweiten Ergebnisse via „Geoblocking“ für blockieren. Das bedeutet, dass auf die durch eine Suche anhand des Namens einer Person generierten Ergebnisse nicht mittels einer dem Wohnsitzstaat dieser Person zuzuordnenden IP-Adresse zugegriffen werden kann, unabhängig davon, welche Variante der Suchmaschine bei der Suche verwendet wurde.
Weil Google der Aufforderung nicht fristgerecht nachgekommen sei, verhängte die CNIL 2016 gegen sie eine Sanktion in Höhe von 100 000 Euro.
Google hat beim Conseil d’État (Staatsrat, Frankreich) Klage auf Nichtigerklärung dieses Beschlusses erhoben. Der Conseil d’État hat dem Gerichtshof mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Insbesondere wollte er wissen, ob das (alte) EU-Datenschutzrecht dahin auszulegen ist, dass Suchmaschinen wie Google die Ergebnisse in allen Versionen weltweit löschen muss, ob die Löschpflicht die gesamte EU betrifft oder doch nur das Land, in dem der Löschantrag gestellt wurde.
EuGH: Weltweite Löschung wäre der beste Schutz, aber…
Eigentlich wäre durch eine weltweite Löschung der beste Schutz von Personen in einer globalisierten Welt erreicht. Schließlich hat es auch Auswirkungen, wenn Menschen aus dem Ausland auf Informationen über Personen aus der EU zugreifen können.
Dennoch sieht der EuGH, dass das „Recht auf Vergessenwerden“ eine Besonderheit der EU ist und andere Staaten das anders sehen. Auch sei das Recht auf Schutz personenbezogener Daten kein uneingeschränktes Recht, sondern müsse gegen andere Grundrechte abgewogen werden. Zudem könne die Abwägung zwischen dem Recht auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten einerseits und der Informationsfreiheit der Internetnutzer andererseits weltweit sehr unterschiedlich ausfallen.
EuGH: EU-Recht sieht keine weltweite Löschung vor, aber…
Aus den EU-Vorschriften ergebe sich jedoch nicht, dass der Unionsgesetzgeber eine solche Abwägung in Bezug auf die Reichweite einer Auslistung über die Union hinaus durchgeführt hätte. Auch geht aus dem EU-Recht nicht hervor, dass er entschieden hätte, den Rechten des Einzelnen eine Reichweite zu verleihen, die über das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten hinausgeht. Es ergibt sich daraus auch nicht, dass er einem Wirtschaftsteilnehmer wie Google eine Löschpflicht zur Auslistung hätte auferlegen wollen, die auch für die Nicht-EU-Versionen der Suchmaschine gilt. Das Unionsrecht sieht zudem keine Instrumente und Kooperationsmechanismen im Hinblick auf die Reichweite einer Löschung aus den Suchergebnissen über die Union hinaus vor.
Der Gerichtshof schließt daraus, dass nach derzeitigem Stand ein Suchmaschinenbetreiber, der einem Auslistungsantrag der betroffenen Person stattgibt, nicht aus dem Unionsrecht verpflichtet ist, eine solche Auslistung in allen Versionen seiner Suchmaschine vorzunehmen.
Das Unionsrecht verpflichte den Suchmaschinenbetreiber jedoch, eine solche Auslistung in allen mitgliedstaatlichen Versionen seiner Suchmaschine vorzunehmen. Es müssen Ergebnisse in allen EU-Google-Domains gelöscht werden.
Außerdem müsse Google hinreichend wirksame Maßnahmen ergreifen, um einen wirkungsvollen Schutz der Grundrechte der betroffenen Person sicherzustellen. So müsse die Suchmaschine die Internetnutzer daran hindern oder zumindest zuverlässig davon abhalten, mittels einer Nicht-EU-Version der Suchmaschine auf die Links zuzugreifen, die innerhalb der EU nicht mehr gezeigt werden dürfen. Die Rede ist vom sog. Geoblocking. Das französische Gericht wird zu prüfen haben, ob die von der Google getroffenen Maßnahmen diesen Anforderungen genügen.
Schließlich stellt der Gerichtshof fest, dass nach derzeitigem Stand das Unionsrecht zwar keine Auslistung in allen Versionen der Suchmaschine vorschreibt, doch verbietet es dies auch nicht. Daher bleiben die Behörden eines Mitgliedstaats befugt, anhand von nationalen Schutzstandards für die Grundrechte eine Abwägung zwischen dem Recht der betroffenen Person auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten einerseits und dem Recht auf freie Information andererseits vorzunehmen und nach erfolgter Abwägung gegebenenfalls dem Suchmaschinenbetreiber aufzugeben, eine Auslistung in allen Versionen seiner Suchmaschine vorzunehmen.
RA Christian Solmecke zum Urteil:
Ich finde es richtig, dass eine Löschung von Suchergebnissen grundsätzlich auf den rechtlichen Wirkbereich der EU begrenzt sein soll. Das EU-Recht sieht die weltweite Löschung als die Ausnahme und nicht als die zwingende Regel an. Alles andere wäre auch ein fatales Signal gewesen. Denn EuGH-Entscheidungen finden weltweit Beachtung. Der Nachahmer-Effekt, dass plötzlich weniger rechtsstaatliche Länder wie China oder Russland der Ansicht ist, weltweit Google-Einträge zu löschen, die kritisch über ihre innen- und außenpolitischen Aktivitäten zu berichten, wäre fatal! Denn gerade hier ist Google eine Quelle, mit der das Ausland einen nicht durch die Regierung gefilterten Blick auf die politische Lage eines Landes werfen kann.
Generell macht das auf den zweiten Blick wenig eindeutige Urteil aber umso mehr deutlich, wie schwer es ist, im Internet künstlich rechtliche Grenzen zu ziehen. Diese sehen letztlich für die verschiedenen Rechtsbereiche unterschiedlich aus.
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Die Schlussanträge des EuGH-Generalanwalts
Der Generalanwalt des EuGH Szpunar war ebenfalls der Auffassung gewesen, dass Google nicht verpflichtet ist, für eine weltweite Entfernung von Links zu sorgen, sondern dass die Entfernung von Links, die durch den Suchmaschinenbetreiber vorzunehmen ist, auf das Gebiet der EU zu begrenzen ist. Auch er hielt Geoblocking für die wirksamste Methode, um die Suchergebnisse zu begrenzen.
Wie jetzt auch der EuGH war der Generalanwalt der Ansicht, dass es nicht auszuschließen sei, dass der Betreiber einer Suchmaschine in bestimmten Situationen verpflichtet werden könnte, Links weltweit zu entfernen. Der Sachverhalt der vorliegenden Rechtssache rechtfertige dies aber nicht.
Aus der Pressemitteilung des EuGH zu den Schlussanträgen:
In seinen Schlussanträgen wies Generalanwalt Maciej Szpunar darauf hin, dass die auf diese Rechtssache anwendbaren Bestimmungen des Unionsrechts die Frage der räumlichen Begrenzung der Entfernung von Links nicht ausdrücklich regelten. Seines Erachtens war eine Differenzierung anhand des Ortes geboten, von dem aus die Suche vorgenommen wird. Dabei sollten Suchvorgänge außerhalb des Gebiets der Europäischen Union nicht von der Entfernung von Links aus den Suchergebnissen betroffen sein. Eine Auslegung der Bestimmungen des Unionsrechts, die so weit sei, dass sie Wirkungen über die Landesgrenzen der 28 Mitgliedstaaten hinaus entfalteten, sei daher abzulehnen. Zwar seien in bestimmten den Binnenmarkt betreffenden und klar abgegrenzten Fällen, etwa im Bereich des Wettbewerbsrechts oder des Markenrechts, extraterritoriale Wirkungen zulässig, doch sei das weltweite und überall in gleicher Weise vorhandene Internet seinem Wesen nach damit nicht vergleichbar.
Das Grundrecht auf Vergessenwerden müsse gegen das berechtigte Interesse der Öffentlichkeit am Zugang zu den gesuchten Informationen abgewogen werden. Bei einer weltweiten Entfernung von Links wären die Unionsbehörden nicht in der Lage, ein Recht auf Erlangung von Informationen zu definieren und näher zu bestimmen, und sie könnten erst recht keine Abwägung zwischen ihm und den Grundrechten auf Datenschutz und auf Privatleben vornehmen. Hinzu komme, dass ein solches Interesse der Öffentlichkeit am Zugang zu Informationen zwangsläufig je nach seiner geografischen Verortung von Drittstaat zu Drittstaat variiere. Wäre eine weltweite Entfernung von Links möglich, bestünde die Gefahr, dass Personen in Drittstaaten am Zugang zu den Informationen gehindert würden und dass die Drittstaaten im Gegenzug Personen aus den Staaten der Union am Zugang zu den Informationen hinderten.