Hochschulen haben während der Corona-Pandemie ihre digitalen Prüfungsangebote stetig ausgebaut. Dabei jedoch bewegen sie sich auf dünnem Eis, weshalb nun Datenschützer genauer hinschauen. Schließlich haben Studierende auch Rechte. Ein Überblick.
Studierende müssen aufgrund der Corona-Pandemie derzeit auf Online-Veranstaltungen ausweichen. Prüfungen müssen sie ebenfalls online ablegen, auch im eigenen Interesse, um keine wertvolle Studienzeit zu verlieren. Um Online-Prüfungen zu beaufsichtigen, setzen Hochschulen häufig digitale „Tools“ ein, die mittels Kamera und Mikrofon die Prüfungen überwachen.
Auf diese Weise sollen etwaige Betrugsversuche unterbunden und die Chancengleichheit gewahrt werden. Digitale Formate zur Kontrolle von Prüfungen (sog. Online-Proctoring) können aber auch massiv in die Rechte von Studierenden eingreifen. In Baden-Württemberg wird daher aktuell eine Umfrage ausgewertet, die die Aktivitäten dieser digitalen „Tools“ datenschutzrechtlich analysieren will.
Das Problem der Totalüberwachung von Studierenden
Beim sog. Online-Proctoring werden Studierende mitunter aufgefordert, die Webcam und das Mikrofon am Gerät während der Prüfung eingeschaltet zu lassen, um sicherzustellen, dass keine unerlaubten Hilfsmittel verwendet werden und, dass sich keine weitere Person im Privatraum des Studierenden befindet. Hinzu kommt, dass Studierende eine „geeignete“ Soft- und Hardware einsetzen müssen, auf der die manuelle oder automatisierte Kontrolle erfolgen kann und die sich zum Teil tief in deren System einnistet. Eyetracking und das Auslesen der Browserhistorie sind dabei keine Seltenheit. Diese Maßnahmen stehen ganz im Zeichen der Chancengleichheit und sollen Täuschungsversuche vermeiden. Für Studierende wirkt sich der Technik-Einsatz nicht nur psychisch belastend aus, es stellt sich ebenso die Frage, inwieweit die Hochschulen in die Privatsphäre der Studierenden eingreifen dürfen.
In Deutschland reagieren Studierende bereits auf den Technik-Einsatz zunehmend in Form von Protesten.
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Wie ist die Rechtslage?
Nach den neuen, während der Pandemie geschaffenen hochschulrechtlichen Regelungen im Gesetz über die Hochschulen in Baden-Württemberg (LHG BW, §§ 32a und 32b LHG BW) muss die Teilnahme an Online-Prüfungen, sofern sie nicht in Räumlichkeiten der Hochschule durchgeführt werden, freiwillig sein.
Das kann insbesondere dadurch sichergestellt werden, dass gleichzeitig eine Vor-Ort-Prüfung angeboten wird. Zur Unterbindung von Täuschungshandlungen dürfen die Kamera- und Mikrofonfunktion nur aktiviert werden, soweit dies für das Prüfungsformat zwingend erforderlich ist. Eine darüberhinausgehende Raumüberwachung darf nicht stattfinden.
Die Videoaufsicht ist im Übrigen so einzurichten, dass der Persönlichkeitsschutz und die Privatsphäre der Betroffenen „nicht mehr als zu berechtigten Kontrollzwecken erforderlich“ eingeschränkt werden. Eine sonstige Prüfung oder Überwachung der eingesetzten Hardware oder gar eine Übermittlung von dort gespeicherten Daten mittels Software ist nicht gestattet. Keinesfalls darf eine Aufzeichnung der Prüfung stattfinden.
Insgesamt darf die Kontrolle – auch während der Prüfung – nicht zu einer Totalüberwachung der Studierenden ausarten.
Hochschulen agieren auf dünnem Eis
Beim Datenschutz herrschen grundsätzlich europäisch einheitliche Vorgaben. Diese können nicht, wie etwa das Prüfungsrecht, auf Landesebene angepasst werden.
Laut der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) dürfen die Hochschulen nur die Daten verarbeiten, die für ihre Aufgabenerfüllung erforderlich sind. Sofern die Daten nicht erforderlich sind, müssen die Hochschulen die Einwilligungen aller Beteiligten einholen, welche aber im Nachgang jederzeit widerrufen werden kann (Art. 7 Abs. 3 DSGVO). Verfassungsrechtlich problematisch wird es im Hinblick auf die Verfolgung der Browserverläufe der Prüflinge. 2008 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) das Grundrecht auf „Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“ aus bestehenden Grundrechtsbestimmungen abgeleitet (Urt. v. 27. Februar 2008, Az. 1 BvR 370/07, Az. 1 BvR 595/07, BVerfGE 120, 274).
Dieses Grundrecht, umgangssprachlich auch als IT-Grundrecht bekannt, soll den Einzelnen vor heimlichen Zugriffen des Staates schützen und wurde als spezielle Ausprägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts formuliert.
Bei der Verfolgung von Browserverläufen durch die Hochschulen bleibt für alle Beteiligten undurchschaubar welche genauen Informationen den Hochschulen sowie den Software-Betreibern zur Verfügung gestellt werden und wie lange sie den Zugriff auf diese Information behalten. Gleichwohl den öffentlichen Hochschulen keine Bußgelder auferlegt werden können, besteht nach der DSGVO dennoch die Möglichkeit, dass Studierende die Hochschulen wegen der datenschutzwidrigen häuslichen Überwachung auf Schadensersatz in Form eines Schmerzensgeldes verklagen.
Datenschutz-Auswertung der Hochschul-Software
Um die vorangegangenen rechtlichen Fragen zu klären und auch um die konkreten Aktivitäten der von Hochschulen eingesetzten Software nachvollziehen zu können, wird in Baden-Württemberg nun eine aktuelle Umfrage mit allen öffentlichen Hochschulen des Landes ausgewertet. Auf den Weg gebracht wurde die Umfrage vom Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Baden Württemberg. Gemeinsam mit dem Wissenschaftsministerium soll parallel dazu erarbeitet werden, wie in Zukunft Prüfungen datenschutzkonformer angeboten werden können.
In NRW wird derzeit von einzelnen Hochschulen auf das Konzept der Open-Book-Klausuren gesetzt. Dabei werden die Studierenden zwar nicht überwacht, jedoch erhalten sie eine an die Umstände angepasste Prüfung, die das „googeln“ von Antworten erschwert und ebenfalls an eine begrenzte Bearbeitungsdauer geknüpft ist.
nis