Das Bundesverfassungsgericht hat heute entschieden (1 BvR 1299/05)) dass Teile des deutschen Telekommunikationsgesetzes (TKG) verfassungswidrig sind. Konkret geht es um die Herausgabe von PIN-Codes an die Behörden und die Rückverfolgung von dynamischen IP-Adressen. Die betroffenen Regelungen dürfen allerdings noch bis Mitte 2013 weiter verwendet werden. Rechtsanwalt Christian Solmecke aus der Kölner Medienrechtskanzlei WILDE BEUGER SOLMECKE erläutert die Konsequenzen des Urteils:
„Hätte das Bundesverfassungsgericht den Behörden keine Übergangsfrist eingeräumt, dann wären jetzt schwere Zeiten für die Strafverfolgungsbehörden in Deutschland angebrochen. Bislang ist es gängige Praxis, Privatpersonen, die eine Straftat wie z.B. eine Urheberrechtsverletzung begangen haben, über die Rückverfolgung der dynamischen IP Adresse zu ermitteln. Ob das rechtens ist, ist unter Juristen schon seit Jahren umstritten. § 113 Abs. 1 TKG als dafür zuständige Norm ist so schwammig formuliert, dass bislang ein erheblicher Interpretationsspielraum bestand.“
Mit diesem Rätselraten ist es nun vorbei. Die Verfassungsrichter machen mit ihrem Urteil deutlich, dass mit der Rückverfolgung einer dynamischen IP-Adresse ein Eingriff in das grundrechtlich geschützte Telekommunikationsgeheimnis stattfindet. In der Vergangenheit wurden in Deutschland tausende Nutzer von so genannten Filesharing-Tauschbörsen durch die Staatsanwaltschaften unter Berufung auf § 113 Abs. 1 S.1 TKG ermittelt und später von der Musik- oder Filmindustrie abgemahnt. „Die auf diese Weise erteilten Auskünfte der Provider sind zwar allesamt aufgrund einer verfassungswidrigen Interpretation des Telekommunikationsgesetzes erstellt worden, aufatmen können die Betroffenen allerdings dennoch nicht. Denn nach der heutigen Entscheidung soll ein solches Vorgehen noch bis zum 30. Juni 2013 möglich sein.“
Bis dahin muss der Gesetzgeber handeln. Zunächst einmal muss § 113 Abs. 1 TKG klarer gefasst werden und darüber hinaus muss über eine Fußnote im Gesetz deutlich werden, dass die Norm einen Grundrechtseingriff erlauben soll. Schafft der Gesetzgeber eine solche Umsetzung nicht fristgemäß, können die Behörden nur unter den strengen Vorgaben eines richterlichen Beschlusses dynamische IP-Adressen zurückverfolgen.
Für nicht mit der Verfassung vereinbar hielten die Richter darüber hinaus die Möglichkeit der Behörden, PIN und PUK Nummern genutzter Handys und Internetzugänge von den Telekommunikationsprovidern herausverlangen zu können. „Gerügt wurde, dass das Telekommunikationsgesetzt zwar regele, wann Zugangscodes herausgegeben werden müssen, sich aber nicht dazu äußere, wie diese dann von den Behörden genutzt werden dürfen. Darin sahen die Richter einen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz“, erklärt Rechtsanwalt Solmecke.
„Für die Zukunft ist dem Gesetzgeber jetzt ein ganzes Paket an Hausaufgaben mitgegeben worden. Angesichts der Bundestagswahl im Jahr 2013 ist kaum zu erwarten, dass die geforderten Änderungen bis dahin tatsächlich umgesetzt worden sind. Wartet die Politik zu lange, werden es Strafverfolgungsbehörden künftig schwer haben, Straftaten im Internet aufzuklären.“