Die Rammstein-Tour ist seit über einem Monat vorbei, die Band hat also Pause. Wer keine Pause hat, sind die deutschen Gerichte. Denn die beschäftigen sich weiterhin mit der Berichterstattung über Till Lindemann und den Vorwürfen, die letztes Jahr gegen ihn laut wurden. Nun hat das OLG Frankfurt ein vielleicht wegweisendes Urteil gefällt. Durfte die SZ den Verdacht äußern, Lindemann habe mit einer Frau, die im Beitrag ihre Erlebnisse schildert, Sex ohne ihre Zustimmung gehabt?

Till Lindemann bricht sein Schweigen – das AUS für Rammstein?

Der SZ wird es fortan untersagt, den Verdacht zu verbreiten, Rammstein-Frontsänger Till Lindemann habe Sex ohne Zustimmung mit einer der beiden Frauen aus dem Artikel „Am Ende der Show“ gehabt. Das entschied nun das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main (Urt. v. 11.09.2024 – Az. 16 U 122/23).

Im Juni 2023 veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung (SZ) den Artikel „Am Ende der Show“, der das Sex-Casting-System der Band Rammstein bei Konzerten thematisierte. Basierend auf Recherchen von SZ, WDR und NDR, berichteten diese Medien erstmals darüber, nachdem die Irin Shelby Lynn ihre Erfahrungen online geteilt hatte. Dies führte zu zahlreichen Medienberichten und strafrechtlichen Ermittlungen gegen Till Lindemann, die jedoch mangels Tatverdachts eingestellt wurden. Im Artikel schilderten zwei Frauen, Cynthia A. und Kaya R. (Namen von der SZ geändert), ihre Erlebnisse mit Lindemann. Lindemann empfand den Beitrag als rechtswidrige Verdachtsberichterstattung und reichte einen Unterlassungsantrag ein, der im September 2023 abgewiesen wurde.

Nun, ein Jahr später, änderte das OLG Frankfurt am Main das Urteil teilweise ab und gab Lindemann in einem Fall Recht. Die SZ muss nun Passagen über Kaya R. anpassen, während der Antrag bezüglich Cynthia A. abgelehnt bleibt.

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Bericht der SZ kann Verdacht erwecken

Das OLG erklärte, in Bezug auf Kaya R. erwecke der Bericht den Verdacht, Lindemann habe Sex mit ihr ohne ihre Einwilligung gehabt. Der Durchschnittsleser habe die Äußerungen von Kaya R. so verstehen können, dass der Rammstein-Frontsänger ihre Alkoholisierung ausgenutzt haben könnte, um sexuelle Handlungen an ihr vorzunehmen. Schließlich schilderte Kaya R. in dem Beitrag der SZ auch, dass sie viel Alkohol getrunken habe. Außerdem könne sie sich nicht mehr erinnern, wie sie in ein Hotelzimmer gekommen sei, da sie nicht mehr bei Bewusstsein gewesen sei. Beim Aufwachen soll Lindemann dann wohl auf ihr gewesen sein. Als sie wach wurde, soll Lindemann dann gefragt haben, ob er aufhören solle. Gefragt hat Lindemann sie wohl als er gemerkt hat, dass sie wach geworden ist. Allerdings habe Kaya R. nicht einmal gewusst, womit er aufhören solle.

Zwar wird in dem Beitrag nicht geschildert, dass es überhaupt zu Sex mit Lindemann kam. Trotzdem wird für das OLG Frankfurt ein entsprechender Verdacht erweckt. Denn diese Schilderung lege dem Leser die Möglichkeit nahe, dass Lindemann die sexuelle Handlung an ihr ohne ihre Zustimmung begonnen haben könnte – also dann, als sie bereits ihr Bewusstsein verloren hatte oder dieses so stark eingeschränkt war, dass sie keinen Willen bilden konnte. Die geschilderte Erinnerungslücke wird hier zum Problem für die SZ. Denn diese lässt dem OLG nach zu, „dass beide einverständlich Sex begonnen haben, [Kaya R.] aber später alkoholbedingt das Bewusstsein verloren oder im Zusammenhang damit einen sog. ‘Filmriss’ erlitten hat, der ihre Erinnerungen auch rückwirkend beseitigt hat“. Kaya R. legte auch eine eidesstattliche Versicherung hinsichtlich ihrer Aussagen in dem Beitrag ab, dieser reichte jedoch dem Senat als Mindestbeleg für einen derart schwerwiegenden Verdacht nicht aus.

Lindemann bekommt in nur einem von zwei Fällen Recht

Im Fall von Cynthia A. sahen die Richter die Situation anders. Ihre Aussagen im Artikel erweckten nicht den Verdacht, dass sexuelle Handlungen gegen ihren Willen vorgenommen wurden. Cynthia A. wusste, dass es beim Rammstein-Casting darum ging, jemanden zu finden, der „eine Nacht mit Till“ verbringen würde. Obwohl sie den Sex mit Lindemann als unangenehm und „ziemlich gewaltvoll“ empfand, sagte sie auch: „Ich will nicht sagen, dass das eine Vergewaltigung war, weil ich ja zugestimmt habe.“ Ihre Schilderung, dass sie während des Geschlechtsverkehrs Schmerzen hatte und Lindemann bemerkt haben müsse, „dass es nicht leicht war, mit mir zu schlafen“, wird nicht als Widerruf ihrer Einwilligung verstanden.

Anhand ihrer Aussage, dass es weh tat, sie aber nichts sagen wollte „weil es war ja Till Lindemann“, kam das Gericht zu dem Schluss, dass sie die sexuellen Handlungen hingenommen habe. Der SZ-Artikel sprach zwar von „sexuellen Übergriffen“ an „zahlreichen Frauen“, was auch ein Rechtsbegriff ist und seit 2016 nach § 177 StGB eine Straftat darstellt. Doch im Kontext des Artikels war der Begriff anders zu verstehen. Die Erlebnisse von Cynthia A. deuteten nicht auf nicht-einvernehmliche sexuelle Handlungen hin. Vielmehr war der Sex für sie wegen der angewendeten Gewalt und ihrer eigenen Verkrampftheit ein „Übergriff“. Andere sexuelle Handlungen, die strafbar sein könnten, wurden im Artikel nicht erwähnt.

Die Entscheidung des OLG ist unanfechtbar. Die SZ muss Teile des Beitrags über Kaya R. anpassen, um nicht den Verdacht zu erwecken, dass Lindemann ohne Zustimmung sexuelle Handlungen vorgenommen habe. Beide Parteien könnten eine Klärung in Karlsruhe anstreben, was jedoch nur im Hauptsacheverfahren möglich wäre. In diesem Falle wären zunächst erneut die Frankfurter Gerichte und erst dann der Bundesgerichtshof zuständig.

agr