Was wiegt schwerer? Die Pressefreiheit oder die Persönlichkeitsrechte einer mutmaßlichen Plagiatorin? Der Rechtsstreit um eine Juristin läuft seit Jahren – jetzt hat der BGH zugunsten des berichtenden Journalisten entschieden.
Journalisten dürfen über (Doppel-) Plagiatsvorwürfe berichten und dabei den vollen Namen der betroffenen Personen nennen. Ein im Vorfeld erteiltes Verbot sei unzulässig, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in einem seiner neuesten Urteile (Urt. v. 09.03.2021, Az. VI ZR 73/20).
Dem zugrunde lag die Klage der Juristin Charlotte Gaitanides, gegen die sowohl bezüglich ihrer Promotions- als auch ihrer Habilitationsschrift Plagiatsvorwürfe erhoben worden waren. Ein seltener Fall eines Doppelplagiatvorwurfs. Diese hatte gegen den Journalisten Jochen Zenthöfer, der im Übrigen ebenfalls ausgebildeter Jurist ist, einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch angestrebt, nachdem dieser mehrfach Artikel über die Doppelplagiatsvorwürfe unter voller Nennung des Namens der Frau veröffentlicht hatte.
Die Vorinstanzen
Ihre Klage hatte vor dem Landgericht (LG) Frankfurt am Main tatsächlich Erfolg. Das LG Frankfurt entschied seinerzeit, der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht wiege zu schwer. Zwar seien die Veröffentlichung einer Dissertation und Habilitation dem Berufsleben und damit der sogenannten Sozialsphäre und nicht ihrer Privatsphäre zuzuordnen, doch komme eine Namensnennung nur in Frage, wenn sie eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens sei oder eine hervorgehobene Position innehabe.
Und hier kamen die LG-Richter zu dem Schluss: Eine solche Position habe sie zwar einmal gehabt, jedoch zum Urteilszeitpunkt bereits nicht mehr. Vielmehr habe die Juristin alle ihre universitären und wissenschaftlichen Funktionen aufgegeben. Insofern sei keine mögliche Vorbildfunktion mehr beeinträchtigt. Nach Verlust der Lehrbefugnis bestehe zudem keine Gefahr mehr, „dass dem Lehrpersonal selbst wissenschaftliche Verfehlungen vorzuwerfen sind, die es bei anderen gerade überprüfen und ggf. auch ahnden soll“.
Im Übrigen könne der Journalist Zenthöfer auch so über den Fall berichten, ohne Namensnennung. Dies reiche aus, um das öffentliche Interesse zu bedienen.
So drohten die Richter in erster Instanz mit einem Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro oder einer Ordnungshaft, falls der Journalist sich nicht an das Verbot halten würde.
Allerdings wurde die Klage in zweiter Instanz vom Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main vollumfänglich abgewiesen.
Abwägung anhand der Sphärentheorie
Auch der BGH sprach der Juristin den Unterlassungsanspruch nun nicht zu. Vielmehr stützten sich die Richter auf die Entscheidungsgründe der Vorinstanz. So hatte das OLG Frankfurt am Main zwischen dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Juristin, in das der Journalist mit seiner Berichterstattung eingreift, und zwischen dem Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit abwägen müssen. Um diese Abwägung zu erleichtern, waren bereits in früheren Entscheidungen des BGH einige Kriterien herausgearbeitet worden. Die bekannteste Abwägungsmethode dürfte die sogenannte Sphärentheorie sein. Diese teilt das Persönlichkeitsrecht in drei Sphären (Intim-, Privat- und Sozialsphäre) auf und sortiert einzelne Ereignisse unter Berücksichtigung ihrer Intensität in diese ein. Dabei spielen zudem sowohl der Zeitablauf der Geschehnisse als auch der Verschuldensanteil der betroffenen Personen, vor allem aber das öffentliche Interesse eine Rolle.
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Berechtigtes öffentliches Interesse an den Plagiatsschriften?
Die Richter sahen die Juristin lediglich in ihrer Sozialsphäre betroffen. Schließlich beziehe sich die Berichterstattung des Journalisten auf ihre frühere berufliche Laufbahn, nicht auf private Geschehnisse. Dass sie inzwischen nicht mehr in dieser Form tätig sei, spiele dabei keine Rolle, da ihre Promotions- und ihre Habilitationsschrift als wissenschaftliche Werke „in der Welt“, also in Bibliotheken, Kommentierungen und Zitaten, bestehen blieben. Besonders hervorzuheben ist hierbei, dass sogar das Bundesverfassungsgericht im Sommer 2019 aus einer der Plagiatsschriften zitierte. Der Wille der Bevölkerung und eben vor allem der Rechtswissenschaftler*innen an der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Werken der Juristin spräche für ein berechtigtes öffentliches Interesse. Würde der Name in den Artikeln vertuscht, würde das Fortwirken auf die Wissenschaft nicht ausreichend berücksichtigt. Es trete also eine Art „Perpetuierung“, ein bloßes Aufrechterhalten des momentanen Zustands, ein. Genau hier, so die Richter, liegt auch der Unterschied zu anderen Plagiatsfällen, bei denen die Plagiate nach den erhobenen Vorwürfen nicht mehr einzusehen sind.
Ebenso bestehe kein Recht auf ein Vergessenwerden, da die Juristin bewusst so gearbeitet habe, dass sie den Plagiatsvorwürfen ausgesetzt wurde.
Das Urteil des BGH – Sieg für den Journalismus
Der BGH selbst ergänzte die Argumente noch insoweit, dass sich über die Art und Weise einer zukünftigen Berichterstattung nur spekulieren lasse. Somit lägen die Voraussetzungen für einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch nicht vor. Eine vorgenommene Abwägung sei mit Blick auf die Bedeutung der betroffenen Grundrechte nicht zu verantworten, so der VI. Zivilsenat.
Das Urteil ist ein erneuter Befreiungsschlag des Journalismus. Schließlich kann so weiterhin ohne Vorbehalte über Plagiatsvorwürfe geschrieben werden, ohne eine Klage der betroffenen Person(en) erwarten zu müssen. Dementsprechend erleichtert wirkte auch der beklagte Journalist nach dem Urteil. Gegenüber den Medien sagte er, gerade diese Entscheidung helfe allen Medien, die regelmäßig über Plagiatsfälle berichten.
lha