Ein Großvater wird von seinen zwei Enkeln verklagt, weil dieser mit der WELT-Redaktion über frühere Missbrauchsvorwürfe gegen ihn gesprochen hatte. Nach Auffassung des BGH habe der Großvater zwar mit den Journalisten reden dürfen, doch diese hätten dann nicht berichten dürfen.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass eine Person, die sich im Vorfeld einer Berichterstattung bereit erklärt, ihren Namen und ihr Foto in einem Zeitungsartikel zu veröffentlichen, nicht automatisch für mögliche Persönlichkeitsrechtsverletzungen haftet. Auch wenn durch die namentliche Erwähnung dieser Person indirekt Dritte identifizierbar werden, liege die Verantwortung für die rechtliche Zulässigkeit der Berichterstattung allein bei der Presse. Damit stellt der BGH klar, dass die bloße Mitwirkung an einer Presseveröffentlichung keine Störerhaftung begründet (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2024, Az. VI ZR 311/23).
Ein Zeitungsartikel mit weitreichenden Folgen
Hintergrund des Verfahrens ist der Fall zweier Enkelkinder, die ihren Großvater verklagten. Die beiden, 2004 und 2007 geboren, litten seit ihrer Kindheit unter psychischen Belastungen. Eine Heilpraktikerin, die mit umstrittenen Methoden arbeitete, diagnostizierte bei ihnen Missbrauchserfahrungen und verwies als Täter auf den Großvater. Dies führte zu einer Strafanzeige des Vaters der Kinder gegen den Großvater. Das Ermittlungsverfahren wurde jedoch eingestellt, da kein hinreichender Tatverdacht bestand.
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Später wandte sich der Großvater an einen Journalisten der WELT-Redaktion, um öffentlich seine Sicht der Dinge darzustellen. Er stimmte zu, dass sein Name und Foto in einem Zeitungsartikel verwendet werden durften. Der daraufhin veröffentlichte Artikel behandelte die umstrittene Arbeit der Heilpraktikerin und schilderte die Auswirkungen der Missbrauchsvorwürfe auf den Großvater. Seine Enkelkinder wurden im Artikel mit geänderten Vornamen genannt, aber für Personen aus ihrem Umfeld identifizierbar gemacht.
Die beiden Kinder empfanden die Berichterstattung als tiefen Eingriff in ihre Persönlichkeitsrechte und klagten gegen ihren Großvater. Sie argumentierten, dass er durch seine Zustimmung zur namentlichen Erwähnung und zur Bildveröffentlichung indirekt ermöglicht habe, dass sie in Verbindung mit den Missbrauchsvorwürfen erkannt werden konnten. Damit habe er ihr Persönlichkeitsrecht verletzt und sei verpflichtet, solche Einwilligungen in Zukunft zu unterlassen.
BGH: Presse ist für ihre Berichterstattung selbst verantwortlich
Das Landgericht Frankfurt am Main gab der Klage zunächst statt (LG Frankfurt a. M., Urteil vom 17.02.2022, Az. 2-03 O 107/21), das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main wies sie ab (OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 07.09.2023, Az.16 U 34/22). Der BGH hat nun die Klageabweisung im Ergebnis bestätigt. Die Klageabweisung erfolgte allerdings nur deswegen, weil der BGH den Großvater als Beklagten nicht als mittelbaren Störer für die Presseveröffentlichung in die Haftung nehmen wollte.
Die Enkelkinder seien durch die Berichterstattung identifizierbar gewesen. Dies reiche bereits aus, wenn ein Teil der Leser durch die Kombination der im Artikel genannten Informationen auf ihre Identität schließen könne. Gerade im örtlichen Umfeld sei dies möglich gewesen. Auch erkannte der BGH an, dass die Berichterstattung tief in die Intim- und Privatsphäre der Kinder eingegriffen habe. Ihre psychischen Probleme sowie die Missbrauchsdiagnose durch die Heilpraktikerin hätten nicht öffentlich thematisiert werden dürfen. Dies sei eine unzulässige Offenlegung höchstpersönlicher Informationen, so der BGH.
Dennoch sei der Großvater nicht für den Artikel verantwortlich gewesen. Der Großvater sei zunächst kein sogenannter unmittelbarer Störer, denn er habe den Beitrag der WELT nicht selbst verfasst. Auch als mittelbarer Störer sei er nicht anzusehen. Er habe nämlich selbst keine Verhaltens- und Prüfpflichten gehabt. Die Verantwortung für die redaktionelle Gestaltung habe allein bei der WELT-Redaktion gelegen. Der Großvater habe auch keine Pflicht gehabt, den Beitrag vorab zu prüfen oder Änderungen zu verlangen. Die redaktionelle Verantwortung liege in diesem Fall allein bei der Presse.
Das Urteil stellt klar, dass Informanten nicht automatisch für mögliche Rechtsverletzungen haftbar gemacht werden können, die durch die Berichterstattung entstehen. Eine solche Haftung würde die Bereitschaft von Menschen mindern, mit Journalisten zu sprechen, und damit die Pressefreiheit einschränken. Eine richtige Entscheidung. Allerdings schränkt der BGH mit diesem Urteil auch die Möglichkeit einer „Rehabilitation“ durch eine Medienberichterstattung im Falle des Großvaters ein. Denn bei der Abwägung der Interessen der Enkel mit dem Berichterstattungsinteresse des Medienhauses kommt das Interesse des Großvaters daran, in den Medien auch seine Sicht der Dinge darzustellen, nicht vor.
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tsp