Der plötzliche Tod der bekannten Schauspielerin Lisa Martinek hatte 2019 deutschlandweit Bestürzung ausgelöst. Entsprechend groß war auch das Interesse der Medien am Tod der damals 47-Jährigen. Ausführlich berichtete damals unter anderem die Bild-Zeitung. Jetzt hat der BGH jedoch festgestellt, dass Teile dieser Berichterstattung rechtswidrig gewesen sind.
Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht (APR) schützt neben der Trauer um den Tod auch das Bangen um das Leben eines nahen Angehörigen. Eine Berichterstattung, die eine derartige emotionale Ausnahmesituation zum Gegenstand hat, berührt das APR eines Angehörigen auch dann unmittelbar, wenn dessen Gefühlswelt nur „zwischen den Zeilen“ präsent ist. Gleichzeitig kann der plötzliche Tod einer gesund erscheinenden, mitten im Leben stehenden Person jedoch auch ein berechtigtes Informationsinteresse der Öffentlichkeit auslösen. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einem aktuellen Urteil entschieden und der Unterlassungsklage des Ehemannes der verstorbenen Schauspielerin Lisa Martinek gegen die „BILD“-Herausgeberin Axel Springer SE teilweise stattgegeben (BGH, Urt. v. 13.12.2022, Az. VI ZR 280/21).
Lisa Martinek galt im deutschen Fernsehen als feste Größe. Zu sehen war sie etwa in Produktionen wie der ZDF-Krimireihe „Das Duo“ oder der ARD-Serie „Die Heiland – Wir sind Anwalt“. Ihr plötzlicher Tod im Jahre 2019 löste deutschlandweit Bestürzung aus. Martinek war mit ihrem Ehemann und den drei Kindern im Sommerurlaub auf Elba, als sie bei einem Bootsausflug ohnmächtig geworden war – sämtliche Wiederbelebungsversuche blieben erfolgslos. Entsprechend groß war auch das mediale Interesse am Tod der damals 47-jährigen.
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BILD berichtete in mehreren Artikeln
Ausführlich berichtete damals unter anderem die Bild-Zeitung: In mehreren Wort- aber auch Bild-Beiträgen wurde über die Geschehnisse auf dem Wasser und an Land berichtet. Die Geschehnisse auf dem Wasser wurden dabei aus Sicht einer fiktiven auf dem Boot anwesenden Person geschildert. Die Rettungsversuche von Einsatzkräften auf dem Land schilderte die Berichterstattung dagegen aus der Sicht eines Dritten. Eines der in der Berichterstattung verwendeten Bilder zeigte einen Helikopter mit geöffneter Luke, aus der sich eine Person abseilt. Darunter steht „Ein Pegaso-Hubschrauber der italienischen Luftrettung seilt den Notarzt am Strand ab. Der Hubschrauber konnte dort nicht landen.“ Auf einem weiteren Bild ist ein Strand mit Sonnenschirmen und -liegen, Badegästen und Booten auf dem Wasser zu sehen. Die Bildunterschrift lautet: „Sand wird aufgewirbelt, Rettungskräfte befinden sich bei Martinek auf dem Schlauchboot.“ Das dritte Bild zeigt mehrere Boote in der Bucht, darunter steht: „Unruhe am knapp 130 Meter langen Sandstrand von Sant’Andrea auf Elba: Hier wird alles versucht, um Martinek zu retten.“ Daneben verweist der Beitrag auf ein einminütiges Video, das gegen Bezahlung abrufbar ist und den Abseilvorgang des Notarztes vom Hubschrauber zeigt.
Der Ehemann Martineks sah sich durch die Berichterstattung in seinem APR verletzt und verklagte die Axel Springer SE auf Unterlassung der Berichterstattung in Wort und Bild. Von Axel Springer wurde hingegen eingewandt, das APR des Ehegatten sei bereits deshalb nicht verletzt, weil die Gefühlswelt des Ehemanns nicht dargestellt worden sei. Vielmehr ginge es in der Berichterstattung allein um den Todeskampf seiner Ehefrau.
Das erstinstanzlich zuständige Landgericht (LG) Berlin gab daraufhin dem Ehemann Martineks im Wesentlichen Recht und untersagte die Berichtserstattung weitestgehend (Urt. v. 06.08.2020, Az. 27 O 615/19). Im Berufungsverfahren vor dem Kammergericht (KG) Berlin hatte wiederum die Axel Springer SE größtenteils Erfolg (Urt. v. 19.08.2021, Az. 10 U 1068/20). Im Revisionsverfahren vor dem BGH begehrte der Ehemann dann die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils – mit Erfolg.
Allgemeines Persönlichkeitsrecht erfasst auch Bangen und Trauer
Zunächst arbeitete der BGH heraus, inwieweit das APR den bangenden und später trauernden Ehegatten schützt. Insofern betonten die Karlsruher Richter, dass das APR jedermann einen autonomen Bereich der eigenen Lebensgestaltung zugestehe, in dem man seine Individualität unter Ausschluss anderer entwickeln und wahrnehmen kann. Dazu gehöre auch das Recht, für sich zu sein, sich selbst zu gehören und den Einblick durch andere auszuschließen. Das gelte insbesondere für eine Person, die um das Leben eines nahen Angehörigen bangt oder trauert. Denn dann bestehe eine berechtigte Erwartung, nicht „Schaulust und Sensationsgier“ zum Opfer zu fallen.
Nach Auffassung des BGH beeinträchtigte insbesondere der Bericht über die Vorgänge auf dem Meer diese berechtigte Erwartung des Ehemanns. Denn zum einen ereignete sich das Unglück während eines Bootsausfluges und damit an einem Ort, wo sich das Ehepaar frei von öffentlicher Beobachtung zurückgezogen hatte. Zum anderen war der Ehemann auch nicht mit der Veröffentlichung der Berichte einverstanden, so dass es insoweit an einer sog. „Selbstöffnung“ fehle. Die Berichterstattung greife aber vor allem deshalb thematisch in die Privatsphäre des Ehemannes ein, weil dieser auf dem Boot plötzlich einer Situation höchster emotionaler Belastung ausgesetzt war, in der er auf sich allein gestellt um das Leben seiner Ehefrau kämpfen musste.
Ehemann in Berichten „zwischen den Zeilen“ präsent
Dem Einwand von Axel Springer, wonach eine Verletzung des APR mangels Darstellung der Gefühlswelt des Ehemannes in der Berichterstattung ausscheide, trat der BGH entgegen: Zwar setze ein Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB stets die „unmittelbare“ eigene und nicht nur mittelbare, „reflexartige“ Betroffenheit des Anspruchstellers in seinem APR voraus. Der Anspruchsteller sei allerdings nicht nur dann unmittelbar in seinem APR betroffen, wenn er im Mittelpunkt der Berichterstattung steht. Vielmehr genüge für den Unterlassungsanspruch, dass dessen Persönlichkeitssphäre stillschweigend oder ausdrücklich zum Thema des Berichts zugehörig erscheine.
Zuvor hatte das KG insoweit zwischen der Berichterstattung auf dem Wasser und auf dem Land differenziert und war zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Art „Perspektivwechsel“ stattgefunden hatte, indem hinsichtlich der Geschehnisse auf dem Boot die „Distanz als Berichterstatter“ aufgegeben und erst später wieder hergestellt werde. Diese klare Trennung lediglich anhand des Erzählstils vollzog der BGH nicht mit. Es genüge vielmehr, dass der Bericht Bezüge zum Ehemann herstelle, dessen Persönlichkeitssphäre dem Leser gleichsam „zwischen den Zeilen“ begegne. Insofern trennte der BGH zwischen den einzelnen Artikeln der Wortberichterstattung und Bildberichterstattung. Letztere hätten im Wesentlichen keinen hinreichenden Bezug zum Ehemann aufgewiesen, sodass darin keine unmittelbare Beeinträchtigung vorläge. Anders bewerteten die Richter jedoch die in Rede stehenden Wortberichte über das Geschehen auf dem Boot, den Urlaub der Familie und die Rettungsbemühungen. Zwar würden diese Informationen in erster Linie das Opfer selbst betreffen, allerdings sei der Ehemann aufgrund des Umstandes, dass er das Unglück auf dem Meer sowie die Rettungsmaßnahmen unmittelbar miterlebt hat für den Leser in der Berichterstattung gleichsam präsent. Die Berichterstattung beträfe den Ehemann daher unmittelbar und nicht nur reflexartig, so der BGH.
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Stirbt ein Mensch mitten im Leben, besteht ein berechtigtes Informationsinteresse
Die anschließend vom Gericht bei sog. Rahmenrechten vorzunehmende Interessensabwägung fiel in Bezug auf die verschiedenen Bild-Beiträge uneinheitlich aus. Im konkreten Fall traten die Richter in eine Abwägung mit der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK ein, wobei es entscheidend darauf ankam, ob an der Berichterstattung ein „berechtigtes Informationsinteresse der Öffentlichkeit“ bestehe oder bloß die Neugier der Leser befriedigt werden solle.
Im vorliegenden Fall bejahte der BGH ein solches öffentliches Interesse. Nach Auffassung der Karlsruher Richter könne der plötzliche Tod eines mitten im Leben stehenden Menschen Anlass einer Debatte sein, die über die bloße Neugier hinausgehe und zur öffentlichen Meinungsbildung beitrage. Im Rahmen der Abwägung sei außerdem zu beachten, dass der Ehemann Martineks als Schauspieler, Regisseur und Produzent ebenfalls eine Person des öffentlichen Lebens sei und daher gegenüber einer unbekannten Privatperson nur einen herabgesetzten Schutz der Privatsphäre genieße. Dennoch untersagte das Gericht auch mehrere Passagen, die sich mit den Vorgängen auf dem Boot, dem Urlaub, aber auch der Einweisung Martineks in ein Krankenhaus beschäftigten, da insofern das das Schutzinteresse des Ehemannes das Informationsinteresse der Öffentlichkeit überwiege. Unbeanstandet blieben die Bildberichterstattung sowie Ausführungen zu den Rettungsbemühungen an Land. Zur Begründung führte der BGH aus, dass Rettungsmaßnahmen durch Einsatzkräfte von einem verstärkten Informationsinteresse der Öffentlichkeit begleitet würden, so dass die Emotionen des Ehemannes in dieser nicht länger öffentlichkeitsabgewandten Situation zurückträten.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich der BGH mit der Berichterstattung über den Tod Martineks auseinandersetzen musste: Bereits am 17. Mai 2022 wurde der Betreiberin des Internetportals www.bunte.de und der Verlegerin der „BUNTEN“ Teile ihrer Berichterstattung untersagt (Az. VI ZR 141/21). Nun hat der BGH die dort angelegten Maßstäbe erneut bestätigt. Das Urteil reiht sich daher in die bisherige Rechtsprechung des Gerichts ein.
aha