Obwohl das BVerfG formal die Verfassungsbeschwerde von Journalisten und der Gesellschaft für Freiheitsrechte nicht zur Entscheidung angenommen hat, haben die Richter aus Karlsruhe klargestellt, dass Investigativjournalisten sich nicht strafbar machen, wenn sie Daten von Whistleblowern entgegennehmen. Im Rahmen eines Nichtannahmebeschlusses hat das BVerfG die Ausnahme vom Straftatbestand der Datenhehlerei weit ausgelegt und damit die Pressefreiheit gestärkt.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in einem erst jetzt öffentlich gewordenen Nichtannahmebeschluss klargestellt, dass der Straftatbestand der Datenhehlerei nach § 202d Strafgesetzbuch (StGB) offensichtlich nicht auf Journalisten, die investigativ tätig werden, anwendbar ist (Beschl. v. 30.03.2022, Az. 1 BvR 2821/16). Journalisten müssen daher nicht befürchten strafrechtlich verfolgt bzw. verurteilt zu werden, wenn sie Daten von Whistleblowern entgegennehmen.
§ 202d StGB schütze die Presse und Informanten nicht ausreichend
Hintergrund der Entscheidung des BVerfG ist eine im Jahr 2017 von der Bürgerrechtsorganisation Gesellschaft für Freiheitsrecht (GFF) im Namen von netzpolitik.org, Reporter ohne Grenzen (ROG) sowie von sieben Journalisten und Bloggern eingereichte Verfassungsbeschwerde gegen die 2015 in Kraft getretenen Strafnorm.
Die Strafnorm stellt den Umgang mit Daten unter Strafe, die zuvor rechtswidrig erlangt wurden und soll nach Willen des Gesetzgebers vorrangig den Handel mit gestohlenen Kreditkarten- oder Nutzerdaten bekämpfen. § 202d Abs. 3 StGB i.V. m. § 53 Abs. 1 Ziff. 5 StPO beinhaltet außerdem eine Schutzvorschrift zugunsten der Pressefreiheit, indem die Strafverfolgung von Journalisten grundsätzlich ausgeschlossen wird.
Trotz dieser Ausnahmeregelung sah die GFF in der Strafnorm eine Gefährdung des journalistischen Tätigwerdens. „Das Gesetz sei so schlampig formuliert, dass es ein strafrechtliches Minenfeld für investigativ arbeitende Journalisten und ihre Helfer schaffe. Das sei mit der Pressefreiheit nicht vereinbar“, so die Auffassung der Kläger.
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Insbesondere richte sich die Strafvorschrift nicht nur gegen den kriminellen Handel von gestohlenen Daten wie Passwörtern oder Kreditkarteninformationen, sondern erfasse auch Fälle, in denen Daten von Whistleblowern an Journalisten weitergegeben worden seien. Auf solche Datensätze seien Investigativjournalisten jedoch regelmäßig angewiesen, weswegen auch aufgrund der abschreckenden Wirkung der Norm gegenüber den Informanten eine Behinderung ihrer journalistischen Tätigkeit drohe.
In ihrer Verfassungsbeschwerde wurde daraufhin die Verletzung diverser Grundrechte wie der Presse- und Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG), der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG, des allgemeinen Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG, der Freiheit der Berufsausübung aus Art. 12 Abs. 1 GG sowie des strafrechtlichen Bestimmtheitsgebots aus Art. 103 Abs. 2 GG gerügt.
Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde formal gesehen zwar nun nicht zur Entscheidung an, hat aber im Rahmen des Nichtannahmebeschlusses wichtige Ausführungen zur Auslegung der Norm getroffen.
BVerfG: Verfassungsbeschwerde ist nicht ausreichend begründet
Zunächst führten die Richter aus, die Verfassungsbeschwerde sei unzulässig, weil „nicht hinreichend substantiiert“ dargelegt worden wäre, dass durch die Strafvorschrift überhaupt die Möglichkeit einer Verletzung der geltend gemachten Grundrechte bestehe. Inhaltlich hätten sich die GFF und die Journalisten bei ihrem Vorbringen insbesondere zu wenig mit der bisherigen Rechtsprechung des Gerichts als auch mit der angegriffenen Vorschrift selbst befasst.
Anschließend führt das BVerfG aus, warum der Tatbestand des § 202d StGB nicht mit den geltend gemachten Grundrechten der klagenden Journalisten kollidiere und daher keine Bedrohung der journalistischen Tätigkeit darstelle. So betont das BVerfG, dass vom Schutz der freien Presse- und Rundfunktätigkeit auch die grundsätzliche Zugänglichkeit der für diese Tätigkeit benötigten Informationen erfasst sei. Damit ginge insbesondere ein besonderer Schutz der für die Informationsgewinnung benötigten Quellen, des in diesem Rahmen vorausgesetzten Vertrauensverhältnisses und der Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit einher.
Diesen Schutzanforderungen werde § 202d StGB nach Ansicht des BVerfG aufgrund der Ausnahmeregelung allerdings gerecht, weswegen die Norm daher nicht dazu geeignet sei, Journalisten in ihrer Arbeit zu gefährden. Vielmehr verenge die Lesart der Strafvorschrift, wie sie die GFF vorgetragen habe, „in nicht nachvollziehbarer Weise den Anwendungsbereich des zugunsten der Journalisten eingefügten Tatbestandsausschlusses“ und stehe „in direktem Widerspruch zu der in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck kommenden Zielsetzung, journalistische Tätigkeiten umfassend zu schützen“.
Weiter konnten die Richter dem Vortrag des GFF keine Ausführungen entnehmen, woraus sich eine für die Strafbarkeit erforderliche Bereicherungs- oder Schädigungsabsicht der Journalisten ableiten ließe. So hätte dargelegt werden müssen, dass das Ziel der journalistischen Tätigkeit gerade die Schädigung der von der Datenweitergabe Betroffenen sei. „Steht die Aufklärung von Missständen im Vordergrund, richtet sich die Absicht des Täters hierauf, nicht aber auf die Schädigung“, so das Gericht.
Auch der Sorge, dass Helfer oder Whistleblower unter die Vorschrift fallen und dadurch an einer Informationsweitergabe gehindert würden, folgt das BVerfG nicht. Regelmäßig würde es dann bereits an einer für die Strafbarkeit erforderlichen „rechtswidrigen Tat eines anderen im Sinne des § 202d Abs. 1 StGB fehlen“. Denn wenn es sich bei dem Informanten um einen Mitarbeiter des von der Informationsweitergabe Betroffenen handle, der auf die übermittelten Daten zugreife, käme zwar eine Strafbarkeit des Mitarbeiters durch die Weitergabe der Daten in Betracht. Da er auf die Daten aber schon zuvor habe zugreifen können, hätte er diese somit nicht durch eine rechtswidrige Tat erlangt. Als nicht nachvollziehbar werteten die Richter auch die von der GFF behauptete Einschüchterungswirkung der Vorschrift gegenüber den Informanten, da sich diese als bloße Vortäter nicht nach § 202d StGB strafbar machen würden.
Beschwerdeführer feiern BVerfG-Beschluss als „Erfolg für die Pressefreiheit“
Obwohl die Verfassungsbeschwerde keinen Erfolg hatte, feierte die GFF den Beschluss des BVerfG am Donnerstag als „Erfolg für die Pressefreiheit“. Aufgrund der Klarstellung des BVerfG, dass sich Journalisten nicht strafbar machen, wenn sie Daten von Whistleblowern annehmen und dadurch die Gefahr der Strafverfolgung journalistischer Tätigkeiten und der Durchsuchung von Redaktionsräumen entschärft sei, habe die Verfassungsbeschwerde ihr Hauptziel erreicht.
Außerdem sind die Verfassungsbeschwerden dreier weiterer Beschwerdeführer laut GFF vom Verfahren abgetrennt worden und noch beim Zweiten Senat anhängig. Dabei handele es sich um Experten, darunter ein Anwalt und ein IT-Experte, die regelmäßig investigativ arbeitende Medien berieten. Die GFF hofft hier auf eine Klarstellung, dass auch journalistischen Hilfspersonen keine Strafverfolgung droht. Diesbezüglich bleibt eine Entscheidung des BVerfG abzuwarten.
aha