Der EuGH hat in einem aktuellen Urteil seine Rechtsauffassung zur Vorratsdatenspeicherung präzisiert. Er bekräftigte, dass es keine völlig anlasslose unbegrenzte Vorratsdatenspeicherung geben dürfe und dass einem Datenzugriff eine Entscheidung eines Gerichts oder einer ausreichend unabhängigen Behörde vorausgehen müsse. Dies dürfte Auswirkungen auf noch anhängige Entscheidungen zur deutschen Speicherpraxis haben.

Die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hat am Dienstag ein neues Urteil zur Vorratsdatenspeicherung gefällt (Urteil vom 2. März 2021, Az. C-746/18). Durch die Vorratsdatenspeicherung können Strafverfolgungsbehörden auf Verbindungsdaten der Internet- und Telefonkommunikation zugreifen, die private Anbieter zu diesem Zweck auf Vorrat bereithalten.

Der EuGH konkretisierte nun, welche gesetzlichen Vorgaben die EU-Mitgliedstaaten machen müssen, damit die Strafverfolgungsbehörden die benötigten Daten abrufen können. Die EuGH-Richter stellten strikte Anforderungen an die Vorratsdatenspeicherung, die einmal mehr die Frage nach der Vereinbarkeit deutscher Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung mit dem Unionsrecht aufwerfen.

Der Fall aus Estland

In dem zugrunde liegenden Fall aus Estland ging es um einen Kriminellen, der wegen Diebstahls, der Verwendung einer fremden Bankkarte und Gewalttaten zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Die Beweise für die Verurteilung basierten auf Standort- und Verbindungsdaten des Mannes, welche die Ermittler mit Genehmigung der Staatsanwaltschaft bei einem Kommunikationsanbieter angefordert hatten. Der Staatsgerichtshof in Tartu hatte das Urteil der ersten Instanz als Revisionsgericht zu überprüfen und wollte vom EuGH wissen, ob das Vorgehen europarechtskonform war. Hierzu wandte er sich in einem Vorabentscheidungsverfahren an den EuGH.

Laut ihrer ersten Vorlagefrage wollten die estnischen Richterwissen, ob der Zeitraum, in dem Ermittler Zugang zu Vorratsdaten haben, ein Beurteilungskriterium für die Schwere des Grundrechtseingriffs der Betroffenen darstellt und ob für einen ein Abruf von Vorratsdaten über einen nur kurzen Zeitraum weniger strenge Anforderungen gelten sollen.

Daneben legten sie dem EuGH die Frage vor, ob die estnische Staatsanwaltschaft eine „unabhängige Verwaltungsbehörde“ im Sinne der EuGH-Rechtsprechung zur Vorratsdatenspeicherung sein kann.

Dem vorlegenden Gericht ging es um die Auslegung der EU-Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation sowie Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.

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Vorratsdatenspeicherung nur zur Bekämpfung schwerer Kriminalität

Der ersten Vorlagefrage erteilte der EuGH eine klare Absage. Das Abrufen von Vorratsdaten nur für einen kurzen Zeitraum oder nur für ein bestimmtes Kommunikationsmittel entbinde nicht von den strengen Voraussetzungen der Vorratsdatenspeicherung. „Im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei nur die Bekämpfung schwerer Kriminalität oder die Verhütung ernster Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit geeignet, den Zugang der Behörden zu einem Satz von Verkehrs- oder Standortdaten zu rechtfertigen, aus denen genaue Schlüsse auf das Privatleben der betroffenen Personen gezogen werden können.“

Auch erfüllte für den EuGH die estnische Staatsanwaltschaft nicht die Anforderungen an eine unabhängige Verwaltungsbehörde. Das Erfordernis der Unabhängigkeit setze voraus, dass die die Vorratsdatenspeicherung anordnende bzw. genehmigende Behörde zum einen „nicht an der Durchführung des fraglichen Ermittlungsverfahrens beteiligt sei und zum anderen eine Position der Neutralität gegenüber den Beteiligten am Strafverfahren habe“.

Vorlagen aus Deutschland anhängig

Das neue EuGH-Urteil wirkt sich auch auf die geltende Rechtslage in Deutschland aus, insbesondere auf die in den §§ 113a bis 113c des Telekommunikationsgesetzes (TKG) und in der im Telekommunikationsmodernisierungsgesetz nach § 175 TKG-Entwurf vorgesehenen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung. Nach § 113b TKG sind „Erbringer öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste für Endnutzer“ derzeit nämlich – unabhängig vom Anlass – verpflichtet, Standortdaten vier Wochen lang zu speichern, Verbindungsdaten sogar zehn Wochen lang. Die Regelung könnte daher gegen Europarecht verstoßen. Aktuell sind hier auch Verfassungsbeschwerden vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig. Das Bundesverwaltungsgericht hat dem EuGH 2019 eine Rechtsfrage zur Auslegung der EU-Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation vorgelegt. Eine Entscheidung dazu steht noch aus.

mle