Der Antisemitismusbeauftrage verletzt mit seinen Twitter-Beiträgen das Sachlichkeitsgebot, indem er den Rahmen des Gebotenen überschreite. Äußerungen wie „viele Autoren vertreten rassistische & demokratiefeindliche Positionen“ und die Aufforderungen die Finanzierung von Verschwörungsmythen durch die Wirtschaft zu stoppen, stellen einen Grundrechtsverstoß für die Betreiberin des Portals „Achse des Guten“ dar, für den Wiederholungsgefahr vorliegt.
Nachdem sich der Antisemitismusbeauftragte anlässlich eines Werberückzugs von Audi auf der Plattform „Achse des Guten“ öffentlich kritisch zu dem Blog und dessen Autoren äußerte, stellte die Portalbetreiberin wegen der Verletzung ihrer Grundrechte auf Pressefreiheit, Chancengleichheit und Berufsausübungsfreiheit sowie der Verletzung ihres Unternehmenspersönlichkeitsrechts einen Eilantrag vor dem Verwaltungsgericht (VG) Stuttgart. Die Aussagen seien nach Auffassung des VG wegen des Verstoßes gegen das Sachlichkeitsgebot rechtswidrig, und beeinträchtigten die Grundrechte der Portalbetreiberin. Demnach habe der Tweetende die beiden Äußerungen zu unterlassen (Beschl. v. 22.09.22, Az. 1 K3675/22).
Kritische Äußerungen des Antisemitismusbeauftragten
Das Portal bezeichnet sich als ein „im Spektrum der politischen Rechten verorteten Blog“. Jedoch erreichte Audi ein anonymer Tweet, woraufhin der Autohersteller beschloss, keine Werbung mehr auf „Achse des Guten“ zu schalten. Diese Entscheidung hatte Michael Blume, der Antisemitismusbeauftragte der Landesregierung Baden-Württemberg begrüßt.
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Seine Freude bekundete der Beauftragte über seinen offiziellen Twitter-Account und schrieb weiter, dass viele Autoren dieses Blogs „rassistische & demokratiefeindliche Positionen“ vertreten würden und „Die Finanzierung von Verschwörungsmythen durch die Wirtschaft“ „dringend ein Ende“ haben müsse.
Die Portalbetreiberin sah sich durch die Aussagen in ihren Grundrechten verletzt. Der Tweet sei eine schwerwiegende Diffamierung des Blogs und ein Ausruf zum wirtschaftlichen Boykott durch eine offizielle staatliche Stelle.
Das VG hat dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nun teilweise stattgegeben, weil die Aussage als funktionales Äquivalent für einen klassischen Grundrechtseingriff zu qualifizieren sei. Dies gelte aber nicht für Aussagen mit hinreichend konkretem Bezug zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben.
Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot mit Wiederholungscharakter
Das VG entschied, dass sich der Beauftrage im konkreten Fall nicht auf seine verfassungsunmittelbare Aufgabe der Staatsleitung stützen könne. Seine Äußerung erzeuge vielmehr den Anschein, unter Inanspruchnahme der Autorität seines Amts, potenzielle Werbekunden davon abzuhalten, Werbeanzeigen auf dem Blogportal zu schalten. Das Verwaltungshandeln des Beauftragten solle gerade dem Rechtsgüterschutz durch Bekämpfung angenommener Gefahren dienen. Im konkreten Fall überschreite es aber die Grenzen des sachlich gebotenen.
Das Sachlichkeitsgebot diene der Grenzsetzung und Kontrolle amtlicher Äußerungen. Dementsprechend seien diffamierende Aussagen und Werturteile, denen sachfremde Erwägungen zugrunde liegen, unzulässig. Dem vorliegenden Fall könne nach Auffassung des VG gerade kein ausreichender sachlicher Anhaltspunkt entnommen werden, dass der Antisemitismusbeauftragte die Ansicht äußern und veröffentlichen dürfe.
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Übrige Äußerungen verhältnismäßig
Obwohl das VG Stuttgart die beiden Aussagen zum rassistischen Hintergrund der Autoren sowie dem Ende der Finanzierung von Verschwörungsmythen als rechtswidrig und Grundrechtsbeeinträchtigend qualifizierte, sei die Äußerung der Freude über den Werberückzug nach Ansicht des Gerichts nicht zu beanstanden. Die Behauptung, der Rückzug Audis stelle eine Reaktion auf einen Gastbeitrag von dem „Verschwörungsmythologen“ Stefan Homburg auf dem Blogportal dar, beruhe auf einem hinreichend gewürdigten Tatsachenkern.
Auch für die Äußerung „Auch der @ZentralratJuden, meine Familie & ich sind über dieses Portal oft persönlich verhöhnt, ja angegriffen worden“, gab das VG dem Unterlassungsbegehren der Portalbetreiberin nicht statt. Wegen hinreichender Anhaltspunkte, die die Äußerungen rechtfertigen, sei ein hinreichend konkreter Bezug zu den Aufgaben, die Gesellschaft für Antisemitismus zu sensibilisieren, gegeben.
Generell sei es auch die Aufgabe des Antisemitismusbeauftragten, im Rahmen eines sachlichen und rationalen Diskurses, durch Öffentlichkeitsarbeit über jegliche Forme des Antisemitismus aufzuklären. Er dürfe sich ohne Bindung an ein Neutralitätsgebot lobend zu Werbeaktivitäten eines Wirtschaftsunternehmens äußern, soweit ein hinreichender Tatsachenbezug vorliege.
mbl